Sonntagsblatt 3/2019 | Page 20

Dennoch zeigt der Zusammenschluss der vier prosperieren- den Großstädte in Siebenbürgen – Großwardein, Temeswar, Klausenburg und Arad – unter der Bezeichnung „Westliche Allianz” doch in die Richtung, oder? Sie haben lediglich ein Ziel, nämlich die regionalen EU-Gelder direkt abrufen zu können, ohne Zutun von Bukarest. Wir werden sehen, ob es ihnen gelingt. In ihnen lodert also kein siebenbürgisches Feuer, wenn ich es richtig spüre. Nein! Europa ist ein Europa der Regionen. In Siebenbürgen und dem Banat ist seit Jahrhunderten vorhanden, was wir heute den europäischen Gedanken nennen: das friedliche Zusammenle- ben von Völkern und Religionen. Was in gewissen Teilen Euro- pas – auf dem Amselfeld, in Katalonien, in Irland – erst ein Traum bleibt, das haben Madjaren, Deutsche, Rumänen, Juden und Roma hier in Siebenbürgen jahrhundertelang erlebt. Es wäre gut, wenn dieser europäische Gedanke in Siebenbürgen auch in Ungarn Fuß fassen könnte: Denn Viktor Orbán denkt recht europafeindlich. Worin äußert sich das? In seiner Migrationspolitik, dass er keine Muslime aufnimmt. Der europäische Gedanke besagt diesbezüglich, dass man all denjenigen die Tore öffnet, die Hilfe bedürfen - Terroristen und Wirtschaftsmigranten ja nicht; das ist ein längerer Prozess, das geht nicht anhand zweier Fotos. Darüber freuen sich die Ungarn/ Madjaren sicherlich und sagen, Gott sei Dank bleiben wir Chris- ten. Rumänien war nicht gegen die deutsche Flüchtlingspolitik, es selbst hat Flüchtlinge aufgenommen. Das Problem ist eher, dass niemand zu uns kommen will. Wir haben deswegen nicht die Grenzen geschlossen und deswegen keinen Zaun gebaut, weil es nicht notwendig war. Als eine Flüchtlingsfamilie zufällig in Rumänien landete anstel- le in Ungarn, war sie traurig. Bei Temeswar gibt es immer noch ein Flüchtlingslager, das ziemlich überfüllt ist, die dort Lebenden integrieren sich in die rumänische Gesellschaft, lernen Sprache und Beruf. Wie viele Deutsche leben eigentlich heute in Rumänien? Knapp 40.000! Vor dem Zweiten Weltkrieg waren wir noch 800.000 Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Sathmarer Schwaben, Zipser Sachsen (die sich in Maramuresch niederlie- ßen, R. G.), Bukowina- und Dobrudscha-Deutsche zusammen. Nach dem Krieg wurden sehr viele Deutsche deportiert oder zur Zwangsarbeit verschleppt und auch viele zogen in die BRD. Vor WIR Bedanken UNS bei Allen unseren LANDSLEUTEn IN UNGARN, Die DAS Sonntagsblatt unterstützen und weiterteilen. jakob bleyer GEMEINSCHAFT e . V . 20 der Wende gab es noch 250.000 von uns. Die große Ausreise- welle setzte 1990 ein, infolge deren es bei der Volkszählung von 1992 nur noch 120.000 von uns gab. 2002 hat man nur noch 60.000 Deutsche gezählt, das hatte aber in erster Linie bereits biologische Gründe. Warum haben Sie Rumänien zu sozialistischen Zeiten nicht verlassen, als die BRD die deutsche Minderheit quasi frei- kaufte? Das war ein großes Lotteriespiel. Ich kannte welche, die 18 Jah- re auf das Erlaubnis zur Ausreise warten mussten. Deutschland hat für 20.000 Deutsche bezahlt – es hing von dem Schulab- schluss ab, wieviel: für Akademiker mehr, für Facharbeiter we- niger. Ich ging aus zwei Gründen nicht: Zum einen, weil es nicht absehbar war, wann ich ausreisen darf, zum anderen, weil der Ausreiseantrag negative Konsequenzen gehabt hätte, denn am Tag darauf hat die Securitate einen aus seiner Führungsposition entfernt. Aber auch als einfacher Lehrer durfte man nicht arbei- ten - unter dem Motto, wie könnte er die rumänische Jugend im sozialistischen Geist erziehen, wenn er sich selbst nach der ka- pitalistischen BRD sehnt, oder wie sie sagten: Hat er mit dem Klassenfeind paktiert? Viele haben dieses Risiko nicht eingehen wollen. Der Grund für die Ausreisewelle von 1990 war das Verschwinden dieser nega- tiven Konsequenzen. Bei mir überwogen fachliche Gründe bei der Entscheidung zu- gunsten des Bleibens. Da wir in Kanada Verwandte hatten, woll- ten die Brüder meines Vaters, dass wir auch dorthin ziehen. Mein Vater wollte aber nicht: andere Sprache, anderes Wetter. Er starb 1971, ich fing ein Jahr später das Medizinstudium an, dann blieb ich in Klausenburg forschen. In die DDR konnte man damals selbst als Tourist nicht, von der BRD ganz zu schweigen: Sollte der Staat das Risiko eingehen, dass ein junger, lediger Arzt dort bleibt?! Nach der Wende haben wir das Deutsche Forum gegründet – das hielt mich auch. Bis dahin hatte jeder zweite Deutsche sei- nen Koffer gepackt, wir fragten uns auch: Wer und für wen macht man diesen Verein?! Aber ich würde diese 30 Jahre nicht als Misserfolg werten: Wir sind auf der Ebene der Kommunalpolitik erfolgreich – in Sathmar haben wir Bürgermeister und arbeiten auf lokaler Ebene wunderbar mit der UMDR zusammen –, so sehr, dass wir in Hermannstadt zum fünften Mal in Folge das Rennen um das Bürgermeisteramt gemacht haben: viermal mit Klaus Johannis, einmal mit Astrid Fodor. Und wir stellen nicht nur den Bürgermeister, sondern auch die Mehrheit in der Stadt- verordnetenversammlung, und das, obwohl der Anteil der Deut- schen in dieser südsiebenbürgischen 160.000 Einwohner-Stadt nur zwei Prozent beträgt. Was ist der Grund dafür? Bis 2000 hatte Hermannstadt keinen ernstzunehmenden Bürger- meister. Die Stadt war damals ein graues Provinznest vor dem Zerfall. Nachdem Johannis 2000 gewählt wurde, hat er eine Rei- he Firmen hierher gelockt und legte dadurch den Grundstein für das Wirtschaftswachstum. Die eingezahlten Gewerbesteuerein- nahmen wendete er dafür auf, Blumen zu pflanzen, die Stadt zu verschönern, Gebäude zu renovieren – Marx hatte also Recht, die Wirtschaftsstruktur ist die Basis von allem. In der zweiten Runde der Wahlen von 2000 hat Johannis haushoch gewonnen, aber er hatte keine Mehrheit in der Stadtverordnetenversamm- lung. Damals hat die PSD, die sozialdemokratische Partei – die ja überhaupt nicht sozialdemokratisch, sondern vielmehr post- kommunistisch ist – alles blockiert, damit sich Johannis nicht durchsetzen konnte. SoNNTAGSBLATT