Sonntagsblatt 2/2015 | Page 27

zufühlen . Nur ein Volk , das so vorwärtsstrebt , so unausgesetzt und sich selbst niemals schonend arbeitet , und zwar immer nur der Arbeit , diesem herrlichen Triebe selbst zuliebe , konnte sich trotz aller Widerwärtigkeiten böser und bitterer Zeiten behaupten , Hätten die Väter der jetzt lebenden Geschlechter nicht statt dreivier Menschen geschuftet und durch redliches Rackern immer mehr an Hag und Gut zusammengetragen , wie könnten sich da ihre Kinder und Kindeskinder heute noch immer behaupten ? Wer mit offenen und gütigen Augen diesem Bauernvolk bei der Arbeit zusieht , die im Sommer oft gegen zehn Uhr nachts aufhört , um in der Früh gegen zwei-drei Uhr wieder zu beginnen , wer zusieht , wie diese Menschen sich von jungen Jahren an bis zum Zusammenbrechen im Schweiße schinden , nur weil sie durch ihr Blut dazu getrieben werden und nicht etwa , weil sie in späten Tagen die Früchte eines wohlverdienten sorgenlosen Lebens genießen wollen , wer sich dessen bewusst wird , dass dieses Volk eigentlich wie die Bienen , nur für sein Geschlecht arbeitet , oft sich ohne Bedenken durch Arbeit aufopfert ; der wird dieses einfache , sittenreine , unverdorbene , ewig tätige Volk nicht nur ehren und schätzen lernen , sondern an Leib und Seele auch liebgewinnen . Es ist freilich nicht leicht , an das hart verkrustete Herz des deutschungarischen Bauern heranzukommen . Ist doch der Bauer überall Nachkomme eines jahrhundertelang durch Leibeigen - schaft geknechteten und durch Hörigkeit gebundenen , durch Elend und Leid und Angst misstrauisch und verschlossen gewordenen Standes . Verkörpert der Bauer doch auch heute noch eine Menschenschicht , in der die Saiten von Urgeschlechter-Erleb - nissen noch immer , wenn auch unbewusst , nachklingen . Wer also unter Bauern geht , um sie guten Willens verstehen zu lernen , muss in gewissem Sinne das unverdorbene , von modernen Vorurteilen unbelastete Herz des Bauern in sich verspüren . Um diese eigentümlichste aller Menschenklassen zu verstehen , muss man sich vorerst sein ängstliches Zu- und Vertrauen durch redliches Bemü - hen verdienen . Ist er aber einmal warm geworden , dann glüht er auch schon in seinem Innern . Ja , er wird dann sein so empfindliches Herz öffnen und nicht mehr mürrisch und wortkarg verschließen . Hat man einmal sein Herz gewonnen , so wird er mit einem Male fast kindlich vertrauensvoll . Alles , was man ihm sagt , wird er glauben . Alles , was ihm auf dem Herzen liegt , wird einem ohne Angst , ohne Scham und ohne Argwohn anvertraut . Der schwäbische Bauer Ungarns , besonders der der Schwäbischen Türkei und des Bakonyer Waldes , hat noch viele Eigenschaften einfachen , ja primitiven Gemeinschaftslebens bis auf den heutigen Tag bewahrt . Darin lieg auch vor allem seine Stärke und unvertilgbare Urwüchsigkeit . Weil er ausschließlich von Arbeit lebt , glaubt er , alle Welt lebt nur davon . Darum sind auch alle Men schen , die viel arbeiten und leisten , in seinen Augen gut angeschrieben . Er hat , weil er unverdorben ist , eine gute Meinung vom Leben . Und weil alle Arbeit ihm Freude bereitet , liebt er auch das Leben und geht dem frühzeitigen Tode durch nüchternen Le benswandel klugerweise weit aus dem Weg . Darum verabscheut er anderseits wieder das Alter , weil er da nicht mehr arbeiten kann , sich und andere oft mit den lästigen Plagen von Kränk lichkeit quälen muss , sich überflüssig vorkommt , als jemand , der den Jungen und Lebenskräftigen nur im Weg steht . Darum arbeitet er solange , als es seine Glieder nur vertragen .
Eine oft gerühmte Eigenschaft unseres Volkes ist das ihm angeborene Pflichtbewusstsein . Alt wie Jung hat ein stark ausgeprägtes Pflichtgefühl . Nie gab es unter ihnen einen , der seiner Pflicht dem Vaterlande , der Kirche und den Behörden gegenüber nicht restlos und willig nicht nachgekommen wäre . Seine Treue ist von rührender Tiefe und wird als sprichwörtlich angesprochen .
