Sonntagsblatt 3/2019 | Page 25

Pendlern, die ihr Glück im deutschsprachigen Ausland suchen. Der Bus kommt, wir, die Dame und ich, der „Forscher”, verab- schieden uns. „Wenn Sie mehr über das Dorf wissen wollen, kann ich ihnen die Erreichbarkeit meiner Kusine geben”, sagt eine andere Frau, die gerade die Grünfläche vor dem elterlichen Haus pflegt. Sie gehört zu den Auswanderern, von denen die erste Gesprächs- partnerin erzählt hat: Nach eigenen Angaben hat sie ihr Dorf gen Mohatsch verlassen, wo sie lange als Krankenschwester gear- beitet hat. Den kargen Lohn besserte sie bzw. bessert sie durch Pflegejobs in Österreich auf, sonst „hätte ich die Ausbildung mei- ner Kinder gar nicht finanzieren können”, so die resolute Sechzi- gerin. Die Arbeit habe auch beim Wiederentdecken der verlore- nen Muttersprache geholfen, denn in ihrer Jugend habe sie sich eher der ungarischen Sprache bedient, obwohl ihre Mutter kaum ungarisch schreiben könne. Vom Sprachverlust berichten auch andere Gesprächspartner, wobei eine Madjarin aus der Batschka, deren Familie nach der Grenzschließung hier geblieben ist, davon spricht, dass die Be- wohner über 50 allesamt Deutsch sprächen. Eine Frau im frü- hen Rentenalter, die gerade das Familiengrab herrichtet, erzählt auch vom Vordringen der madjarischen Sprache. Dies zeigen auch die Grabinschriften, von denen viele bis in die 1970er, 80er Jahre hinein deutschsprachig waren, jüngere sind hingegen fast nur ungarischsprachig. „Wir hatten vor über 15-20 Jahren den letzten deutschsprachigen Pfarrer hier gehabt”, erinnert sie sich. Seitdem fänden kaum noch deutsche Messen für die 15-20 Messbesucher statt, die Kirche scheint ohnehin nicht mehr Teil des Alltags zu sein: Ich fand während meiner Fahrt durch die Branau an diesem Samstagsvormittag keine einzige Kirche vor, die ich betreten konnte. Alle abgeschlossen, drumherum kein Zeichen von Leben. „Nur zu kirchlichen Festen wie Taufe oder Hochzeit” würde sich die Kirche wieder füllen, sagte die Dame von der Bushaltestel- le. Auch der Betreiber des Dorfladens, der nach 27 Jahren bald aufhört, macht sich Sorgen. Auch wenn sich ein einheimischer Nachfolger finden ließ, fragt er sich, wie überlebensfähig solche Läden im Medienzeitalter sind, wo Online auf dem Vormarsch ist. Die Sparkasse schließe demnächst und damit stellt sich die Frage, ob den Bewohnern der Geldautomat weiterhin zur Verfü- gung stehen wird. Die Frau auf dem Friedhof hat andere Sorgen: Weil es zu wenige Kinder gibt, stehe auch die Grundschule zur Disposition, kein Einzelfall in dieser Region. Die Zahl der Ro- ma-Kinder, die das Defizit stets ausgeglichen haben und so viele Schulen am Leben halten, nimmt nach Eindruck der Frau auch ab, was man mir auch in anderen Dörfern der Region bestätigte. Die Abwanderung hält weiterhin an, oft Richtung Ausland, auch wenn es Fälle von Zuwanderung gibt. So bietet auch das Dorfbild von Bawarz, wie das von anderen Dörfern, ein gemischtes Bild: Alte, aber neu hergerichtete Häu- ser, verfallene Höfe und Neubauten reihen sich aneinander. Als Zeugnisse einer bewegten Zeit! Zählt die Größe nicht? (A méret nem számít?) Von Ákos Horony. Erschienen auf www.ma7.sk am 19. April 2019. