Sonntagsblatt 3/2015 | Page 10

ler , will ich eine mir bekannte Begebenheit aus meiner Heimat anführen . Es war im Kriegsjahr 1943 , als einem Großbauern eines Nachts die Fensterscheiben eingeschlagen wurden . Die Täter konnten nicht gefasst werden , aber müssen „ unbedingt ” Volks - bündler gewesen sein , war die offizielle Meinung . Leicht möglich . Denn : Einige Wochen vorher hatte dieser reiche Schwabe seinen Taglöhnern nur den halben Lohn ausbezahlt , weil diese während der Arbeit deutsche Lieder gesungen haben , was doch sicherlich zu Lasten einer guten Arbeit gehen musste . So einfach ! Gegen Übergriffe auf der einen Seite hat man sich mit Übergriffen von der anderen Seite ( manchmal ) gewährt . Und wer war nun schuld daran ? Immer der Bösewicht Volksbund – natürlich .
Auch in den Werken unseres Schwabenhistorikers Georg Ritter aus Solymár wimmelt es von Untaten des Volksbundes , worüber Augenzeugen berichten . Sie berichten so , wie man es heutzutage erwartet ! Auf Hintergründe , Ursachen versucht auch er nicht einzugehen . Die Hauptsache : Man hat einen Sündenbock , der dem Zeitgeist allenthalben entspricht . Dazu werden dann sogar auch „ Geständnisse ehemaliger Bündler ” eingeholt .
Nicht unerwähnt will ich meinen Landsmann Stefan Raile ( eigent lich Schoblocher !) lassen , der als Vertriebener und gebildeter Journalist in seinen Erzählungen sich hauptsächlich mit seiner alten Heimat ( die auch meine ist ) befasst . Er bringt viele Beispiele aus dem damaligen Waschkut , die sich dort ( oder eben nur in seiner Phantasie ) zugetragen haben sollen , jedenfalls Wirklichkeit vortäuschend geschildert werden . Unser Stefan war 1944 eben 6- 7 Jahre alt . Da will er „ auf dem Heimweg aus dem Kindergarten kommend ”* gesehen haben , wie Volksbund-Leute das Geschäft des Juden Armin ( Blechner Armin , Schwiegersohn des im Dorf wohlbekannten und geschätzten jüdischen Kaufmannes Josef Krauss ) plündern . Armin und Familie habe man vorher in die auf der Hauptgasse durchs Dorf getriebene Judenkolonne abgeführt … Ich selber war damals 16 und kann mich so erinnern : Die Familie Krauss-Bechtler wurde ( Mai – Juni 1944 ?) von ungarischen Gendarmen in die Kreisstadt Baja abtransportiert . Wochen da - nach hat die Gemeindeordonnanz das Mobiliar aus Wohnung und Geschäft zu einer Sammelstelle gebracht . Die Volksbündler hatten mit dieser ganzen Sache nichts zu tun ! Aber als dann im August eine große Judenkolonne durch den Ort getrieben wurde , an der Spitze ein SS-Offizier hoch zu Ross , beiderseits der Ko - lonne bewaffnete ( SS ) Bosniaken , da waren es Volksbund-Frauen , die bei dem Offizier erwirkten , dass unser junger jüdischer Lands - mann ( einst mein Spielgefährte ) Edi Schwartz , den man in der Kolonne erkannte , für zwei Stunden „ nach Hause ” entlassen wurde ( wofür die Volksbund-Frauen als mögliche „ Geisel ” haften mussten ). Die Kolonne durfte inzwischen am Straßenrand rasten und Edi wurde – nachdem er gebadet , frisch angezogen und gut verköstigt und beschenkt worden war – wieder ( leider ) der Truppe zugeführt .
Ja , so war es damals . Das ist ( auch ) Geschichte , die unsere jüngeren Generationen nicht kennen bzw . wenn doch , falsch serviert bekommen und das sie dann glauben sollen / müssen .
Merkwürdig ist immerhin , dass niemand es aussprechen wagt , was bestimmt viele sich denken .
* … er ( Raile ) setzt sich auch mit den Reaktionen der Dorfgemeinschaft auseinander , als die Scharfmacher und Hetzer aus den Reihen der Volksbündler das Dorf spalten . So kommt er einige Male auf die Geschichte des jüdischen Ladenbesitzers Armin zu sprechen , ein freundlicher Mann , der ihm immer wieder eine Süßigkeit zusteckte : „ Leute , die ich gut kenne und für redlich gehalten habe , plündern Armins Eckladen , kaum dass er mit Frau und Sohn von ungarischen Gendarmen zur langen Kolonne auf der Großgasse geführt worden ist ….” ( der NZ entnommen )