Seine Lebensweise ist schlicht und natürlich . Wenn er auch den Wein – hat er ihn doch in Überfülle in seinem Keller – liebt , so ist er trotzdem besonnener , ja geradezu nüchterner Sinnesart . Sein ausgeprägtes Empfinden für Kind und Familie lassen ihn ein sehr sittsames und gemütliches Familienleben führen . Im Verkehr mit den Volksgenossen kommt seine gesellige Natur unmittelbar zum Ausdruck . Der Hang zur Geselligkeit lässt ihn auch das Vereinsleben lieben und pflegen . Fast alle deutschen Gemeinden habenihre Vereine , unter denen besonders die der Ortsgruppen des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins eine immer wichtigere Rolle spielen . An den langen Winterabenden zieht Alt und Jung in den Verein , wo man sich mit gleichgesinnten und gearteten Männern zusammenschließt , die Zeit mit Plaudern , Lesen , Debattieren , Spielen und dergleichen verbringt , oft spät bis in den Abend hinein . Aus diesem geselligen Sinn heraus wuchs jenes stramme Zusammengehörigkeitsgefühl und Bewusstsein , das besonders die Ortsgruppen des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins in den letzten Jahren ein bewunderungswertes Volkstumsleben entfalten ließ . Man findet heute bereits in allen diesen Ortsgruppen reichhaltige deutsche Volksbüchereien , wo ein jeder das seinen Bedürfnissen und Neigungen Entspre - chende findet : landwirtschaftliche und gewerbliche Bücher , Volksromane , religiös gerichtete Literatur , Reiselektüre , Kriegsund Heimatbücher usw . Das gab es vor dem Krieg , wo dieses Deutschtum noch keine kulturelle Landesorganisation hatte , nicht . In vielen , sogenannten Musterortsgruppen , wird eine – man möchte gerne sagen – großzügige Selbstbildungsarbeit in der Muttersprache entfaltet . Man hält deutsche Rechen- und Recht - schreibeübungen , veranstaltet Vorlesungsstunden , pflichtgemäße Sing- und Musikabende , bildet Gesangchöre und Musikkapellen . Um das Zusammenarbeiten der Nachbarortsgruppen und dadurch den Gemeinschaftsgedanken zu vertiefen , werden besonders bei festlichen Veranlassungen , rührend wirkende Besuche zwischen den einzelnen Ortsgruppen veranstaltet . Man frischt viele alte Festlichkeiten , wie Ernte und Weinlesefeste , geschwundene Bräuche auf , feiert Gemeinschaftsweihnachten , hält religiöse und vaterländische Feierabende . Und was nicht genügend hervorgehoben werden kann , fast allerorts kommt das dörfliche Theaterspiel immer stärker in Brauch . Nach anfänglich schüchternen Versuchen gelangen heute in vielen deutschen Gemeinden schon Schillers „ Wilhelm Tell ” und Anzengrubers „ Meineidbau - er ” zur Aufführung . Auch die alljährlich fast in allen Ortsgruppen abgehaltenen „ Schwabenbälle ” tragen wesentlich zur Verstärkung und Vertiefung des deutschungarischen Zusammengehörigkeits - ge fühls bei . An und für sich sind diese Leistungen nichts Him - melstürmendes . Bedenkt man aber , dass dieses Streben nach volklich-kultureller Selbstbildung in der Muttersprache bei unserem Volke vor dem ( Ersten Welt- ) Krieg überhaupt nicht oder nur hie und da vorhanden waren , so muss man mit Befriedigung feststellen , dass hier die wertvollste und edelste Arbeit einer bewussten Volkskulturbewegung geleistet wird , und zwar zumeist von unserem Volke selbst , ohne davon viel Aufhebens zu machen . Das früher volklich schlummernde schwäbische Bauernvolk macht achtungsgebietende Wandlungen durch , die ihm in den Augen eines jeden Kulturmenschen Anerkennung sichert . Es sieht voll Befriedigung die erreichten Fortschritte volklicher Entwicklung und blickt voll Hoffnung dem weiteren Ausbau entgegen , der – allem Anschein nach – nunmehr einsetzen und die unbefriedigten Wünsche nach und nach erfüllen soll . Was heute also als ein seelischer Zuwachs des im Großen und Ganzen einheitlichen ungarländischen Deutschtums , seines Volkscharakters und seiner Gefühlswelt zu bezeichnen ist , ist das durch den Welt - krieg überall erwachte eigentümliche deutschungarische Volks - bewußtsein . Dieses von tiefer und reiner Vaterlandsliebe durchdrungene Zusammengehörigkeitsgefühl bekundet sich am kräf-
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