geleitet. Und er war arrogant, sehr arrogant: „Kleinhäusler“ nann-
te er all diejenigen, die es zu nichts oder wenig gebracht hatten.
Auch gab es noch andere Fiers im Dorf, doch die ließ er nicht
gelten: „Fier allein bin ich“, rief er nicht selten beim Krug Wein
im Wirtshaus. Und sie unterwarfen sich ihm, stimmten zu; - er
bezahlte.
Auf der Kirchweih tanzte Franz mit allen Mädchen und bestimm-
te die Musik. Pepi war eifersüchtig und rief wütend: „Der kann
doch gar nicht tanzen, immer nur die Faust-Polka!“ Franz ließ
sich nicht beirren, er genoss es im Mittelpunkt zu stehen. Die
Welt drehte sich um seine Achse. Er liebte das Leben und wollte
herrschen.
Zwar wurde in Dunahem schwer gearbeitet, doch hatten die
Menschen vorzügliche Nahrung. Die Schweine waren mit Mais
gefüttert, und der Schinken schmeckte herrlich. Es gab reichlich
frische Fische aus der Donau. Das Gemüse war noch unver-
giftet und außerordentlich schmackhaft. Himbeeren, Aprikosen,
Zwetschgen, Kirschen und andere Früchte versüßten den Du-
nahemern das Leben. Kartoffeln aß Franz nie: „Kartoffeln gehö-
ren in den Keller“, sagte er immer. Und dann gab es noch den
herrlichen Wein. 5000 Liter erntete allein Franz Fier jedes Jahr.
Riesige Weinfässer standen im seinem Keller, und sie wurden
leer. Denn Franz hatte viele Freunde. Fast jeden Abend saßen
sie bei ihm im Keller und zechten. Franz gab den Ton an; - er
hatte den Wein. Er ließ sie singen und exerzieren wie es ihm ge-
fiel. Ja, es war sehr laut abends in Dunahem. Doch es war eine
glückliche Zeit.
Dann kam der Krieg, aber er verschonte die Dunahemer, die in
himmlischer Einfalt dahinlebten und kaum etwas von den politi-
schen Umständen ihrer Zeit verstanden. Nach dem Krieg aber
war nichts mehr wie früher. Nun waren Kräfte entfesselt, die vor-
her gebannt waren. Nun herrschte der Pöbel. Die Zeit der Ha-
benichtse und Parasiten war gekommen. Wie Hyänen warteten
sie auf ihre Gelegenheit. Es herrschte der Geist der Rache, das
Ressentiment der Schlechtweggekommenen. Der stolze Franz
verstand die Welt nicht mehr. Eines Tages standen Gendarmen
vor seinem Haus und hielten ihm die Gewehre vor die Nase. Ge-
nau zwei Stunden hätte Franz und seine Familie zum Packen. Er
wehrte sich, doch sie schlugen ihn mit dem Gewehrkolben nieder
und er verlor ein Auge. Sie trieben die Fiers zum Bahnhof und
sperrten sie in einen Viehwagon. Der Zug ging nach Deutsch-
land, dorthin, wo ihre Vorfahren vor dreihundert Jahren herge-
kommen waren.
Hier, im Osten des verbrannten Landes war die Hölle. Es gab
nichts mehr zu essen, keinen Wein zu trinken, keine Kirchweih,
kein Glück und keinen Stolz. Hier herrschte Depression. Man
hasste die Flüchtlinge; man hatte ja selbst nichts. Franz Fier war
am Boden zerstört. Er konnte nicht glauben, was geschehen war.
Wie paralysiert saß er in der erbärmlichen Hütte, die seiner Fami-
lie zugewiesen wurde. Peppi ging mit den Söhnen zum Kartoffel-
stehlen, sie flechteten Körbe, verrichteten allerlei Dienstarbeiten,
um zu überleben. Franz konnte nicht stehlen, lieber wäre er ver-
hungert. Der Müller gab ihm Arbeit. Er musste Säcke schleppen,
er der stolze, reiche Bauer aus Dunahem.
Lange glaubte Franz nur an einen schlechten Traum. Er würde
sicher bald mit seiner Familie in die Heimat zurückkehren kön-
nen, sein Haus und sein Land zurückbekommen. Er lebte ver-
sunken in den Gedanken an die alte Welt. Und er würde Rache
nehmen an dem Gesindel, das ihn beraubt und dermaßen er-
niedrigt hatte. Eine übermächtige Wut staute sich in ihm. Er wür-
de sie vernichten, diese Parasiten. Doch Franz sah seine Heimat
nie wieder. Im Laufe der Jahre verlor er die Hoffnung. Sie hatten
ihn vernichtet, er war ein gebrochener Mann. Kraftlos, ziellos ve-
getierte er dahin. Manchmal erwischte er einige Flaschen Wein
und machte sich Luft im Rausch. Dann schrie er seine Wut und
sein Leid heraus, dass die seinen zitterten, um anschließend
sonntagsblatt
wieder in tiefe Resignation zu versinken.
