Sonntagsblatt 2/2016

S onntagsblatt Nr. 2/2016 Gegründet von Dr. Jakob Bleyer im Jahre 1921 Informationen, Meinungen Jakob Bleyer Gemeinschaft e.V. MOTTO „Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.” Theodor Fontane Ungarndeutsche von einem neuen Geschichtsbuch begeistert Über eine einmalige Veranstaltung im Lenauhaus von Johann Till Darüber sollte berichtet werden. Über eine Veranstaltung im Lenau - haus in Fünfkirchen an einem sonnig-milden Vorfrühlingstag am 9. März 2016. Einmalig war der Anlass und einmalig die Umstände. Zum nicht alltäglichen Anlass hatte die Branauer Deutsche Minderheitenselbstverwaltung, im Bunde mit der Ungarndeut - schen Landesselbstverwaltung und dem Lehrstuhl für Geschichte und Kultur in Südost-Europa der Uni. Fünfkirchen eingeladen. Es war ein Werktagnachmittag und schönes Wetter, Grund für die schaffigen Schwaben im Hof und Garten die jahreszeitlich gebote- nen Frühjarsarbeiten zu erledigen. Es war daher ein gewagtes Unterfangen der Veranstalter. Wie viel Schwaben würden sich zu einer Veranstaltung über ein Buch und über Geschichte aufraf- fen? Böse Zungen (oder aufmerksame Beobachter?) behaupten, mit unseren Schwaben sei zuverlässig nur bei zwei Veranstal - tungsarten ein volles Haus zu erreichen: Wenn es um den Schwaben-Ball geht oder um einen Aufklärungsabend in Sachen „Wie kann man Entschädigungszahlung erlangen?”. Diesmal lief alles anders, und der Vorsitzende des Lenau Kul - turvereins Lorenz Kerner konnte in seiner Eröffnungsansprache die Welt nicht mehr verstehen, ob der nicht endenden Neuan - kömmlingen. Der Vortragsaal des Hauses war zum bersten voll. Zu einem Thema, von dem sich schon viele Ungarndeutsche nach Jahrzehnten der Enttäuschung in Verbitterung verabschiedet hat- ten. Es ging nicht um Blasmusik und Faschingsball, es ging um ihre eigene Geschichte und die meisten, die sich zur Vorstellung der ungarischen Ausgabe von Gerhard Seewanns Geschichte der Deutschen in Ungarn an diesem Tag aufmachten ins Lenauhaus, waren guter Stimmung. Das merkte man schon im Erdgeschoss, im Empfangsbüro des Hauses, das einem Bücherladen glich und ebenfalls zu platzen drohte. Das gleiche Bild fanden die Teil - nehmer eine Etage darüber im Vortragssaal vor. Was ist es, was unsere (fälschlich) als geschichtsuninteressiert beschriebenen Schwaben auf einmal so mobilisiert hat? Irgend et - was muss sie elektrisiert haben. Ich meine, die Ungarndeutschen haben durch die Veröffent - lichung des historischen Werkes von Gerhard Seewann auf einmal APRIL Der Regen sprüht, die Sonne scheint. Der Knecht er lacht, die Magd sie weint. Vom Kirschbaum flockts, der Kuckuck schreit, der Rebentrieb hat all noch Zeit. Ein Farbenbogen steht gespannt, und nimmer ruhn Gerät und Hand. Noch drohn Sankt Georg und Sankt Marx, die sind schon so, der Blüh viel Args. Wenn aber nur die Frösch nicht schrein, dann kanns um Peregrin auch schnein. Was wär dann das für ein April, der nicht tun dürfte, was er will? Josef Weinheber das Gefühl erhalten, hiermit ist die lange, die sich über siebzig Jahre(!) hinziehende unehrliche Aufarbeitung ihrer kollektiven Bestrafung: Enteignung und Vertreibung mit anschließender eth- nischer Diskriminierung verschiedenster Art zu ihrem Endpunkt angelangt. Die Zeit der Legendenbildung ist vorbei. Der Lügen - geist ist entlarvt. Damit ist der Druck gewichen. Das aufgezwun- gene kollektive schwäbische Büßerhemd gehört in die ungarische Müllverbrennungsanlage. Wie viele schwäbische Menschen sehn- ten sich über drei Generationen nach einer Befreiung, nach einer Lossprechung von einer Schuld, die nicht die ihre war. Zu dieser Befreiung waren sie selbst unter den in unserem Lande herrschen- den Umständen nicht in der Lage. In ihrem tiefsten Inneren wuss- ten sie, dass sie keine Vaterlandsverräter waren, wozu man sie abgestempelt hatte. In dem Buch, das im Mittelpunkt der Veran - staltung stand, wird ohne Relativierung und Schonung die Dimen - sion des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, werden die poli- tisch verantwortlichen ungarischen und ausländischen Akteure beim Namen genannt. Nach siebzig Jahren Verdrehung, Leug - nung und Täuschung in der Verantwortungsfrage, nach so langer Zeit, fand sich endlich ein kompetenter Historiker, der weder dem ungarndeutschen noch dem magyarischen Ethnikum angehört, ein unparteiischer Österreicher (und Wahlmünchner), der sich während seiner Gastprofessur in Fünfkirchen breit und tief in die historischen Wirrnisse der interethnischen Geschichte Ungarns und des Karpatenraumes versenkte, dabei die wirtschaftlichen, kulturellen und insbesondere politikgeschichtlichen Aspekte er - forschte und die zusammengetragenen Erkenntnisse in eine gut verständliche Sprache verfasste. Der transnationale Breitenblick des Autors ist ein erfrischender Gewinn des Buches, betonte u.a. (Fortsetzung auf Seite 2)