Sonntagsblatt 3/2018 | Page 29

SB: Wie sehen Sie die Situation der Ungarndeutschen in Ih- rem Heimatort Werischwar – im Hinblick auf Sprache, Kultur und Identität - und in Ungarn insgesamt? HSZ: Ich meine, es ist sehr schwer den schwäbischen Dialekt zu pflegen und weiterzugeben. Die Generation, die die Mundart täglich benutzt hat, stirbt langsam aus. In Werischwar – wie auch anderswo – dominiert mittlerweile das Ungarische. Es ist sehr gut, dass die Kinder bereits in der Grundschule Deutsch lernen, vom Schiller-Gymnasium ganz zu schweigen. Genauso bedeu- tend finde ich, dass die Traditionen am Leben erhalten werden. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist es wichtig, die deutsche Sprache - neben dem Englischen - zu beherrschen. HSZ: Es wird für die Zukunft eine sehr große Herausforderung sein, die Kultur, Traditionen und Identität zu erhalten. Es ist stets eine Aufgabe der Eltern, den Kindern bewusst zu machen, dass sie zu dieser Minderheit gehören. Die Rolle der Schule ist wich- tig, aber ohne entsprechenden familiären Hintergrund verfestigt sich nicht, was sie in der Schule erfahren haben. Die Kulturgrup- pen können bei der Bewahrung dieses Erbes auch helfen. Ich habe zum Beispiel 13 Jahre lang in der Werischwarer Ungarn- deutschen Volkstanzgruppe getanzt. SB: Viele Menschen, darunter auch zahlreiche Ungarndeut- sche, suchen ihr Glück im Ausland. Was würden Sie sagen - bleiben oder gehen? HSZ: Bleiben! Wenn jemand in Ungarn Deutsch sprechen kann, kann man auch hier eine gute Arbeit finden. Darüber hinaus ist man dann nicht gezwungen, von der Familie getrennt zu leben. SB: Frau Szakács, vielen Dank für das Interview! Das Gespräch führte Richard Guth. s Das Buch versucht die ungarn- deutsche Gegenwartsliteratur aus neuen Perspektiven der Li- teraturwissenschaft in einem in- terdisziplinären Umfeld darzu- stellen. Ein Überblick über die Rezeption der ungarndeutschen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass neben den verschiedenen Beschreibungsversuchen der wichtigsten Tendenzen, Epo- chen, Generationen und Auto- ren in der Forschung noch zahl- reiche unberührte Gebiete verblieben sind. Als Ausgangs- punkt dieses Buches dient der Korpus der ungarndeutschen Gegenwartsliteratur. Im Sinne der kulturellen Literaturwissenschaft versucht die Forschung auf un- begründete ästhetische Bewertungen zu verzichten. Während der Untersuchung werden immer wieder Einzelwerke in den Mit- telpunkt gestellt, die sich in kultureller, thematischer oder forma- ler Hinsicht für eine komplexe Untersuchung als geeignet erwie- sen haben. Die Auswahl der analysierten Einzeltexte und Bände wurde dadurch bedingt, inwieweit diese fähig sind, die relevan- testen Themen und Formen der Literaturszene zu modellieren. SoNNTAGSBLATT Helmut Herman Bechtel: Eine interkulturelle literarische Landschaft – Die Repräsentationen des Fremden in der ungarndeutschen Gegenwartslite- ratur.- Disserta Verlag, Hamburg 2018 s JBG-Nachrichten Es gibt immer ein Weg zurück SB: Wie lautet Ihre Zukunftsprognose? Literatur Das Buch stellt durch die repräsentativen Texte dieser Minder- heitenliteratur die Kernfragen der ungarndeutschen Geschichte, Sprache und Kultur in den Mittelpunkt der Forschung. Eindrücke aus Tscheb Von Patrik Schwarcz-Kiefer Im April organisierte die Jakob Bleyer Gemeinschaft eine Rei- se in den Geburtsort des größten ungarndeutschen Politikers und Namensgebers des Vereins, Jakob Bleyer, nach Tscheb / Čelarevo. Die 25-köpfige Gruppe hat unter anderem den Fried- hof des Dorfes aufgesucht, wo sie zufälligerweise das Grab der Eltern von Jakob Bleyer gefunden hat, in einem guten Zustand, aber mit einer Inschrift, die nur unter Mühen zu entziffern ist. Es wurde die Entscheidung getroffen, dass die JBG den Grabstein renovieren lässt, und dafür wurde schnell eine schöne Summe gesammelt. Da ich an der Reise aus zeitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte, war es für mich selbstverständlich, dass ich bei den weiteren Schritten des Projekts mitmache und nach Tscheb fahre. Mit Richard Guth sind wir nach sechs Stunden in Tscheb ange- kommen, wo wir von Herrn Georg Stangl empfangen wurden. Wir trafen uns vor der katholischen Kirche des Dorfes, die wir uns gemeinsam angeschaut haben. Die Kirche, die bessere Zei- ten erlebte, voll mit deutschen Aufschriften, spiegelt sehr gut das Schicksal des Dorfes wider: In dem früher fast rein deutschen Dorf leben heute insgesamt 9 Deutsche, zwei von ihnen Zuge- zogene, wie unser Gastgeber Georg Stangl, der väterlicherseits aus Maria-Theresiopel/Subotica in der Nordbatschka stammt, aber dessen Vorfahren im Rahmen der k.u.k. Binnenmigration aus Ödenburg kamen. Die Grabsteine im Friedhof erzählen von einem anderen Dorf, von einem Tscheb, wo mehrheitlich Deut- sche lebten, und wenn man die Gräber genauer anschaut, sieht man, dass sie gut lebten. Ein solches Dorf am Donauufer hatte Bleyer wohl in Erinnerung, das heutige serbische Dorf Čelarevo würde er wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Nach dem kurzen Aufenthalt im Friedhof und der Besprechung der weiteren Schritte der Instandsetzung hatten wir die Gelegen- heit Theresia Becker zu besuchen, die als die „letzte rein Teit- sche im Torf“ lebt. Sie wohnt in ihrem Geburtshaus in jenem Teil des Dorfes, wo die Grundstücke und Häuser bereits kleiner sind als in der Ortsmitte, wo die Familie Bleyers ansässig war. Klein- häusler lebten in diesen Straßen, erzählte Theresia Becker in schönster, aber für uns recht verständlichen Sprache mit einer deutlichen Tendenz zur Mundart. Kein Wunder, besuchte sie in ihrer Kindheit die deutsche Dorfschule, wo sie nach eigenen Angaben ein-zweimal in der Woche serbischer Fremdsprachen- unterricht erteilt wurde, der sich lediglich auf die Vermittlung des Nötigsten beschränkte. Die 92-jährige alte Dame erzählte uns von der Geschichte des Dorfes und von ihren persönlichen Erin- nerungen. Es war sehr beeindruckend, wie sie Satz für Satz bes- ser auf Schwäbisch redete; sie hatte seit 6 Jahren wenig Mög- lichkeit Deutsch zu sprechen, seitdem ihre Schwester mit fast 100 Jahren starb. Es zeigte sich sehr gut, was für Schrecken der Zweite Weltkri eg dem Dorf brachte, als wir Tante Theresia über (Fortsetzung auf Seite 30) 29