SB: Wie sehen Sie die Situation der Ungarndeutschen in Ih-
rem Heimatort Werischwar – im Hinblick auf Sprache, Kultur
und Identität - und in Ungarn insgesamt?
HSZ: Ich meine, es ist sehr schwer den schwäbischen Dialekt
zu pflegen und weiterzugeben. Die Generation, die die Mundart
täglich benutzt hat, stirbt langsam aus. In Werischwar – wie auch
anderswo – dominiert mittlerweile das Ungarische. Es ist sehr
gut, dass die Kinder bereits in der Grundschule Deutsch lernen,
vom Schiller-Gymnasium ganz zu schweigen. Genauso bedeu-
tend finde ich, dass die Traditionen am Leben erhalten werden.
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist es wichtig, die deutsche
Sprache - neben dem Englischen - zu beherrschen.
HSZ: Es wird für die Zukunft eine sehr große Herausforderung
sein, die Kultur, Traditionen und Identität zu erhalten. Es ist stets
eine Aufgabe der Eltern, den Kindern bewusst zu machen, dass
sie zu dieser Minderheit gehören. Die Rolle der Schule ist wich-
tig, aber ohne entsprechenden familiären Hintergrund verfestigt
sich nicht, was sie in der Schule erfahren haben. Die Kulturgrup-
pen können bei der Bewahrung dieses Erbes auch helfen. Ich
habe zum Beispiel 13 Jahre lang in der Werischwarer Ungarn-
deutschen Volkstanzgruppe getanzt.
SB: Viele Menschen, darunter auch zahlreiche Ungarndeut-
sche, suchen ihr Glück im Ausland. Was würden Sie sagen
- bleiben oder gehen?
HSZ: Bleiben! Wenn jemand in Ungarn Deutsch sprechen kann,
kann man auch hier eine gute Arbeit finden. Darüber hinaus ist
man dann nicht gezwungen, von der Familie getrennt zu leben.
SB: Frau Szakács, vielen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Richard Guth.
s
Das Buch versucht die ungarn-
deutsche Gegenwartsliteratur
aus neuen Perspektiven der Li-
teraturwissenschaft in einem in-
terdisziplinären Umfeld darzu-
stellen. Ein Überblick über die
Rezeption der ungarndeutschen
Literatur in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts zeigt,
dass neben den verschiedenen
Beschreibungsversuchen
der
wichtigsten Tendenzen, Epo-
chen, Generationen und Auto-
ren in der Forschung noch zahl-
reiche
unberührte
Gebiete
verblieben sind. Als Ausgangs-
punkt dieses Buches dient der
Korpus der ungarndeutschen Gegenwartsliteratur. Im Sinne der
kulturellen Literaturwissenschaft versucht die Forschung auf un-
begründete ästhetische Bewertungen zu verzichten. Während
der Untersuchung werden immer wieder Einzelwerke in den Mit-
telpunkt gestellt, die sich in kultureller, thematischer oder forma-
ler Hinsicht für eine komplexe Untersuchung als geeignet erwie-
sen haben. Die Auswahl der analysierten Einzeltexte und Bände
wurde dadurch bedingt, inwieweit diese fähig sind, die relevan-
testen Themen und Formen der Literaturszene zu modellieren.
SoNNTAGSBLATT
Helmut Herman Bechtel: Eine interkulturelle literarische Landschaft – Die
Repräsentationen des Fremden in der ungarndeutschen Gegenwartslite-
ratur.- Disserta Verlag, Hamburg 2018
s
JBG-Nachrichten
Es gibt immer ein Weg zurück
SB: Wie lautet Ihre Zukunftsprognose?
Literatur
Das Buch stellt durch die repräsentativen Texte dieser Minder-
heitenliteratur die Kernfragen der ungarndeutschen Geschichte,
Sprache und Kultur in den Mittelpunkt der Forschung.
Eindrücke aus Tscheb
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Im April organisierte die Jakob Bleyer Gemeinschaft eine Rei-
se in den Geburtsort des größten ungarndeutschen Politikers
und Namensgebers des Vereins, Jakob Bleyer, nach Tscheb /
Čelarevo. Die 25-köpfige Gruppe hat unter anderem den Fried-
hof des Dorfes aufgesucht, wo sie zufälligerweise das Grab der
Eltern von Jakob Bleyer gefunden hat, in einem guten Zustand,
aber mit einer Inschrift, die nur unter Mühen zu entziffern ist. Es
wurde die Entscheidung getroffen, dass die JBG den Grabstein
renovieren lässt, und dafür wurde schnell eine schöne Summe
gesammelt. Da ich an der Reise aus zeitlichen Gründen nicht
teilnehmen konnte, war es für mich selbstverständlich, dass
ich bei den weiteren Schritten des Projekts mitmache und nach
Tscheb fahre.
Mit Richard Guth sind wir nach sechs Stunden in Tscheb ange-
kommen, wo wir von Herrn Georg Stangl empfangen wurden.
Wir trafen uns vor der katholischen Kirche des Dorfes, die wir
uns gemeinsam angeschaut haben. Die Kirche, die bessere Zei-
ten erlebte, voll mit deutschen Aufschriften, spiegelt sehr gut das
Schicksal des Dorfes wider: In dem früher fast rein deutschen
Dorf leben heute insgesamt 9 Deutsche, zwei von ihnen Zuge-
zogene, wie unser Gastgeber Georg Stangl, der väterlicherseits
aus Maria-Theresiopel/Subotica in der Nordbatschka stammt,
aber dessen Vorfahren im Rahmen der k.u.k. Binnenmigration
aus Ödenburg kamen. Die Grabsteine im Friedhof erzählen von
einem anderen Dorf, von einem Tscheb, wo mehrheitlich Deut-
sche lebten, und wenn man die Gräber genauer anschaut, sieht
man, dass sie gut lebten. Ein solches Dorf am Donauufer hatte
Bleyer wohl in Erinnerung, das heutige serbische Dorf Čelarevo
würde er wahrscheinlich nicht wiedererkennen.
Nach dem kurzen Aufenthalt im Friedhof und der Besprechung
der weiteren Schritte der Instandsetzung hatten wir die Gelegen-
heit Theresia Becker zu besuchen, die als die „letzte rein Teit-
sche im Torf“ lebt. Sie wohnt in ihrem Geburtshaus in jenem Teil
des Dorfes, wo die Grundstücke und Häuser bereits kleiner sind
als in der Ortsmitte, wo die Familie Bleyers ansässig war. Klein-
häusler lebten in diesen Straßen, erzählte Theresia Becker in
schönster, aber für uns recht verständlichen Sprache mit einer
deutlichen Tendenz zur Mundart. Kein Wunder, besuchte sie
in ihrer Kindheit die deutsche Dorfschule, wo sie nach eigenen
Angaben ein-zweimal in der Woche serbischer Fremdsprachen-
unterricht erteilt wurde, der sich lediglich auf die Vermittlung des
Nötigsten beschränkte. Die 92-jährige alte Dame erzählte uns
von der Geschichte des Dorfes und von ihren persönlichen Erin-
nerungen. Es war sehr beeindruckend, wie sie Satz für Satz bes-
ser auf Schwäbisch redete; sie hatte seit 6 Jahren wenig Mög-
lichkeit Deutsch zu sprechen, seitdem ihre Schwester mit fast
100 Jahren starb. Es zeigte sich sehr gut, was für Schrecken der
Zweite Weltkri eg dem Dorf brachte, als wir Tante Theresia über
(Fortsetzung auf Seite 30)
29