Sonntagsblatt 3/2015 | Page 7

Dabei kommt es ohne Zweifel auf die Qualität des Unterricht an, insbesondere eines zweisprachigen Unterrichts. Denn eins ist sicher: Nur der zweisprachige Unterricht (bis auf wenige Aus - nahmen) vermag es, eine Chance auf die Weitergabe der deut- schen (Urgroß-)Muttersprache zu bieten. Eine Chance, keine Ga - rantie. Schulen in der Trägerschaft sind profilbedingt eher in der Lage, die Bilingualisierung voranzutreiben. Dies erfordert aber ein aktives Zutun auch der Minderheitenkörperschaften auf Lan - desebene. Man mag eine folkloristische Scheinkultur lange am Leben erhalten, hier kommt man immer wieder gerne mit dem Beispiel der Iren, aber als inhaltsleer und fernab von jeglicher Authentizität bleibt diese nur eine Rituale. So haben die Akteure die Wahl. Man kann sich natürlich um zweisprachige Straßenschilder, Behördenaufschriften und Bro - schüren bemühen, wenn im Kern diese Zweisprachigkeit fehlt. Und diese Bilingualität kann nur noch die Schule gewährleisten. Besser in eigener Hand als in fremder. Das steht nun auf dem Spiel. O Rückschau – in Fortsetzungen: DER VERWEIGERTE UNTERRICHT IN DER MUTTERSPRACHE – DIE UNTERDRÜCKUNG UNSERER DEUTSCHEN KULTUR IN UNGARN Reminiszenzen eines in Weindorf bei Budapest geborenen und aufgewachsenen Donauschwaben 1 – 1. Teil Cornelius Mayer Wovon das Herz voll ist, fließt der Mund über, sagt das Sprich wort. Ehe ich beginne, mein Herz im Blick auf mein Thema vor Ihnen auszuschütten, will ich freimütig bekenne n, dass ich ein Lieb haber der ungarischen Kultur im umfassenden Sinn dieses Wortes 2 bin. Meine Wohnung legt beredtes Zeugnis davon ab: Ich schmücke sie mit Stickereien aus Kalocsa und Matyó; ich bewirte meine Gäste aus Herendem Porzellan; ich fülle die Zeiten der Muße nicht selten mit Hören der Musik von Béla Bartók 3 , Zoltán Kodály 4 sowie berühmter Zigeuner aus und singe gerne ungari- sche Volkslieder; ich schätze die ungarische Malerei, besitze sogar einige wertvollere Gemälde und Skulpturen; allem voran aber bin ich stolz auf die noch vorhandenen Kenntnisse der ungarischen Sprache, was mir von Zeit zu Zeit einen ungewöhnlichen literari- schen Genuss bereitet. Einen solchen hatte ich wieder vor etwa drei Wochen, als ich Sándor Petôfis 5 Roman, A hóhér kötele – Des Henkers Strick, las. Und dennoch geriet mein Referat, das Sie von mir zur Feier anlässlich des Gedenkens an die Vertreibung vor 50 Jahren erwar- ten, zu einer Jeremiade, zu einem Klagelied. Wer klagt, klagt auch an. Ich klage den ungarischen Staat an, weil er mir in meiner Kind heit und Jugend das verweigert hatte, was mir aufgrund des Völkerrechtes zugestanden hätte, den schulischen Unterricht in meiner Muttersprache. Mit Muttersprache meine ich in diesem Fall nicht den deutschen Dialekt des Ofener und Pilischer Berg - landes, sondern das Hochdeutsch, dessen Kenntnis man sich in der Schule aneignen muss, weil sonst der notwendige, die Kultur zugleich vorantreibende Gedankenaustausch unter den Stämmen eines Volkes (zwischen Bayern und Friesen z.B.) nicht funktio- nierte. Als mich die Machthaber 1946 aus Ungarn auswiesen, fehl- te mir die sogenannte Sprachkompetenz 6 , die Fähigkeit mit der Hochsprache in meiner neuen Umgebung souverän umzugehen. Mit der fehlenden Sprachkompetenz empfand ich das Vaterland meiner Ahnen, in das ich zurückgekehrt bin, als Fremde, deren Kultur ich in Ungarn weithin entfremdet worden bin. Es mag Landsleute gegeben haben und immer noch geben, die dies nicht so empfanden und empfinden. Viele werden jedoch mehr oder weniger ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Ehe ich auf meinen bzw. auf unseren schulischen Unterricht, den wir in unserer Gemeinde Weindorf erhielten, ausführlicher zu sprechen komme, will ich zunächst in