Sonntagsblatt 2/2018 | Page 23

vor Augen zu halten , dass meine Ahnen zwar aus Deutschland stammen , aber sich in Ungarn niedergelassen haben . Deshalb will ich beiden „ Nationalitäten “ gerecht werden . Es ist noch nicht lange her , dass man die Ungarndeutschen dazu drängen wollte , ihre Sprache und Identität aufzugeben . Meine Generation gehört jedoch zu jener Generation , die das Ungarndeutschtum für sich „ wiederentdeckt hat “. Auch deswegen ist es für mich wichtig , meine deutschen Wurzeln zu pflegen .
Über den Wettbewerb „ Auslandsdeutsche des Jahres “:
Die Wahl zur „ Auslandsdeutschen des Jahres “ ist eine frische Initiative der Internationalen Medienhilfe ( IMH ), einem Netzwerk deutschsprachiger Medien im Ausland . „ Die Aktion soll speziell die jüngeren weiblichen Mitglieder der deutschen Gemeinschaften und Minderheiten rund um den Globus für ihre bisherigen Aktivitäten belohnen beziehungsweise zu einer Mithilfe in deutschen Vereinen und sonstigen Institutionen motivieren “, erklärt IMH-Leiter Björn Akstinat . „ In vielen deutschen Vereinigungen im Ausland sind jüngere Leute noch unterrepräsentiert . Ziel des Wettbewerbs ist außerdem , in Deutschland auf die großen kulturellen Leistungen und Traditionen der Auslandsdeutschen stärker aufmerksam zu machen .“ Im Oktober rief die IMH daher erstmals dazu auf , sich für die weltweite Wahl zur „ Auslandsdeutschen des Jahres ” zu bewerben . Daraufhin gingen Bewerbungen aus aller Welt ein . Vier Damen schafften es ins Finale . Ausschlaggebend bei diesem Wettbewerb soll vor allem das Engagement der Kandidatinnen für die eigene Kultur sein .
Die Abstimmung lief bis zum 10 . Dezember . Viktória Nagy setzte sich mit rund 60 Prozent der etwa 8.600 abgegebenen Stimmen aus aller Welt gegen die anderen Finalistinnen aus Brasilien , Australien und Paraguay durch .
Sie haben jetzt schon einige Monate in München gelebt und viele Erfahrungen machen können . Wenn Sie Mentalitätsunterschiede zwischen Ungarn und Deutschen betrachten , wem fühlen Sie sich persönlich näher ?
Am Anfang ist mir aufgefallen , dass ich diesen ständigen „ ungarischen Pessimismus “ in mir hatte , aber das hat sich in der neuen , sehr multikulturellen und internationalen Umgebung schnell geändert . Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl , weil das Land so offen für neue Leute und Kulturen ist . In Ungarn ist das oft nicht der Fall . Das hat unter anderem in den zahlreichen Unterschieden zwischen den beiden Ländern seine Ursache , etwa mit Blick auf den wirtschaftlichen Entwicklungsstand oder das Bildungssystem . Außerdem hat man in Ungarn seltener Kontakt zu Menschen , die aus anderen Kulturen stammen – so ist die Mentalität der Gesellschaft schwer zu ändern , denn als Tourist im Ausland kann man eine Nation nicht so gut kennenlernen , wie beim gemeinsamen Zusammenleben .
Ich fühle mich in München sehr sicher , die Stadt gibt mir das Gefühl meines Heimatdorfes wieder . Darunter verstehe ich , dass ich beispielsweise mein Fahrrad monatelang vor meinem Haus stehen lassen konnte , ohne es anschließen zu müssen . In Budapest würde ich das nie machen . Damit möchte ich nicht sagen , dass ich mich mit der Mentalität in Ungarn nicht identifizieren kann , aber momentan fühle ich mich den Deutschen näher .
Sie engagieren sich in Ihrer Heimatregion in der deutschen Minderheitenselbstverwaltung ? Wie sieht Ihre Arbeit dort aus ? Mit welchen Fragen beschäftigt sich die Minderheitenselbstverwaltung ? Welchen Herausforderungen sieht sie sich gegenüber ?
