wortlos in das Gebäude zurück. Einer der Männer in Lederja-
cke hat den Widersinn der Situation wohl verstanden und sagte:
„Der Genosse hat sich vorhin sehr parteiunwürdig verhalten. Ich
bitte Sie, gehen Sie nicht mehr in die Halle zurück, wir bringen
Sie über die VIP-Passagierbrücke zum Flugzeug.” Es gab noch
zwei Stunden bis zum Abflug. Unter dem Einfluss des Erlebten
sowie des Nichtstuns fing er an, sich entlang des Flughafen-
zauns in Richtung des hohen eisernen Tores der Frachtpforte
zu bewegen. Als er dort ankam, ging das Tor plötzlich auf. Über
dem Beton, der sich in Oktoberdunst hüllte, erschien plötzlich die
Sonne. Auf dem Beton näherte sich eine Wagenkolonne, dreißig
Tschaika, Mercedes und elegante, schwarze Wolga, deren Dach
in der Sonne glänzte. Nachdem die Kolonne das Tor verließ, ver-
langsamte sich die Kolonne und blieb für eine halbe Minute ste-
hen – man musste abwarten, bis die Motorradstaffel, die auf dem
Parkplatz wartete, aufgeschlossen hatte. In Armlänge entfernt, in
einem der Tschaika, auf dem Rücksitz hatte ein eleganter, glatz-
köpfiger Mann das Fenster heruntergelassen, und winkte freund-
lich den auf dem Parkplatz stehenden Menschen zu. Es war Gor-
batschow. Csaba F. wurde erst einige Wochen später - nach den
weltpolitisch bedeutenden Ereignissen - bewusst, dass ihm an
diesem nebligen Nachmittag in Berlin etwas widerfuhr, was ein
Otto Normalverbraucher nur einmal im Leben erfahren kann: Die
Geschichte fuhr ihm entgegen.
Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa
s
Deutsche Volksgruppen
Jenseits der Euphorie – ein tschango-
madjarischer Priester anlässlich der
ungarischen Messe in Bakau/ Bacău
über die Chancen des Fortbestands
der Gemeinschaft
Erschienen am 28. Januar 2019 auf dem katholischen Portal
magyarkurir.hu. Aufgezeichnet von Béla Baranyai. Die gedruc-
kte Version ist am 3. Februar in der katholischen Zeitschrift „Új
Ember” erschienen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmi-
gung des Herausgebers und Chefredakteurs von „Magyar Kurír”
und „Új Ember”, István Kuzmányi.
Deutsche Übersetzung: Richard Guth
József Tampu-Ababei, tschangomadjarischer Priester des Erz-
bistums Gran-Budapest, Leiter der Erzpfarre Unbeflecktes Herz
Mariä Budapest-Pestszentlőrinc. Wenn Pfarrer Tampu-Ababei zu
seinen Geschwistern, dem Grab seiner Eltern fährt, dann führt
sein Weg in sein Heimatdorf, Luizi-Călugăra (ung. Lujzikalagor).
Wir haben ihn nach der ersten ungarischen Messe in Bakau be-
fragt.
In der Geschichte des 1884 gegründeten Bistums Jassy/Iași
kommt es zum ersten Mal vor, dass auf dem Gebiet der Di-
özese regelmäßig – gegenwärtig einmal im Monat – ungari-
sche Messen gelesen werden. Die erste solche Messe fand
am Sonntag, dem 27. Januar in Bakau statt. Hat durch die-
se Entscheidung die Angelegenheit der Tschangos – in der
Moldau leben verstreut etwa 20.-30.000 Tschangomadjaren –
ihren Tiefpunkt überwunden oder geht es hier eher um eine
symbolische anstelle einer wirklichen und zufriedenstellen-
den Lösung?
Ich halte es für eine große und wertvolle Veränderung. Es ist
schwer zu sagen, was wir als Tiefpunkt betrachten. Eher kön-
nen wir von dem Beginn von etwas sprechen. Wir dürfen nicht
18
vergessen, dass in diesem Gebiet selbst vor der Gründung des
Bistums Jassy keine ungarischen Messen gelesen wurden. Un-
garische Lieder und Gebete durften auch damals sein, aber die
Sprache der Liturgie war Latein. Wenn wir das als Bezugspunkt
nehmen, dann können wir diese neue Möglichkeit als eine Ver-
änderung betrachten, die es vermag im Leben der tschangomad-
jarischen Menschen ein neues Kapitel zu eröffnen.
