Sonntagsblatt 1/2021 | Page 18

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Ein ewiger Kampf um den Fortbestand !
Im Gespräch mit Franz Schaffner , einem der Vizepräsidenten des Bündnisses der germanischen Regionalsprachen in Frankreich ( Elsass , Ostlothringen und Flandern )
Von Richard Guth
Mein Kurzbesuch im Elsass ( siehe Reisenotizen im SB 4 / 2020 ) ließ noch viele Fragen offen . Wie es heutzutage so ist , griff ich zur Laptoptastatur , um mich über die Lage der deutschen Sprache und der deutschen bzw . deutschsprachigen Bevölkerung zu informieren . Ich bin schnell fündig geworden , denn einer der Artikel aus dem Jahre 2017 widmete sich den Herausforderungen des Deutschunterrichts . Die beiden Autoren , Monique ( Monika ) Matter und François ( Franz ) Schaffner , vertreten ein Bündnis , das sich für die Belange der Deutschsprachigen im Elsass und in Lothringen , aber auch fürs Flämische und seine Standardsprache , das Niederländische in Frankreich einsetzt - Matter als Vorsitzende und Schaffner als Vizevorsitzender . Der Comité Fédéral , wie die Organisation auf Französisch heißt , will nach eigenen Angaben die Koordinationsstelle sämtlicher Verbandsmitglieder sein , „ für unsere Sprache in der Öffentlichkeit und bei öffentlichen Stellen werben ”, die elsässische Bevölkerung über den Zustand unserer Sprache informieren , Anregungen zur Schaffung einer regionalen Sprachpolitik liefern und gegen die Missachtung elementarer Sprachrechte juristisch vorgehen . Gegründet wurde das Bündnis , damals als Verband , Anfang der 1990er Jahre . Aber wie Franz Schaffner im Gespräch mit dem Sonntagsblatt aufzeigte , begann der Kampf um den Fortbestand der deutschsprachigen Gemeinschaft viel früher - in einem Landstrich , der seit dem Mittelalter bzw . vielmehr seit dem 16 . Jahrhundert sowohl vom zentralistischen Frankreich als auch von den deutschsprachigen Ländern unter dem Dach des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ( zu dem das Elsass lange gehörte ) beansprucht wurde .
Bereits 1648 , als das Elsass an das Königreich Frankreich kam , führte man in der Verwaltung Französisch ein , auch im Kreise des Adels und der Bourgoisie forcierte man den Gebrauch der französischen Sprache . Aber : „ Es fing mit den Jakobinern um 1792 an ”, erklärt Franz Schaffner , denn die hätten die Ideologie „ eine Nation , eine Sprache ” erfunden . So galten fortan Anderssprachige als Feinde . Bis sich dieser Gedanke durchsetzen konnte , dauerte es nach Angaben des 77-Jährigen noch einige Jahrzehnte : 1860 hatte man ein System eingeführt , in dem Deutsch in 2,5 Stunden unterrichtet wurde , der Fachunterricht fand hingegen fast ausschließlich auf Französisch statt . Den nächsten großen Meilenstein stellte das Jahr 1871 dar , als Frankreich nach dem verlorenen Krieg Deutsch-Lothringen und das Elsass an das Deutsche Kaiserreich abtreten musste . Danach wurde Hochdeutsch obligatorische Schulsprache , doch in den französischen Teilen von Elsass-Lothringen fand der Unterricht in den ersten zwei Jahren auf Französisch statt . Das erste Weltbrennen 1914-18 sorgte wieder für gravierende Veränderungen : Elsass und Lothringen wurden wieder französisch und „ Deutsch wurde in die Ecke gedrückt ”, so Schaffner . In der Praxis bedeutete das 3-4 Stunden in der Woche Deutschunterricht , „ gerne am Ende des Tages , sonst alles auf Französisch .” Wie wir im Gespräch schmunzelnd feststellen müssen : Muster von „ mustergültigen Minderheitenpolitiken ” ähneln einander gespenstisch . 1927 führten die Bemühungen der Vertreter der deutschsprachigen Elsässer um mehr Deutsch in der Schule zu einem Kompromiss ( ein Begriff , den die französische Schulpolitik im Elsass bis heute begleitet ): vier Stunden Deutsch mit Lesen , Schreiben und Rechnen , dazu Religionsunterricht in weiteren vier Stunden auf Hochdeutsch .