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Deutsche Übersetzung: Richard Guth Es ist überaus menschlich, dass, wenn wir etwas oft zu Ge- sicht bekommen, es dann nicht mehr auffällt. Es wird für SoNNTAGSBLATT uns zum Teil des Alltags, zu einem was ganz Natürlichen, so dass wir es als regelgerecht empfinden oder als etwas Gottgegebenes - auch dann, wenn dem nicht so ist und auch nicht so sein sollte. Es wird in diesem Beitrag um Aufschriften gehen, um die lingu- istische Landschaft hier an den madjarischen Enden. Wenn je- mand schon mal in der Umgebung von Niedermarkt/Dunajská Streda mit dem Auto unterwegs war – wo es gemessen an der madjarischen Bevölkerungsdichte pro Quadratmeter immer noch die meisten ungarischsprachigen Aufschriften gibt – hat man vielleicht schon mal großflächige Plakate gesehen, die einen ins Einkaufszentrum Árkád (City-Arkaden) in Raab locken wollen. Auf diesen Plakaten lädt man die Madjaren und Slowaken der Großen Schüttinsel in der Regel zu einer kleinen Konsumfahrt ein, lobenswerterweise in zwei Sprachen. Das Problem mit die- sen Plakaten ist lediglich, dass die Madjaren nur in einer halb so großen Schriftgröße angesprochen werden wie die Slowaken. Was hat sich der Auftraggeber des Plakats wohl gedacht? Wo- möglich, dass es schwieriger ist, die Slowaken zum Shopping im Nachbarland zu bewegen, weshalb wir es für sie dann mit grö- ßeren Buchstaben hinschreiben, damit sie die Werbebotschaft in einer größeren Dosis bekommen?! Oder denken unsere ungari- schen/madjarischen Brüder und Schwestern in Raab aus irgend- welchen nationalen Stereotypen heraus über uns, dass die klei- nere Aufschrift dank unseres im Vergleich zu den Slowaken wohl schärferen Blicks für uns ausreicht?! Wahrscheinlich nein! Wahrscheinlich ist es ihnen nicht bekannt, dass man es bereits kann, ja, sogar, dass es sich gehöre, es anders zu machen. Auf gut Deutsch gesagt haben sie ihren dies- bezüglichen Kenntnisstand nicht „updated”. Wenn ich mich recht erinnere, sind sie mit rein ungarischsprachigen Plakaten durch- gestartet, irgendwann nach 2006. Weil sie (hoffentlich) wussten, dass bei uns vornehmlich ungarisch gesprochen wird, haben sie, was ja auf der Hand liegt, von den für Ungarn bestimmten Pla- katen ein paar mehr drucken lassen. Dann kam 2009 die Ver- schärfung des slowakischen (Staats-) Sprachgesetzes und dann die große Furcht vor den „Sprachpolizisten”. Womöglich wurden sie von irgendeinem Amt gewarnt (was wir nicht wissen können), so dass dann irgendwann der slowakische Text vor dem ungari- schen auf dem Plakat angebracht wurde, der dann auch kleiner wurde. Und von nun an scheint es, dass sie sich dran gewöhnt haben, weil sie seitdem an dieser Tradition festhalten. Und womöglich haben wir uns mittlerweile auch daran gewöhnt. Und das, obwohl seit der Gesetzesänderung im Jahre 2011 in den madjarischen bewohnten Ortschaften nicht einmal die Rei- henfolge der Sprache vorgeschrieben ist, hinsichtlich Werbetex- te nirgendwo im Land! Es ist Fakt, dass man sich auf der Großen Schüttinsel als gesetzestreuer Marktbeteiligter ruhig an erster Stelle auf Ungarisch und in mit dem Slowakischen identischer Schriftgröße bewerben könnte. Wohlgemerkt, ich habe mir nicht irgendeine Firma ausgesucht, sondern das Phänomen, was in unseren Gefilden nicht einmalig ist: Unternehmer madjarischer Nationalität, Firmen und Kommu- nen unter madjarischer Führung bringen den ungarischsprachi- gen Text in kleinerer Schriftgröße und an zweiter Stelle an, wenn sie ihn überhaupt anbringen. Und das, obwohl sie nichts dazu - also zur Abwertung und Geringschätzung der eigenen Sprache - zwingt, abgesehen von möglichem Zwangs- oder Irrglauben. Das Gesetz, wie oben bereits geschildert, lässt eine Aufschrift in einer anderen Sprache zu, deren Schriftgröße der des Slowa- kischen entspricht, eine Reihenfolge in madjarisch bewohnten Gemeinden ist bezüglich der ungarischen Sprache nicht vorge- schrieben. „In solchen Gemeinden, in denen gemäß einer Son- derregelung eine nationale Minderheitensprache im Amtsverkehr (Fortsetzung auf Seite 26) 25