Ein Schlag ins Wasser

Merkwürdig , wie unser ungarndeutsches Wochenblatt , die Neue Zeitung , sich im Leitartikel ihrer Nummer vom 13 . März 2015 , betitelt mit Selbstverwaltung , Föderalismus , Sachkenntnis , über die Geschichte unserer jüngsten Vergangenheit äußert . Schade , dass der Autor des Artikels nicht genannt ist , – jedenfalls muss er sehr vergesslich sein oder aber noch nicht dazugekommen sein die Geschehnisse in der Volksgruppe von gut vor zwanzig Jahren zu studieren oder auswerten zu können . Im Artikel wird nämlich behauptet : 1 ) „… begann die Arbeit der am 11 . März 1995 gewählten 53-köpfigen Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen . Das » Parlament der Ungarndeutschen « verfügte … über eine demokratische Legitima - tion und …”
Wie ist es mit dieser Legitimation ? Kommt sie vom „ deutschen Volk in Ungarn ”? Nein , – dieses ungarndeutsche Parlament wurde vom ungarischen Volk , d . h . von allen zugelassenen Wählern des Landes , egal welcher Nationalität zugehörig , gewählt . Somit kann sie wohl für den ungarischen Staat und eben auch der ungarischen Nation legitim sein . Aber für uns Ungarndeutsche ? Inzwischen wurde öfter und viel an den Wahlregeln geändert ( dank dem Drauf gängertum des früheren Minderheiten-Ombudsmannes , Jenô Kaltenbach ), doch die Gefühlswelt des Ausgangspunktes ( Legitimation von 1995 ) hat sich vererbt , dieses „ Fundament ” ist im Handeln des „ Volksgruppen-Parlaments ” bis heute dominant und fühlbar .
Wir haben heute ein ungarndeutsches Volksgruppen-Parlament ( genannt Landesselbstverwaltung ), ganz nach sozialistisch – volksdemokratischem Muster , in welchem es keine Opposition gibt und somit stets „ einstimmig ” abgestimmt werden kann . 2 ) „… aber die LdU ging beharrlich – auch Rückschläge hinnehmend – den Weg des allmählichen Ausbaus der kulturellen Autonomie …”
Nun ja , „ Gut Ding braucht Weile ” sagt das Sprichwort , deshalb sind auch die vergangenen 20 Jahre zu wenig gewesen um einen nennenswerten Fortschritt im Ausbau der kulturellen Autonomie zu erreichen . Das vielgepriesene Programm „ Wurzeln und Flü - gel ” kommt seit Jahren nicht zur richtigen Entfaltung , – die Wur - zeln scheinen faul und die Flügel lahm zu sein . Die erwähnten Eckpfeiler haben auch keinen festen Stand . 3 ) Vor zwanzig Jahren ist die „ Verbandsära ” zu Ende gegangen … hat er ( der Verband ) versucht , die Möglichkeiten im Einparteienstaat auszunutzen und die Pflege von Sprache und Kultur zu fördern . Die demokratische Wende hat aber die Verbandsführung verschlafen und die Entstehung einer echten ungarndeutschen Zivilsphäre zu verhindern versucht . Nur folgerichtig , dass er am 10 März 1995 aufgelöst wurde .
Ja , der Verband der deutschen Werktätigen in Ungarn , zuletzt nur mehr Verband der Deutschen in Ungarn ( damals war der Begriff Ungarndeutsche noch nicht geläufig ) hat Jahrzehnte hindurch unter schwersten Bedingungen im „ himmlischen Sozialis - mus ” für ein Wiederbeleben und Überleben des ungarländischen Deutschtums gekämpft . Gekämpft ? – ist bestimmt übertrieben , – jedenfalls dafür gearbeitet . Kämpfen war ja unmöglich , doch ermuntern , versuchen , durchhalten brachte immerhin auch einige Erfolge . Immerhin so viel , dass die Volksgruppe aufatmen konnte . Und in der Wendezeit , in den letzten 10 Jahren seines Beste - hens hat der Verband bereits kämpferische Töne angeschlagen , Ziele und Aufgaben vorgegeben und zuletzt auch schon konkrete Wünsche / Bedingungen an „ Partei und Regierung ” ( wie es damals üblich war ) eingereicht . Der Verband hat die Wende also nicht verschlafen ! Zwistigkeiten innerhalb des Verbands haben jedoch die Arbeit gelähmt . Der Verband war an der Schaffung einer wirklichen Zivilsphäre interessiert – die wollte er bestimmt nicht ver-
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