Sonntagsblatt 3/2015 | Page 12

mit ihnen, wie es Volksbund- und SS-Ungesetzlichkeiten während des Krieges gab, nicht selten gegen mit den Madjaren freundschaftlich verbundene Deutsche, aber im Ganzen hatte das madjarische Volk Mitleid mit ihren Landsleuten deutscher Zunge, man versteckte sie oft auch zur Zeit der SS-Zwangsrekrutierungen und Aussiedlung. Auch darum geht es im Dokumentarfilm „ Együtt- élés”(„ Zusammenleben”) von Lívia Gyarmathy, die sie in den 1980er Jahren drehte, und die auf einem deutschen Dokumen- tarfilmfestival prämiert wurde.
Übersetzung aus dem Ungarischen von Richard Guth
Der Verfasser ist Professor emeritus.

Die Potsdam-Legende, die mit uns lebt

Antwort auf den Artikel „ Die Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung” von Bertalan Andrásfalvy Von Réka Marchut – Pál Pritz Erschienen in der Tageszeitung „ Magyar Nemzet”, 4. März 2015.
„ Bislang haben weder die Geschichtsschreibung noch der schulische Geschichtsunterricht für die ungarische Öffentlichkeit mit der notwendigen Gründlichkeit das Schicksal unseres Volkes, Landes und unserer Staatsführung geklärt und dargestellt”, lesen wir in dem Artikel von Bertalan Andrásfalvy, der am 06. Februar in der „ Magyar Nemzet” erschienen ist. In der Tat, das ist so noch nicht geschehen, weil es so auch nicht passieren konnte. Im Jahre 2015 in dieser Angelegenheit von den ungarischen Historikern Rechenschaft zu fordern, ist völliger Unsinn. Das bedeutet aber nicht, dass die ungarische Geschichtsschreibung nicht zahlreiche Aspekte der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht aufgedeckt und einer breiteren Öffentlichkeit gründlich vorgestellt hätte. Ge- nauso gründlich aufgedeckt wurde diejenige Frage der Ver trei- bung der Ungarndeutschen, ob die Vertreibung auf Initiative der damaligen ungarischen Regierung hin oder aufgrund des Pots da- mer Beschlusses der Großmächte durchgeführt wurde. Dieser Frage widmet sich eine ausführliche Fachliteratur. Deshalb behaupten wir, dass unser Geschichtsbewusstsein mit Sicherheit verletzt wird, wenn wir sowas lesen: „ Denn die Aus- siedlung der Ungarndeutschen begann nicht aus dem Willen des ungarischen Staates, der damaligen Regierung und des Ungari- schen Parlaments heraus, sondern auf eine Anweisung des Allier- ten Kontrollrates hin, die er am 30. November 1945 an den ungarischen Ministerpräsidenten Zoltán Tildy schickte( 12 330 ME. r./ 1945).” Als dessen Dementi sei hier aufgeführt: Die Potsdamer Konferenz fand vom 17. Juli bis zum 02. August 1945 statt. Davor gab es jedoch konkrete Schritte in Ungarn. Am 28. November 1944 warf im Rahmen der politischen Versammlung der Kleinlandwirtepartei in Fünfkirchen Fernc Nagy erstmalig die Frage der Vertreibung der Deutschen auf. Diese Frage rückte aber erst im Frühjahr 1945 – nach dem Rückzug der deutschen Truppen aus Ungarn – in den Vordergrund. Als erste Station des kollektiven Zur-Rechenschaft-Ziehens ist die Bodenreform, die am 17. März 1945 in Kraft trat, zu betrachten, die unter anderen diejenige mit einer Konfiszierung des Bodenbesitzes belegte, die Volksbund-Mitglieder waren, sich freiwillig in die SS gemeldet haben, ihre Namen wieder eindeutschen ließen sowie die Kriegs- verbrecher und Volksfeinde. Gleichzeitig zur Durchführung der Bodenreform begannen die Internierungen. Die Deutschen wurden massenhaft – unter anderem – im Zusammenhang mit religiösen Festen interniert. Ebenso im Frühjahr 1945 nahm György Bodor tausenden Deutschen im Komitat Tolnau ihre Häuser, ließ sie zusammenziehen oder ins Lager von Lendl internieren, damit er die flüchtenden Bukowinasekler ansiedeln konnte.