Genau , ich bin Abgeordnete in der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung von Neudörfl ( ung .: Újbarok ), einer Gemeinde im Komitat Fejér . Wir arbeiten hier offiziell zu dritt und kümmern uns um das Leben der Ungarndeutschen im Dorf . Das bedeutet hauptsächlich , dass wir Veranstaltungen planen und organisieren , zum Beispiel Koch- und Backwettbewerbe , Weinlesefeste , Martinsumzüge oder Adventskonzerte . Alle Veranstaltungen sind immer irgendwie an das Ungarndeutschtum gebunden . Die Traditionspflege spielt allgemein eine große Rolle , so wurden etwa im Dorf 2006 eine Heimatstube und 2013 ein Heimatmuseum eingerichtet . Letztes Jahr haben wir sogar ein Nationalitäten-Camp für die Kinder aus der Umgebung veranstaltet . Daneben versuchen wir auch verschiedene Publikationen herauszugeben . So wurden in den vergangenen Jahren vier Bücher und Broschüren über das Dorf , seine Geschichte und Traditionen veröffentlicht .
Die größte Herausforderung ist derzeit jedoch das Verschwinden einer ganzen Generation aus unserem Dorf , nämlich der Generation zwischen 20 und 30 , die hier keine Chancen mehr gesehen hat . So bleiben nur die ältere und die jüngere Generation , mit denen wir zusammenarbeiten können .
Derzeit arbeiten wir zudem dafür , dass wir nach der nächsten Wahl einen eigenen Abgeordneten im Parlament haben werden . Das ist harte Arbeit .
Sie leiten darüber hinaus eine donauschwäbische Tanzgruppe . Wie kann man sich das vorstellen ? Gibt es typisch ungarndeutsche Tänze ?
Ich bin die Vizeleiterin der Saarer Tanzgruppe . Dort bin ich vor allem für Auslandsreisen , Partnerschaften und unsere Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich . In der Tanzgruppe tanzen mehr als 120 Jugendliche . Seit einem Jahr sind aber auch Eltern aktiv und wir haben auch eine Seniorengruppe gegründet .
Wir tanzen typisch ungarndeutsche Tänze , zum Beispiel Polka , Walzer , Mazurka und Ländler . Unsere Choreografien stammen meist von unseren Mitgliedern , die sich mit der Zeit weitergebildet haben , aber oft arbeiten wir auch mit anderen ungarndeutschen Choreografen und auch mit Choreografen aus anderen Nationalitäten zusammen , um unser Repertoire zu erweitern . Wichtig ist jedoch , dass wir dabei immer die traditionelle Musik verwenden . Die Tanzgruppe hat jedes Jahr Auftritte im In- und Ausland . Unsere größten Erfolge waren bisher 2011eine Tournee durch die USA sowie 2015 eine Tournee durch Brasilien , die wir dank der Hilfe des Weltdachverbandes der Donauschwaben durchführen konnten .
Sie studieren „ Deutsch als Minderheitensprache “, warum haben Sie sich dafür entschieden ? Wie sieht Ihre Traumarbeitsstelle aus ? Ist sie in Deutschland oder Ungarn zu finden ?
Nur mit diesem Abschluss kann ich später in den ungarndeutschen Schulen unterrichten , deshalb war mir von Anfang an klar , dass ich dieses Fach wählen werde , statt „ Deutsch pur “. Ich habe bereits ein Praktikum hinter mir und habe die Arbeit in der Schule sehr genossen , daher würde ich später gerne auch als Lehrerin arbeiten , obwohl ich mir hinsichtlich der jetzigen Lage des Lehrerberufs schon Sorgen mache . Ich kann mir allerdings auch gut vorstellen , in die Richtung Politik , Minderheiten und Kultur zu gehen und eine Arbeit in diesem Bereich zu suchen . Meiner Meinung nach ist es ein Muss , dass man so viele Erfahrungen wie möglich sammelt , auch im Ausland , denn eine andere Lebens- und Arbeitssituation kennenzulernen , hilft in der persönlichen und beruflichen Entwicklung . Ich würde daher gerne eine Zeit lang in Deutschland arbeiten , dabei aber immer vor Augen behalten , wie ich das Gelernte zu Hause umsetzen könnte . Deswegen habe ich zum Beispiel während meiner Zeit als ifa-Stipendiatin in München eine Hospitanz bei der Landsmannschaft der
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