Sonntagsblatt 3/2020 | Page 20

hätte , dass die Eltern meines Vaters Ungarndeutsche waren . Leider konnte ich sie nicht kennen lernen , obwohl ich es immer wollte .
Der Grund dafür war , dass ich nur meine Großmutter mütterlicherseits kennen lernen konnte . Ich habe meine Bekannten immer beneidet , die einmal zu den einen Großeltern und einmal zu den anderen gingen . Wir erfuhren dann , dass unser Nachname Müller gewesen war und aufgrund der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs in Ujvári geändert wurde . Deutsch wurde auch von meinen Großeltern wegen der genannten Ereignisse aufgegeben .
Da wurde mir klar , wie viel Glück ich in dieser Hinsicht hatte . Immerhin bin ich an einem Ort , an dem ich meine eigene Geschichte , Kultur und Sprache kennen lernen kann . In der Zeit am Gymnasium hatte ich das Gefühl , meinen Großeltern näher zu kommen , indem ich etwas über ihre Kultur lerne . Das erfüllte mich mit immensem Glück . Leider habe ich meinen Platz unter den anderen ungarndeutschen Jugendlichen immer noch nicht gefunden . Ich habe nie gern getanzt und wollte mich nicht in Tracht kleiden . Ich bin eher ein typischer Nerd .
Nun : Welche Ziele habe ich mir für die Zukunft gesetzt ? Ich halte es für eines der wichtigsten Dinge für junge Ungarndeutsche , die Gelegenheit zu haben , sich kennen zu lernen und ein gutes Verhältnis zueinander aufzubauen . Dabei beginnen wir mit dem Aufbau einer Gemeinschaft , in der junge Ungarn mit ähnlichen Interessen zusammen sein und Zeit miteinander verbringen können . Es bedarf aber Plattformen , wo man über die erzielten Ergebnisse schreiben kann .
Zu diesem Zweck habe ich mir zum Ziel gesetzt , die richtige Plattform zu schaffen und zu fördern . Als ersten Schritt im Plan dachte ich daran , einen Discord-Server einzurichten . Hier wäre das Hauptprinzip , Deutsch üben zu können , während man verschiedene Spiele spielt . Dann möchte ich diesen Server bekannt machen . Dabei habe ich an ungarische Gymnasien gedacht , an denen man Deutsch lernen kann . In diesem Zusammenhang möchte ich hier über die hier erzielten Ergebnisse und Ereignisse schreiben . Außerdem habe ich vor , Dinge zu präsentieren , die mit den Deutschen in Ungarn in meiner Region zu tun haben .
Vorwort
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Erinnerungen eines Ungarndeutschen
Von Sanitätsrat Dr . Johannes Angeli
Sonntagsblatt-Erstveröffentlichung
So manches kann der Mensch erleben , wenn er über 80 Jahre alt wird , lebte er aber in den letzten acht Jahrzehnten , dann umso mehr . Umso mehr auch , wenn er als Auslanddeutscher vertrieben wurde und schließlich aus der DDR geflohen in der BRD wieder eine neue Heimat gefunden hat ! Vor Jahren hat mein damals 12-jähriger Sohn gelangweilt gestöhnt : „ Ach Papa , bei dir war wenigsten noch was los .” Da konnte ich nur antworten : „ Du weißt doch gar nicht , wie glücklich Du sein kannst , in dieser guten neuen Zeit leben zu können .” Keinesfalls handelt dieser Rückblick - um mit Goethe zu sprechen - um „ Dichtung und Wahrheit “, sondern um Wahrheiten aus den „ Erinnerungen eines Ungarndeutschen “.
Gern hätte ich auf so manche mir aufgezwungene Ereignisse lieber verzichtet , aber die Weltpolitik und ihre Folgen haben den kleinen Mann , hier den kleinen 10-jährigen Jungen mitgerissen , ob er wollte oder nicht . So wurden viele meines Namens aus dem kleinen ungarndeutschen Dorf vom Winde verweht , vom Winde der Weltgeschichte in alle Himmelsrichtungen .
