Dabei kommt es ohne Zweifel auf die Qualität des Unterricht
an, insbesondere eines zweisprachigen Unterrichts. Denn eins ist
sicher: Nur der zweisprachige Unterricht (bis auf wenige Aus -
nahmen) vermag es, eine Chance auf die Weitergabe der deut-
schen (Urgroß-)Muttersprache zu bieten. Eine Chance, keine Ga -
rantie. Schulen in der Trägerschaft sind profilbedingt eher in der
Lage, die Bilingualisierung voranzutreiben. Dies erfordert aber
ein aktives Zutun auch der Minderheitenkörperschaften auf Lan -
desebene. Man mag eine folkloristische Scheinkultur lange am
Leben erhalten, hier kommt man immer wieder gerne mit dem
Beispiel der Iren, aber als inhaltsleer und fernab von jeglicher
Authentizität bleibt diese nur eine Rituale.
So haben die Akteure die Wahl. Man kann sich natürlich um
zweisprachige Straßenschilder, Behördenaufschriften und Bro -
schüren bemühen, wenn im Kern diese Zweisprachigkeit fehlt. Und
diese Bilingualität kann nur noch die Schule gewährleisten. Besser
in eigener Hand als in fremder. Das steht nun auf dem Spiel.
O
Rückschau – in Fortsetzungen:
DER VERWEIGERTE UNTERRICHT IN DER MUTTERSPRACHE –
DIE UNTERDRÜCKUNG UNSERER
DEUTSCHEN KULTUR IN UNGARN
Reminiszenzen eines in Weindorf bei Budapest geborenen
und aufgewachsenen Donauschwaben 1 – 1. Teil
Cornelius Mayer
Wovon das Herz voll ist, fließt der Mund über, sagt das Sprich wort.
Ehe ich beginne, mein Herz im Blick auf mein Thema vor Ihnen
auszuschütten, will ich freimütig bekenne n, dass ich ein Lieb haber
der ungarischen Kultur im umfassenden Sinn dieses Wortes 2 bin.
Meine Wohnung legt beredtes Zeugnis davon ab: Ich schmücke
sie mit Stickereien aus Kalocsa und Matyó; ich bewirte meine
Gäste aus Herendem Porzellan; ich fülle die Zeiten der Muße
nicht selten mit Hören der Musik von Béla Bartók 3 , Zoltán
Kodály 4 sowie berühmter Zigeuner aus und singe gerne ungari-
sche Volkslieder; ich schätze die ungarische Malerei, besitze sogar
einige wertvollere Gemälde und Skulpturen; allem voran aber bin
ich stolz auf die noch vorhandenen Kenntnisse der ungarischen
Sprache, was mir von Zeit zu Zeit einen ungewöhnlichen literari-
schen Genuss bereitet. Einen solchen hatte ich wieder vor etwa
drei Wochen, als ich Sándor Petôfis 5 Roman, A hóhér kötele – Des
Henkers Strick, las.
Und dennoch geriet mein Referat, das Sie von mir zur Feier
anlässlich des Gedenkens an die Vertreibung vor 50 Jahren erwar-
ten, zu einer Jeremiade, zu einem Klagelied. Wer klagt, klagt auch
an. Ich klage den ungarischen Staat an, weil er mir in meiner
Kind heit und Jugend das verweigert hatte, was mir aufgrund des
Völkerrechtes zugestanden hätte, den schulischen Unterricht in
meiner Muttersprache. Mit Muttersprache meine ich in diesem
Fall nicht den deutschen Dialekt des Ofener und Pilischer Berg -
landes, sondern das Hochdeutsch, dessen Kenntnis man sich in
der Schule aneignen muss, weil sonst der notwendige, die Kultur
zugleich vorantreibende Gedankenaustausch unter den Stämmen
eines Volkes (zwischen Bayern und Friesen z.B.) nicht funktio-
nierte. Als mich die Machthaber 1946 aus Ungarn auswiesen, fehl-
te mir die sogenannte Sprachkompetenz 6 , die Fähigkeit mit der
Hochsprache in meiner neuen Umgebung souverän umzugehen.