einem historischen Über- blick und in gebotener Kürze auf die Gesetze eingehen, durch die der ungarische Staat die Ausbildung seiner nichtmadjarischen Bürger regelte. Ich werde sodann kurz bei den sogenannten Dorf - potentaten in unserer Gemeinde der Zwischenkriegszeit verwei- len, die aus einem völlig unangebrachten patriotischen Eifer die chauvinistische Schulpolitik der jeweiligen ungarischen Regierung unterstützten und viel zum kulturellen Identitätsverlust unserer deutschsprachigen Gemeinde beitrugen. Nach dem Urteil der katholischen Bischöfe waren die deut- schen Schulen älter und qualitativ auch besser als die ungarischen und die der übrigen Nationalitäten 7 . In dem Artikel Svábok – Die Schwaben im Katholikus Lexikon – Katholisches Lexikon Band IV, steht schwarz auf weiß zu lesen: „A Svábok átlag jobbmódúak, mint a magyarok és valamivel mûveltebbek is (a németek közt 9,5% a magyarok közt 13,7% az analfabéta) – Die Schwaben sind im Durchschnitt besser situiert als die Ungarn und in etwa auch gebilde- ter (unter den Deutschen beträgt der Anteil der Analphabeten 9,5%, unter den Ungarn 13,7%)”. Allerdings fährt der Artikel vielsagend weiter: „a közép- és a fôiskolát végzetek tekintetében azonban messze elmaradnak a magyarok mögött, bizonyára fôleg azért, mert a nagy- obb mûveltségû ‘svábok’ már magyar anyanyelvûnek vallják magukat – bezüglich der Absolventen der Mittel- und der Hochschule aller - dings bleiben sie weit hinter den Ungarn zurück, und zwar hauptsäch- lich deshalb, weil die gebildeteren Schwaben sich bereits zur unga - rischen Muttersprache bekennen” 8 . Verständlicherweise verfolgte die Kaiserin Maria Theresia, der die Wiederbesiedlung Ungarns ein eminent wichtiges Anliegen war, eine Schulpolitik, die der Nationalitätenvielfalt Ungarns Rech nung trug. 1777 erließ sie mit dem Dokument Ratio Educa - tionis – Grundsatz der Erziehung, einen großangelegten Plan zur Unterrichts- und Erziehungsreform, aus dem hervorging, dass das Schulsystem nicht uniformiert sein dürfe, sondern der Nationalitä - tenvielfalt Österreich/Ungarns anzupassen sei. Die Nationalitäten sollten eigene Schulen und Schulbücher erhalten, die Lehrkräfte an diesen Schulen sollten „nicht nur ihre eigene Muttersprache voll- ständig beherrschen, sondern darüber hinaus auch in den häufigeren Sprachen des Landes bewandert sein” 9 . Kaiser Josef II. rief dann durch seine absolutistische, das Deutschtum allein fördernde Schulpolitik jene Kräfte in Ungarn auf die kulturpolitische Bühne, die die Madjarisierung auf allen Ebenen des öffentlichen Lebens zum strikten Programm erklärten. Kein Geringerer als Graf Stefan Széchenyi 10 gab 1841 die Losung aus, das Anliegen der Assimi - lation 11 , die nationale Einverleibung aller Nichtmadjaren, sei eines jeden Madjaren heiligste Pflicht 12 . Der Gesetzesartikel II, §9 von 1844 bestimmt, „in den Schulen innerhalb der Landesgrenzen soll das Ungarische die Unterrichtssprache sein”, nachdem schon zuvor zwischen 1830 und 1840 die Sprache der Gesetzgebung, der Rechtssprechung sowie der Verwaltung das Ungarische geworden ist 13 . Der sogenannte Ausgleich – kiegyezés zwischen Österreich und Ungarn brachte 1867 eine gewisse Lockerung in der Nationa - litätenpolitik. Das Ungarische wird zwar im Gesetzesartikel XLIV von 1868 zur Staatssprache deklariert, zugleich wird aber der Staat verpflichtet, seinen Bürgern den Muttersprachunterricht zu gewährleisten und an den Universitäten sogar Lehrstühle zuguns- ten der Nationalitäten zu errichten. In dem im gleichen Jahr ver- abschiedeten und von Baron Josef Eötvös 14 angeregten Geset - zesartikel XXXVIII, §58 heißt es: „Jeder Schüler soll den Unterricht in seiner Muttersprache erhalten, sofern diese eine der in der betref- (Fortsetzung a uf Seite 8) 7