Sonntagsblatt 1/2022 | Page 27

Im Milleniumsjahr 2000 besuchten wir – mittlerweile eine fünfköpfige Familie – wieder den Süden Ungarns . Höhepunkt war ein Heimatfest , zu dem alle Jackfaller eingeladen waren . Unterschiedliche Menschen aus dem gleichen Dorf sprachen „ jackfallerisch ”, oberbairisch , schwäbisch , hochdeutsch und natürlich ungarisch . Der Veranstalter - die Gemeinde Jackfall – präsentierte zwei druckfrische Ortsbücher dem Publikum und der anwesenden Presse .
In dieser Zeit fiel mir ganz besonders das Verschwinden der Mundart und die „ holprige ” Art zu sprechen auf . Vor allem bei den jüngeren Menschen wurden kaum mehr Mundartsprecher ermittelt . Sie lernten die Hochsprache in der Schule und sprachen sie so aus .
Nach weiteren zwanzig Jahren ist mir klar geworden , dass jetzt die Tage der Mundart gezählt sind . Die deutschen Mundarten werden nur noch auf Tonträgern zu hören sein !
Die Hoffnung auf das Überleben des Deutschtums in Ungarn wird der Gebrauch der Sprache sein . Ansonsten werden die Sprache und so auch die Identität verloren gehen . Übrigbleiben wird die Folklore : Blaskapelle , Tanz und Trachtengruppen mit ungarischer Moderation .
Sonntagsblatt-Erstveröffentlichung

Erinnerungen eines Ungarndeutschen

Von San . -Rat Dr . Johannes Angeli
Vorwort
So manches kann der Mensch erleben , wenn er über 80 Jahre alt wird , lebte er aber in den letzten acht Jahrzehnten , dann umso mehr - umso mehr auch , wenn er als Auslandsdeutscher vertrieben wurde und schließlich aus der DDR geflohen in der BRD wieder eine neue Heimat gefunden hat . Vor Jahren hat mein damals 12-jähriger Sohn gelangweilt gestöhnt : „ Ach Papa , bei dir war wenigsten noch was los .” Da konnte ich nur antworten : „ Du weißt doch gar nicht , wie glücklich Du sein kannst , in dieser guten neuen Zeit leben zu können .” Keineswegs handelt dieser Rückblick – um mit Goethe zu sprechen – von „ Dichtung und Wahrheit “, sondern von Wahrheiten aus den „ Erinnerungen eines Ungarndeutschen “.
Gern hätte ich auf so manche mir aufgezwungene Ereignisse lieber verzichtet , aber die Weltpolitik und ihre Folgen haben den kleinen Mann , hier den kleinen 10-jährigen Jungen mitgerissen , ob er wollte oder nicht . So wurden viele meines Namens aus dem kleinen ungarndeutschen Dorf vom Winde verweht , vom Winde der Weltgeschichte in alle Himmelsrichtungen .
Wie es mir erging , will ich aus der Sicht eines kleinen Jungen , eines Jugendlichen , eines Familienvaters und schließlich als zurückblickender Rentner aufschreiben – aufschreiben für die , die Ähnliches durchlebten , die uns vielleicht nur verstehen wollen oder gar nur für die Enkel unserer Zeit und unserer Familien .
Teil 6.2 ( letzter Teil ): Wieder über Ungarn nach Deutschland – die Flucht 1989 ( Teil 6.1 ist in Nr . 4 / 2021 erschienen )
Überhaupt sollte man diese Flucht 1989 mit der Vertreibung vergleichen ?
SoNNTAGSBLATT
Sicher sind beide eine totale Entwurzelung des Menschen aus seiner vertrauten Umgebung : Abschied von Freunden und Verwandten , Verlust des Großteils des Eigentums , totaler finanzieller Neuanfang mit Angst und Gefühl der Mittellosigkeit , Aufgabe des bisherigen Erwerbslebens – ja , urplötzliches Wiederfinden in einer neuen fremden Welt .
Aber ein großer entscheidender Unterschied für uns war , dass wir nicht willenlos einem politischen Diktat ausgeliefert und wie Übeltäter „ verjagt ” wurden , sondern diesen Weg bewusst und mit voller Überzeugung gewählt hatten , was für uns in den kommenden Monaten und Jahren des schwierigen Neuanfangs von entscheidender Bedeutung war : Wir hatten diesen Schritt gewählt , wir waren für alles verantwortlich und da müssen wir jetzt mit der ganzen Familie , von Groß bis Klein , mit Engagement , Enthusiasmus und festen Zielen hindurch !
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