SB: Baaja, die Stadt Ihres Wirkens, beherbergt eines der bedeutendsten deutschen Schulzentren des Landes – wie würden Sie die Rolle des UBZ für den Erhalt der Sprache und Identität der Batschkaer Schwaben( und noch darüber hinaus) beschreiben?
JM: Das UBZ( früher das Frankel-Gymnasium) spielte einst und spielt auch heute und wird auch in der Zukunft eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um das Erwerben der deutschen Sprache und das Erwecken sowie die Pflege der ungarndeutschen Identität geht. Von den Familien als Basis kommt fast nichts mehr, so sind solche Institute eigentlich die Rettung für uns Schwaben. Wenn wir es auch wollen!
SB: Mit nur 24 Jahren haben Sie mit Ihrer Frau Adelheid 1980 den Lenau-Club in Baaja begründet – welche Rolle spielte bei diesem frühen Engagement das Elternhaus, stammte Ihr Vater doch aus dem serbischen Teil der Batschka( aus Hodschag), dessen deutsche Bevölkerung vor dem Genozid an den Donauschwaben nach 1945 als sehr deutschbewusst galt!?
JM: Meine Eltern und alle meine Ahnen bis zur Einwanderung stammen aus Hodschag. Die Familie meiner Frau stammt auch aus der Südbatschka, aus Stanischitsch. Für uns beide war es schon damals klar, dass wir uns auch außerhalb der Familie organisieren müssen. Adelheid hat als Mitarbeiterin die Bevölkerung im Jahre 1980 an der Volkszählung zusammengeschrieben. Während dieser Arbeit entdeckte sie viele Schwaben, die in Baaja lebten. Alle waren Zugezogene aus den umliegenden Dörfern. Viele wollten zueinander finden, gemeinsam etwas tun. So entstand der Lenau-Club, der eine Initiative von unten war. Aus dem Club wuchs dann der Batschkaer Deutsche Kulturverein und später die Deutsche Selbstverwaltung heraus. Der Club initiierte auch die regelmäßigen deutschsprachigen Messen in Baaja. Der Kathrein-Ball, den wir 1980 zum ersten Mal veranstaltet haben, wird seitdem jedes Jahr organisiert.
SB: Sie sind somit seit fast 50 Jahren im Dienste des Ungarndeutschtums tätig – welche Veränderungen haben Sie im Laufe der Zeit bezüglich der deutschen Minderheit regional und überregional beobachtet und wie lautet Ihre Bilanz?
JM: Es war bemerkbar, dass ab den 1980er Jahren im Nationaltäten-Bereich viel-viel mehr möglich war. Das hat sich nach der Wende noch positiver verändert. Man konnte frei Vereine gründen. Das Nationalitätengesetz vom Jahre 1993, die Gründung der Selbstverwaltungen, die Übernahme von Institutionen und die staatliche Finanzierung, die viel großzügiger wurde, um nur einige wichtige Geschehnisse zu erwähnen. Das heißt aber nicht, dass alles happy ist. Es liegt vor allem an uns, ob wir damit etwas anfangen oder nicht. Die LdU, deren Gründungsmitglied ich war, hat bisher immer versucht und wird auch in der Zukunft alles tun, dass die Ungarndeutschen, die es wollen- ich betone noch einmal dies es wollen-, die Möglichkeit haben, ihre Sprachkenntnisse zu entwickeln, ihre Identität zu pflegen und sie zu bewahren. In den letzten 35 Jahren wurden viele Träume der Ungarndeutschen wahr. Ob das zum Fortbestand der Volksgruppe reicht, ist für mich noch immer ein Fragezeichen. Von der Basis muss mehr kommen! Ich sehe heutzutage eher „ hausgemachte“ Probleme. „ Eine zufriedene Minderheit hat sich aufgegeben“ sind mahnende Worte von Otto Mayer, einstiger Leiter der dänischen Minderheit in Deutschland.
SB: Auch wenn sich im Vergleich zu den 1950er, 60er Jahren die Möglichkeiten des schulischen Spracherwerbs deutlich verbessert haben, meinen doch viele, dass der große Durchbruch in Richtung Zwei- und Einsprachigkeit an den Nationalitätenschulen( noch) nicht gelungen sei, trotz der Übernahme der Trägerschaft zahlreicher Kindergärten und Schulen – sollte dies der Fall sein, worauf führen Sie dies zurück?
JM: An den früheren Zeiten gemessen hat sich der Spracherwerb tatsächlich verbessert. Die Übernahme von Institutionen ist etwas ganz Neues. Die Effektivität der Institutionen könnte besser sein, das sehen wir ja auch. Das braucht aber Zeit. Die LdU arbeitet emsig und tatkräftig daran: organisiert Weiterbildungen für Pädagogen, es werden Empfehlungskataloge zusammengestellt und Spracherwerbsmodelle ausgearbeitet.
Die größten Probleme sieht meine Frau in der Grundausbildung der Pädagogen für die Nationalitätenkindergärten und-grundschulen, denn sie ist nicht einsprachig deutsch. Bis auf die höchstens sechs Deutschstunden pro Woche sprechen Studierende in den weiteren Ausbildungsfächern den ganzen Tag ungarisch. Um die einsprachigen Modelle für die Kleinkinder in den Instituten umsetzen zu können, sollten die Studierenden aber in der Ausbildung an der Hochschule oder Universität diesbezügliche Erfahrungen sammeln können.
SB: Die Schule kann allenthalben für gute Deutsch- Sprachkenntnisse sorgen, eine Muttersprache wird Deutsch dadurch in den seltensten Fällen – welche Verantwortung tragen ungarndeutsche Eltern und wie könnte man ihnen die Angst vor dem Schritt nehmen, mit ihren Kindern Deutsch oder Mundart zu sprechen?
JM: Die Verantwortung der ungarndeutschen Eltern, die Deutsch und eventuell noch eine Mundart sprechen, ist natürlich sehr groß. Man muss sehen und erkennen, dass zwei- oder mehrsprachig aufwachsende Kinder kommunikativer, offener, einfach vielseitiger und kreativer werden. Die Identität ist im Wandel, ändert sich stets. Die Jugend heute kann die Sprache in den Schulen erlernen, sie gehört aber nicht mehr zur Erlebnisgeneration, sondern zur sogenannten Bekenntnisgeneration und damit entsteht eine neue Identität.
SB: Sie haben sich der Aufgabe angenommen, etwas zu bewirken auf dem Gebiet des Sprachgebrauchs und der Identitätssicherung – wo soll / wird die deutsche Gemeinschaft in einigen Jahrzehnten stehen?
JM: In einigen Jahrzehnten wird es immer noch Menschen geben, die eine deutsche Mundart sprechen. Wenn ich aber in die ferne Zukunft schaue, muss ich leider sagen, die Mundarten werden verschwinden. Das, was bleibt, sind die Hochsprache und die Bekenntnisidentität und natürlich das Singen, Tanzen und Musizieren, weil wir das schon immer gut konnten. Aber nur für die, die es sehr-sehr wollen! Ich schließe meine Gedanken mit dem Zitat vom englischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Eliot Stearns: „ Tradition kann nicht vererbt werden. Wer sie haben möchte, muss sie mühevoll selbst erwerben.“
SB: Herr Manz, vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Richard Guth.
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