Am 10. Mai 1945 wurde das Amt für Volksfürsorge aufgestellt, zu dessen Aufgaben die „ Vertreibung der faschistischen Deut- schen” war. Zuvor, April 1945, begann eine Presseoffensive, die die Vertreibung der Ungarndeutschen forderte, an der Spitze der Bewegung mit Imre Kovács von der Nationalen Bauernpartei. Aber mit dieser Position standen Imre Kovács und die Nationale Bauernpartei bei weitem nicht alleine da. Es schlossen sich die Ungarische Kommunistische Partei, die Kleinlandwirtepartei und die Bürgerlich- Demokratische Partei an. Allein die sozialdemokratische „ Népszava” hat zu dieser Zeit noch keine Stellung bezogen. Am 14. Mai 1945 waren bei der überparteilichen Konferenz hinsichtlich der Vertreibung der Deutschen alle Parteien einer Meinung, lediglich hinsichtlich Ausmaß und Art nicht. Außenmi- nister János Gyöngyösi( Kleinlandwirtepartei) wandte sich im Laufe des Monats Mai 1945 mehrfach an die Großmächte mit der Bitte um die Vertreibung von 250 000 – 300 000 Deutschen( laut der Ergebnisse der Volkszählung von 1941 lebten in Trianon-Un- garn 477 000 Personen deutscher Muttersprache und 303 000 deut scher Volkszugehörigkeit). Die Stellungnahmen der Sieger- mächte machten es eindeutig: Über die Vertreibung der Deut- schen könnten nur sie entscheiden.
Das taten sie auch auf der Potsdamer Konferenz. Der Potsda- mer Beschluss hat neben der Tschechoslowakei und Polen( in diesen beiden Ländern war die Vertreibung bereits im vollen Gange) auch Ungarn die Vertreibung der Deutschen genehmigt. Das Abkommen hat die betroffenen Länder zwar nicht zur Vertrei- bung verpflichtet, aber ermöglichte neben dem individuellen Zur- Rechenschaft-Ziehen auch die kollektive Verurteilung. Die erste offizielle Nachricht erhielt die ungarische Regierung am 09. August von Marschall Vorošilov, durch Vermittlung des Vorsit- zenden des Allierten Kontrollkomitees, Generalleutnant Sviridov. Aufgrund dessen entschied sich der Ministerrat am 13. August dafür, dass die ungarische Regierung aus ihrem eigenen Willen die Vertreibung der Deutschen für notwendig hält. Vorošilov teilte mit, dass man aus Ungarn 400 000 – 450 000 Deutsche vertreiben muss und dass die ungarische Regierung binnen zwei-drei Tagen einen Arbeitsplan vorlegen soll. Er teilte aber ferner mit, dass selbstverständlich die ungarische Regierung kraft seines Amtes darüber entscheidet, wen sie als zu vertreibend erachtet. Die sowjetische Regierung rief jedoch zu einem beherzten Vorgehen auf.
Die Führungspersönlichkeiten der ungarischen Politik beschäftigte jedoch die Frage: Hat der Beschluss der Potsdamer Konfe- renz, und infolge dessen der Beschluss des Alliierten Kontrollrats in Deutschland vom 20. November, einen verpflichtenden oder ge nehmigenden Charakter beziehungsweise sollte man die Vertreibungsverordnung aufgrund der individuellen oder kollektiven Verurteilung konszipieren? Vorošilov hat am 30. November kein Ultimatum der ungarischen Regierung überreicht, sondern einen Vertreibungsplan. Aber diesem Plan hat die Rote Armee, die Ungarn befreite / besetzte, Nachdruck verliehen. Auf der Sit- zung des Ministerrates am 22. Dezember 1945 schuf die ungarische Regierung eine Verordnung auf Grundlage der Kollektiv- schuld( Verordnung des Ministerpräsidenten 12 330 / 1945), in deren Präambel der Zwangscharakter des Beschlusses der Groß- mächte betont wird. Die Vertreter der Sozialdemokraten und der Kleinlandwirtepartei protestierten gegen das kollektive Zur- Rechenschaft-Ziehen, aber sie konnten sich nicht durchsetzen. Wie auch zahlreiche Kirchenführer, Schriftsteller, Dichter und einzelne Politiker. Die Großmächte protestierten nach der Veröffentlichung der Verordnung ebenfalls gegen die Präambel, und am 30. August 1946 musste die ungarische Regierung( nun unter der Leitung von Ferenc Nagy) eine Presseerklärung veröf-
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