Sonntagsblatt 3/2018 | Page 22

Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa Deutsche Volksgruppen
Die deutsche Sprache im Karpatenbecken

( Geschichte, aktuelle Situation und Entwicklungen) s

Die jüdische Bevölkerung hatte in Österreich-Ungarn im Vergleich zu den Ländern im Osten und Südosten, trotz des zunehmenden Antisemitismus weitgehend Toleranz erfahren. Die Juden in der Monarchie waren unter der langen Herrschaft Franz Josephs emanzipiert worden und betrachteten ihn als Schutzherr. Sogar eine philosemitische Neigung wurde ihm zugeschrieben. Fanatische Antisemiten bezeichneten Franz Joseph, als er sich oftmals weigerte Karl Lueger wegen dessen antisemitischen Polemiken zum Wiener Bürgermeister zu ernennen, sogar als „ Judenkaiser“.
Von Nelu Bradean-Ebinger Teil 2
In der österreichischen Reichshälfte stellten die Deutschsprachigen mit etwa einem Drittel die relative Bevölkerungsmehrheit. Sie lebten in den Alpen- und Donauländern sowie in Teilen der böhmischen Länder in geschlossenen Siedlungsgebieten, in Galizien und der Bukowina als kleinere Gruppen. Das Entstehen von Nationalbewegungen in allen Teilen des östlichen Europa führte zu einer Erschütterung des habsburgischen Vielvölkerreiches, das nach dem Ersten Weltkrieg in zahlreiche kleinere Staaten zerfiel, in denen die Deutschsprachigen lediglich in der Republik Österreich die Bevölkerungsmehrheit bildeten.
Umgangssprachen nach der Volkszählung 1910 Sprache Absolutzahl Prozent
Deutsch: 12.006.521 = 23,36 % Ungarisch: 10.056.315 = 19,57 % Tschechisch: 6.442.133 = 12,54 % Polnisch: 4.976.804 = 9,68 % Kroatisch und Serbisch: 4.380.891 = 8,52 % Ukrainisch( Ruthenisch): 3.997.831 = 7,78 % Rumänisch: 3.224.147 = 6,27 % Slowakisch: 1.967.970 = 3,83 % Slowenisch: 1.255.620 = 2,44 % Italienisch: 768.422 = 1,50 % Sonstige: 2.313.569 = 4,51 % Insgesamt: 51.390.223 = 100,00 %
Die folgende Tabelle zeigt die Verteilung der Religionen in Österreich-Ungarn. Während die österreichische Reichshälfte ganz überwiegend katholisch war( meist römisch-katholisch, im östlichen Galizien auch griechisch-katholisch), gab es im östlichen Ungarn eine zahlenmäßig bedeutende protestantische( meist reformierte) Minderheit. Die jüdische Bevölkerung konzentrierte sich in den östlichen Landesteilen, vor allem in Galizien, wo sie im Durchschnitt etwa 10 % ausmachte. Die deutschsprachigen Alpenländer hatten ursprünglich nur eine verschwindend geringe jüdische Bevölkerungszahl, allerdings nahm der jüdische Bevölkerungsanteil in der rasch wachsenden Metropole Wien durch Zuwanderung aus dem Osten der Monarchie stark zu und lag im Jahr 1910 bei etwa 8,8 %. Andere Städte mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil waren( 1910): Budapest( 23,4 %), Prag( 9,4 %), Lemberg( 28,2 %), Krakau( 28,2 %), Czernowitz( 32,4 %). 1910 lebten 1.225.000 Juden in Cisleithanien, 911.227 im Königreich Ungarn und 21,231 im Königreich Kroatien und Slawonien. Sie stellten in der österreichischen 4,7 % und in der ungarischen Reichshälfte 5,0 % der dortigen Gesamtbevölkerung. In Kroatien und Slawonien 0,8 %. In Bosnien-Herzegowina war etwa ein Drittel der Bevölkerung islamischen Glaubens.
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Magyarisierungspolitik in Ungarn
Nach dem Ausgleich mit Österreich kam es 1868 innerhalb der ungarischen Reichshälfte zu einem ungarisch-kroatischen Ausgleich, in welchem Kroatien und Slawonien eine beschränkte Autonomie zugestanden wurde. In den anderen Teilen Ungarns nahmen die Spannungen unter den Volksgruppen jedoch zu. Gründe für diese Spannungen waren sowohl die Magyarisierungspolitik der ungarischen Regierung als auch die Zunahme der Intoleranz der Nationalitäten untereinander. Im Gegensatz zu den im Königreich Ungarn lebenden Minderheiten wie Slowaken oder Rumänen hatte der Nationalismus der Magyaren die Staatsmacht auf seiner Seite und war somit in der stärkeren Position, obwohl die ethnischen Ungarn nur etwa die Hälfte der Bevölkerung stellten.
Die Umsetzung der an sich liberalen Minderheitengesetzgebung hatte in einer solchen Atmosphäre kaum Erfolg. Das Nationalitätengesetz von 1868 bestimmte zwar Ungarisch als Staatssprache, ließ jedoch Minderheitensprachen auf regionaler, lokaler und kirchlicher Ebene zu. Doch diese Regelung wurde oft nicht
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