Wie es mir erging , will ich aus der Sicht eines kleinen Jungen , eines Jugendlichen , eines Familienvaters , und schließlich als zurückblickender Rentner aufschreiben – aufschreiben für die , die Ähnliches durchlebten , die uns vielleicht nur verstehen wollen oder gar für die Enkel unserer Zeit und unserer Familien .
Teil 1 : Ein ungarndeutsches Dorf vor dem Weltkrieg
Meine Erinnerungen gehen zurück an ein Dorf , das inmitten Ungarns , nahe des Balatons ( Plattensee ), unweit der ersten ungarischen Hauptstadt Székesfehérvár ( Stuhlweißenburg ), am Rande des Bakony ( Buchenwald ) gelegen ist .
Mit seinen Feldern , Weingärten , Wiesen und Wäldern in leicht hügeliger Landschaft ( höchster Berg 480 m hoch ), mit einem 10 km langen , teils 50 m tiefen Grabenbruch ( burok ) und mit der größten Tropfsteinhlöhle des Bakony ( Alba Regia ) bietet die Gegend auf einer Fläche von 70 km ² eine interessante landschaftliche Abwechslung .
Ursprünglich war Isszimmer ( Isztimér ) ein ungarisches Dorf , das die erste geschichtliche Erwähnung schon im Jahre 1193 als Stamer fand . ( Aus diesem deutschen Personennamen wurde nach der ungarischen Lautschrift Istamer und schließlich Isztimér ). Nach 145-jähriger Türkenherrschaft war das Dorf total verwüstet , entvölkert und praktisch eine unbewohnbare Einöde . Nach langem Besitzstreit konnte erst 1751 Graf Zichy die ersten deutschen Siedler - meist aus schon bestehenden deutschen Siedlungen in Ungarn - hierher locken .
So ist Isszimmer eine sogenannte deutsche Sekundärsiedlung , was die Ahnenforschung zusätzlich erschwert . Davon kann ich ein Lied singen , denn erst nach rund 55-jähriger Familienforschung konnte ich den ursprünglichen Siedlungs- ( Primär- ) Ort des Urahns aller Isszimmerer , Angeli , ausfindig machen .
Es ist Franciscus Xaverius Angele aus Gerisdorf / Gyirót ( heute : Bakony- ), geboren ( errechnet ) noch in der alten Heimat , gelebt zumindest bis 1773 in Isszimmer ( letzte Ertragung im Kirchenmatrikel ) und wahrscheinlich am 1 . 5 . 1798 in Obergalla / Felsőgalla ( heute Totiser Kolonie ) verstorben . Er kam mit seiner Frau Eva ( errechnet 1736 – 19 . 5 . 1798 in Isszimmer ) nach Isszimmer und gründete mit seinem Sohn Mathias ( 20 . 11 . 1753 Gerisdorf – 24 . 6 . 1814 Isszimmer ) die Stammlinie aller Angele von Isszimmer .
Erst über 100 Jahre später , im Rahmen der aufgezwungenen Magyarisierung , wurde aus Angele in den Kirchenbüchern einfach Angeli ( letzte Ertragung als Angele 1873 ; auch mein Urgroßvater hieß noch Angele ). Diese Umänderung erfolgte so rigoros , dass man heute in ganz Ungarn nur noch den Namen Angeli finden kann . Gegenüber anderer Umschreibung deutscher Namen können wir mit dieser kleinen Buchstabenänderung noch zufrieden sein .
Der Anachronismus dieser Namensveränderung ist aber , dass wir Angelis nun wieder zurück in Deutschland für Italiener oder zumindest italienischer Abstammung gehalten werden . So schwierig ist es , ein echter Deutscher zu werden !
Erinnern wollte ich mich ja an meinen ungarndeutschen Geburtsort , an mein Elternhaus , an ein Isszimmer , wie man es heute durch viele An- und Umbauten nur noch teilweise erkennen kann ( siehe Dorfplan mit Wappen , umgezeichnet auf 1940 ). Isszim-
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