Der deutsche Angriff auf Frankreich zeichnete 1940 die Karten wiederum neu : Elsass und Lothringen wurden annektiert , alles
Französische verboten . „ Es fand ein Unterricht mit rassistischen Einlagen statt ”, so der Verlagschef aus Straßburg . Im März 1945 wurde das Elsass befreit und „ die alten Methoden fingen wieder an ”, ergänzt um eine „ Idee der Schulverwaltung , wonach alles , was Deutsch ist , Nazideutsch sei ”: Die Jugend hatte fortan keinen Deutschunterricht mehr , die vier Jahre der Besatzung musste man nach Angaben von Schaffner nachholen . Anfang der 1950er Jahre wagte man sich wieder an den Deutschunterricht heran , ähnlich wie in Ungarn : Das bedeutete zwei Stunden pro Woche , wenn Eltern und Lehrer zustimmten . Laut einer Umfrage unter den Eltern waren 75 bis 85 % der Eltern für den Deutsch-Unterricht . „ Sie haben ihre Sprache nicht über Bord geworfen ”, bringt Franz Schaffner es auf den Punkt und spricht allerdings davon , dass viele Lehrer die Einführung des Deutschunterrichts in den 1950ern sabotiert hätten . So fiel der Deutschunterricht nach Angaben von Schaffner ab dem 7 . Schuljahr mit der Einführung der Collège „ ins Wasser ”. Die 68er Bewegung „ schüttelte die Jugend durch ”, so die Erinnerungen des Zeitzeugen , Jahrgang 1943 , und es kam zur Gründung eines Vereins für Zweisprachigkeit - benannt nach dem Schriftsteller René Schickele . Diese Gesellschaft gab Broschüren heraus und unterbreitete ein freies Deutschunterrichtsangebot , mit mittwochs und samstags 2-3 Stunden , das ganz schnell 1500 – 1800 Kinder erreichte . Der Staat witterte nach Erinnerungen von Schaffner aber Konkurrenz und 1971 / 72 wurde in den Grundschulklassen 4 und 5 der Deutschunterricht eingeführt : 2,5 Stunden auf freiwilliger Basis . Dieses magere Angebot konnte laut Schaffner der negativen Entwicklung aber nicht entgegenwirken : Die Sprachverwendung ging rapide zurück . Es bedurfte wohl anderer Wege : Ein Zusammentun von Eltern und einem Beamten aus dem Oberelsass brachte nach Schaffner den Durchbruch : Die ABCM wurde gegründet und 1991 wurde an drei Schulen ein bilinguales Projekt mit vorerst 75 Schülern gestartet : 50 % des Stundendeputats wurde auf Deutsch erteilt - beginnend in der Vorschule mit 3 Jahren . Der leitende Aufsichtsbeamte der Schulverwaltung , der bis 1999 im Amt blieb , war nach Erinnerungen von Franz Schaffner positiv gesinnt und so wurde das Angebot jährlich auf 12 Schulen ausgeweitet , wo Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 16 Jahren zweisprachig unterrichtet wurden . Deren Zahl erreichte 2015 35.000-40.000 .
Auch hier musste man aber die Erfahrung machen , dass der Anteil an der Collége ( 7-9 Stunden statt 12 ) nicht dem „ paritätischen Prinzip ” entsprach bzw . entspricht . Es fehle an Lehrern , heißt es , die „ pädagogisch auf Trab sind und gut Deutsch können ” - Schaffner sieht dabei auch die Nachwuchsarbeit , die vernachlässigt worden sei , als eine Ursache . Darüber hinaus wären immer noch viele ( vornehmlich frankophone ) Entscheidungsträger der Meinung , Zweisprachigkeit sei eine Sache der Elite und schade dem Französischunterricht . Dennoch zeigt sich Schaffner weiterhin kämpferisch : „ Wir sind dran , die Sache ins Lot zu bringen ”, was aber nicht einfach sei , zumal die Zahl der Mundartsprecher in den letzten Jahrzehnten rapide zurückgegangen ist , was Statistiken belegen . So hätten sich die Verhältnisse umgekehrt . Man pflege deshalb zu sagen : „ Wenn Du gut Hochdeutsch kannst , dann kannst du dich , wenn du willst , mit einem der Dialekte beschäftigen .” Durch das Verschwinden der Dialekte , die von den Offiziellen immer noch oft als minderwertig angesehen würden , würde dem Hochdeutschen der Boden unter den Füßen weggezogen . Dies führe auch im Kreise der Elsässer zu ( für uns wohlbekannten ) Tendenzen einer „ Folklorisierung ” des Elsässerseins .
Auch jüngste Pläne der Schulverwaltung bargen nach Eindruck des Verlegers Gefahren : „ Alle Studenten müssen in den ersten vier Jahren beweisen , dass sie gut Englisch können . Das kann dazu führen , dass viele Gymnasiasten Englisch wählen , was wiederum zur Verschärfung des Lehrermangels in Deutsch führen könnte . Wir tun alles dafür , dass es mit dem zweisprachigen Unterricht weitergeht .” Das sei eine Form , die in vielen Fällen ohnehin einen Kompromiss darstelle : Während es in der Grundschule noch recht gut klappe mit der Bilingualität - es gebe dabei neben den zweisprachigen Klassen noch welche mit 3 Stunden Deutschunterricht , so sehe es an den Oberschulen nicht mehr „ paritätisch ” aus : Neben Deutsch würden die Fächer Mathe , Geschichte , Sport oder Naturwissenschaften auf Deutsch unterrich-
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