Mit der fehlenden Sprachkompetenz empfand ich das Vaterland
meiner Ahnen, in das ich zurückgekehrt bin, als Fremde, deren
Kultur ich in Ungarn weithin entfremdet worden bin. Es mag
Landsleute gegeben haben und immer noch geben, die dies nicht
so empfanden und empfinden. Viele werden jedoch mehr oder
weniger ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Ehe ich auf meinen bzw. auf unseren schulischen Unterricht,
den wir in unserer Gemeinde Weindorf erhielten, ausführlicher zu
sprechen komme, will ich zunächst in einem historischen Über-
blick und in gebotener Kürze auf die Gesetze eingehen, durch die
der ungarische Staat die Ausbildung seiner nichtmadjarischen
Bürger regelte. Ich werde sodann kurz bei den sogenannten Dorf -
potentaten in unserer Gemeinde der Zwischenkriegszeit verwei-
len, die aus einem völlig unangebrachten patriotischen Eifer die
chauvinistische Schulpolitik der jeweiligen ungarischen Regierung
unterstützten und viel zum kulturellen Identitätsverlust unserer
deutschsprachigen Gemeinde beitrugen.
Nach dem Urteil der katholischen Bischöfe waren die deut-
schen Schulen älter und qualitativ auch besser als die ungarischen
und die der übrigen Nationalitäten 7 . In dem Artikel Svábok – Die
Schwaben im Katholikus Lexikon – Katholisches Lexikon Band IV,
steht schwarz auf weiß zu lesen: „A Svábok átlag jobbmódúak, mint
a magyarok és valamivel mûveltebbek is (a németek közt 9,5% a
magyarok közt 13,7% az analfabéta) – Die Schwaben sind im
Durchschnitt besser situiert als die Ungarn und in etwa auch gebilde-
ter (unter den Deutschen beträgt der Anteil der Analphabeten 9,5%,
unter den Ungarn 13,7%)”. Allerdings fährt der Artikel vielsagend
weiter: „a közép- és a fôiskolát végzetek tekintetében azonban messze
elmaradnak a magyarok mögött, bizonyára fôleg azért, mert a nagy-
obb mûveltségû ‘svábok’ már magyar anyanyelvûnek vallják magukat
– bezüglich der Absolventen der Mittel- und der Hochschule aller -
dings bleiben sie weit hinter den Ungarn zurück, und zwar hauptsäch-
lich deshalb, weil die gebildeteren Schwaben sich bereits zur unga -
rischen Muttersprache bekennen” 8 .
Verständlicherweise verfolgte die Kaiserin Maria Theresia, der
die Wiederbesiedlung Ungarns ein eminent wichtiges Anliegen
war, eine Schulpolitik, die der Nationalitätenvielfalt Ungarns
Rech nung trug. 1777 erließ sie mit dem Dokument Ratio Educa -
tionis – Grundsatz der Erziehung, einen großangelegten Plan zur
Unterrichts- und Erziehungsreform, aus dem hervorging, dass das
Schulsystem nicht uniformiert sein dürfe, sondern der Nationalitä -
tenvielfalt Österreich/Ungarns anzupassen sei. Die Nationalitäten
sollten eigene Schulen und Schulbücher erhalten, die Lehrkräfte
an diesen Schulen sollten „nicht nur ihre eigene Muttersprache voll-
ständig beherrschen, sondern darüber hinaus auch in den häufigeren
Sprachen des Landes bewandert sein” 9 . Kaiser Josef II. rief dann
durch seine absolutistische, das Deutschtum allein fördernde
Schulpolitik jene Kräfte in Ungarn auf die kulturpolitische Bühne,
die die Madjarisierung auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens
zum strikten Programm erklärten. Kein Geringerer als Graf Stefan
Széchenyi 10 gab 1841 die Losung aus, das Anliegen der Assimi -
lation 11 , die nationale Einverleibung aller Nichtmadjaren, sei eines
jeden Madjaren heiligste Pflicht 12 . Der Gesetzesartikel II, §9 von
1844 bestimmt, „in den Schulen innerhalb der Landesgrenzen soll
das Ungarische die Unterrichtssprache sein”, nachdem schon zuvor
zwischen 1830 und 1840 die Sprache der Gesetzgebung, der
Rechtssprechung sowie der Verwaltung das Ungarische geworden
ist 13 . Der sogenannte Ausgleich – kiegyezés zwischen Österreich
und Ungarn brachte 1867 eine gewisse Lockerung in der Nationa -
litätenpolitik. Das Ungarische wird zwar im Gesetzesartikel XLIV
von 1868 zur Staatssprache deklariert, zugleich wird aber der Staat
verpflichtet, seinen Bürgern den Muttersprachunterricht zu
gewährleisten und an den Universitäten sogar Lehrstühle zuguns-
ten der Nationalitäten zu errichten. In dem im gleichen Jahr ver-
abschiedeten und von Baron Josef Eötvös 14 angeregten Geset -
zesartikel XXXVIII, §58 heißt es: „Jeder Schüler soll den Unterricht
in seiner Muttersprache erhalten, sofern diese eine der in der betref-
(Fortsetzung a uf Seite 8)
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