Auch später, als seine Söhne wieder Fuß gefasst hatten und
ganz im Sinn der Familientradition zu Wohlstand gekommen
waren, hat Franz Fier sich nicht mehr erholt. Schwermütig und
verbittert lebte er noch immer in der Traumwelt von damals. Nur
manchmal, wenn sein Enkelsohn neugierig in ihn drang, dann
flammte sein gesundes Auge feurig auf, und er erzählte aus Du-
nahem, dem Land, wo Milch und Honig fließt.
Buchbesprechung
s
László Bodrogi – László Szále: Vis�-
szaszököttek/Zurückgeflohene. Hg.
Vom Verlag Noran Libro, Budapest,
2016, 253 S., 2990 Ft.
Von Johann Till
Es handelt sich um ein mit Sachkenntnis und Einfühlungsver-
mögen geschriebenes Buch über das Schicksal der Bewohn er
eines schwäbischen Dorfes in Ungarn unmittelbar nach Kriegs-
ende. Ujfluch/Szigetújfalu heißt die zum Einzugsgebiet von Bu-
dapest gehörende Gemeinde, deren deutsche Bewohner im Mai
1946 binnen weniger Tage aus ihrer Heimat vertrieben wurden.
Der Grund: Sie waren Deutsche und machten den fatalen „Feh-
ler“, sich zu ihrer Herkunft zu bekennen. Ihre „Schuld“: Sie hatten
Vermögen. Das kleinformatige, mit historischen Aufnahmen be-
stickte Buch drückt auf seinem Umschlag – fast emblematisch
– Anfang und Ende einer fast 300-jährigen Schicksalsgemein-
schaft dieses Dorfes aus: Mit der Zeichnung von einer Ulmer
Schachtel (ein Donau-Kahn des 18. Jahrhunderts) als Symbol
des Aufbruchs, des Anfangs der Ansiedlung deutscher Kolo-
nisten in Ungarn, und mit einer Photoaufnahme von 1946, von
der Einwaggonierung der Schwaben mit ihren Bündeln in Vieh-
wagen, zum Abtransport nach Deutschland. Prägnanter könn-
te man Anfang und Ende, die entscheidenden Eckpunkte der
300-jährigen ungarndeutschen Geschichte, nicht darstellen. Mit
ähnlichem Geschick vermitteln die zwei Autoren über Erlebnis-
berichte ihrer Zeitzeugen den Lebensweg von nach Deutschland
vertriebenen Ujflucher Schwaben, die sich anschließend illegal
in ihre Heimat Ungarn zurückgeschlichen haben. Von ihnen, den
unerlaubt Zurückgeschlichenen, handelt dieses Buch. „Vissza-
szököttek“, wie der ungarische Titel heißt, müsste eigentlich, wie
der Autor vermerkt, „Die Zurückgeflohenen“ heißen, denn es geht
um Menschen, die ihre Vertreibung aus der Heimat in eine für sie
fremde Umgebung nicht ertragen und schließlich der Sehnsucht
nach ihrer alten Heimat nicht widerstehen konnten. Sechzig von
800 Ujflucher Vertriebenen gaben ihrem Heimweh nach und ent-
schlossen sich zur „Flucht in die Heimat“, die sie kurz zuvor ver-
trieben hatte. Wahrlich, eine nicht alltägliche Geschichte. Falls
die Rückflucht über die streng bewachte ungarische Grenze
– bei vielen erst nach mehreren Versuchen – endlich glückte,
wartete auf die heimatlos Umherirrenden bereits die ungarische
Polizei und die ständige Gefahr vor Denunzianten aus dem Kreis
der Neusiedler, die ihr Heimatdorf bereits weitgehend in Besitz
genommen hatten und beherrschten. Erneute Festnahme und
erneute Abschiebung waren die unmittelbare Folge.
Ein kleines Kapitel beschäftigt sich - ebenfalls über Zeitzeugen-
berichte - mit den madjarischen Neusiedlern, die aus der heu-
tigen Slowakei stammten und in die Häuser der vertriebenen
Ujflucher einzogen. Es waren eigentlich auch Vertriebene. Sie
mussten ihre Liegenschaften in der heutigen Slowakei (damals
Tschechoslowakei) zurücklassen, konnten aber ihr bewegliches
Vermögen, einschließlich Maschinen- und Viehbestand, mit-
nehmen und durften sich Höfe der vertriebenen Schwaben als
(Fortsetzung auf Seite 26)
Eigentum aussuchen.
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