Was war bislang die Hürde im Weg der ungarischen Messe?
Man hat bisher die Erfahrung gemacht, dass sich die meisten
Menschen ihrer kleinen Welt zugewandt haben. Niemand hatte
den Mut, den Status quo zu ändern.
Könnte mit der Entspannung auch der geplante Besuch von
Papst Franziskus in Jassy zu tun haben?
Ja, meiner Ansicht nach hatte auch der Papastbesuch einen
gewissen Einfluss auf die Entscheidung, aber auch die Vorge-
schichte war nicht minder bedeutungsvoll. Es ist allgemein be-
kannt, dass der Bischof von Jassy, Petru Gherghel – auf Grund-
lage einer Vereinbarung mit Kardinal Péter Erdő – seit zehn
Jahren Priester nach Ungarn schickt, die ihre Priesterausbildung
hier absolvieren und auch in der Seelsorge eingesetzt werden.
Es scheint, als würde diese Initiative nun Früchte tragen.
Was bedeutet für die tschangomadjarische Gemeinschaft
die katholische Identität und deren Erleben in der ungari-
schen Sprache?
Leider ist es nicht einfach, das dortige Milieu zu beschreiben.
Die ungarische Sprache und (madjarische) Kultur bestimmt den
Alltag der dort Lebenden. Für sie ist es nicht nur ein kulturelles
Kolorit – die Tschangos empfinden es so, als wären sie Teil der
madjarischen Traditionen. Es geht nicht nur darum, dass sie die
Eigenarten und Werte am Leben erhalten wollen, sondern dass
diese integraler Bestandteil ihres Alltags sind. Die Volkstracht
tragen sie nicht nur an Festen und ihre Tänze tanzen sie nicht
dann, wenn sie auf einem Festival auftreten. Heutzutage werden
sie von mehreren Ortspfarrern dazu ermuntert, dass sie auch auf
Dorffesten ihre Volkstracht anziehen. Die Besucher sehen viel-
leicht nur die Oberfläche, aber die Identität der dort Ansässigen
ist tief verwurzelt. Die Tschangos mögen übrigens das Skansen-
dasein nicht, wenn sie gebeten werden, sich so zu kleiden oder
zu sprechen, wie es Außenstehende von ihnen erwarten.
György Jakubinyi, der Erzbischof von Karlsburg/Alba Iulia,
hat in einem „Erdélyi Napló”-Interview* aus dem Jahre 2015
auf eine Frage hin gesagt, dass er den Romanisierungs-
prozess der Tschangos für unumkehrbar hält. Sind in der
gegenwärtigen historischen Situation, jenseits der Euphorie
der gestrigen Heiligen Messe, der ungarische Sprachunter-
richt und die ungarischsprachigen Messen in der Tat nur
noch gestenhaft und vermögen es lediglich diesen Prozess
zu verlangsamen?
Es ist unbestritten, dass sich der Assimilierungsprozess be-
schleunigt hat und womöglich unumkehrbar ist. Es ist schwer zu
sagen, wann er begonnen hat. Die Möglichkeit ungarische Mes-
sen zu lesen kann den Assimilierungsprozess natürlich bremsen.
Die vollständige Romanisierung setzt voraus, dass alle Tschan-
gos ihre Identität aufgeben, aber solange es noch eine Handvoll
von ihnen gibt, für die die Wurzeln wichtig sind, dann bleibt die
madjarische Kultur auch erhalten. Solange dort solche Menschen
leben, für die sie wichtig ist, können wir nicht von vollständiger
Assimilation sprechen. Die Bewahrung der Identität kann man
von außen unterstützen, aber auch die Einheimischen sollten in
ihrer eigenen Kultur überleben.
Wie haben die Tschangos die Nachricht vom Papstbesuch
aufgenommen?
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