Sonntagsblatt 1/2021 | Page 28

dem Deutschen ins Ungarische . Bei so vielen Tätigkeiten stellt sich mir die Frage , was du als dein Lebenswerk bezeichnen würdest ? Welche sind die Themen und Aufgaben , die dich am meisten motivieren ?
JW : Von denen sind nicht alle Funktionen wichtig . Es scheint zwar viel zu sein , aber am liebsten sitze ich an meinem Schreibtisch und lese , so ganz frei . Zu lesen ist am schönsten , wenn man kein bestimmtes Ziel hat , wenn man nicht unbedingt damit etwas anfangen will , wenn man sich in der Lektüre ganz frei fühlt . Ich will jetzt nicht über meine Forschungsergebnisse sprechen , ich meine , ich bin noch nicht so alt , dass ich ein Bild haben muss über mein eigenes „ Lebenswerk “. Was für mich immer wichtig war , war ein gewisser Habitus : Man muss immer etwas davon lernen . An der Uni sind nicht Lehrende und Lernende , sondern es müssten eigentlich Lernprozesse stattfinden . Das kann viel Spaß machen , ich habe in dieser Hinsicht Glück gehabt und habe sehr viel von meinen Studenten gelernt - wahrscheinlich mehr als sie von mir . Aber wenn ich doch etwas Konkretes sagen müsste , wäre es , dass ich immer so spreche und schreibe , als ob ich gar nicht hier , sondern in einem ganz anderen Kontext stehen würde . Im Unterricht spreche ich zwar ungarisch , es geht aber immer um deutsche Bücher , Gedanken und Kultur . Das gilt auch , wenn ich meine Aufsätze und Bücher schreibe und wenn ich meine Vorträge halte .
SB : Als Philosoph ist Belesenheit ein Muss . Welche Werke haben dein Weltbild am meisten beeinflusst ? Gibt es Bücher , die du unseren Lesern empfehlen würdest ?
JW : Historisch gesehen habe ich eigentlich zwei Forschungsschwerpunkte : den deutschen Idealismus ( eigentlich die nachkantische Philosophie ) und die Frankfurter Schule . Mit 18 habe ich zum ersten Mal von Hegel die Phänomenologie des Geistes gelesen und gar nichts verstanden , aber ich wusste , wenn ich das verstehen würde , wäre ich so klug , wie ich gerne sein möchte . Mein zweiter großer Denker war Theodor W . Adorno , von dem die ersten Texte kurz nach seinem Tod Anfang der 70er Jahre auf Ungarisch erschienen sind . Mein dritter großer Denker war dann Jürgen Habermas , der später mein Doktorvater wurde und mit dem ich bis heute in Kontakt stehe .
SB : Wie siehst du die Lage des Ungarndeutschtums ? Gibt es eine ungarndeutsche Zukunft ? Falls ja , wie sieht diese aus ?
JW : Die Lage ist so traurig , wie sie noch nie war . Die Sprache ist verschwunden , die Identität zerbröckelt : Wir leiden auch an der typischen ungarischen Unfähigkeit das beste Führungspersonal zu finden . Schon im 19 . Jahrhundert bedeutete die Bildung so viel , wie die eigene Gruppe zu verlassen . Ich habe fast mein ganzes Leben in dieser Dorfgemeinschaft verbracht , habe bis zum Tod meiner Eltern aktiv die Mundart gesprochen . Ich habe mich aber immer geweigert irgendwelche Funktionen zu übernehmen ( wobei ich auch nie gebeten wurde ): Ich war nie Berufsungarndeutscher … Ob es eine Zukunft gibt ? Wenn es so weitergeht , dann nicht ! Ganz einfach gesagt , es gibt Prozesse der Modernisierung , die gefährden schon an sich die Minderheitsidentitäten , und wenn da noch eine nationalistisch geprägte Politik und Kulturpolitik dazu kommt , dann ist fast alles so gut wie ganz verloren . Für einzelne Leute gibt es da ziemlich wenig Spielraum , weil diese Momente auf einer politischen Ebene entschieden werden .
SB : Als Schlussfrage erlaube mir bitte dich zu fragen , welche Ratschläge du für die junge Generation hast ?
JW : Für eine ganze Generation hätte ich wahrscheinlich keine Ratschläge , für einzelne Personen nur so viel , dass sie ausharren sollen . Die ungarndeutsche Identität konnte sich nach dem Weltkrieg durch die Erinnerung an die Schicksalsschläge aufrechterhalten . Diese Erinnerung ist aber privat geblieben , ist kulturell kaum vermittelt worden . Es gab auch die Bedingungen nicht dazu . Doch konnte sie ein wenig die Auswirkungen der Modernisierung und der ungarischen nationalistischen Kultur- und Identitätspolitiken bremsen . Als eine Generation nach der anderen kam , hat diese kulturelle Vermittlung immer mehr gefehlt .
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Man muss auf jeden Fall von vorne anfangen , es gibt zahlreiche Generationen , für die die kollektiven Schicksalsschläge nichts mehr oder kaum noch etwas bedeuten . Es ist schwer auszusprechen : Ich bin skeptisch , dass so ein Potential für eine Regeneration noch vorhanden ist .
SB : Johann , vielen Dank für das Gespräch !
Ioan-Aurel Pop / Ioan Bolovan : Geschichte Siebenbürgens - eine Rezension
Von Dr . Hans Dama
Das Thema dieses Buches ist reizvoll , denn Siebenbürgen war und ist im Herzen des inneren Karpatenbogens samt seiner Randregionen Crişana , Nordbanat und Maramuresch seit alters her ein geschichtsträchtiger Boden .
Beide Autoren sind namhafte international geschätzte Historiker der „ Babeş-Bólyai “ -Universität in Klausenburg / Cluj-Napoca , Ioan - Aurel Pop ist seit 2018 Präsident der Rumänischen Akademie der Wissenschaften .
Die Abhandlung beginnt – wie könnte es auch anders sein – mit der Präsentation der Urbevölkerung des Raumes , den Geto-Dakern ( auch als Geto-Dazier bezeichnet ), die dem Volk der im Nordbalkan siedelnden Thrakern angehören . Im Südosten Siebenbürgens werden die ersten staatsbildenden Strukturen im Königreich des Burebista ( 82-44 . v . Chr .) und des Decebal ( 87- 106 n . Chr .) im Hatzeger Land – mit der historischen Hauptstadt Sarmizegetuza - vorgestellt .
Die Eroberung durch die Römer unter Kaiser Trajan in beiden dakisch-römischen Kriegen ( I : 101-102 n . Chr .; II : 105-106 n . Chr .) bereiteten dem Königreich der Daker ein Ende und fortan wurde die 200-jährige Herrschaft der Römer in der Provinz Dacia mit ihren drei Gebieten – Dacia Inferior , Dacia Superior und Dacia Porolissenzis – verwaltet .
Der Leser erfährt Grundlegendes über die Entstehung des rumänischen Volkes und seiner Sprache - im 7 . -8 . Jahrhundert durch die Verschmelzung der autochthonen Bevölkerung mit ehemaligen römischen Beamten und niedergelassenen Veteranen und der von ihnen gesprochenen Latina vulgata ( S . 59 ) – als Donaulatein in die Forschung eingegangen .
Die von der römischen Herrschaft hinterlassenen Spuren in Dakien widerspiegeln sich in der Kultur , in der Lebensweise und in der Sprache der bodenständigen Bevölkerung : Lediglich circa 70 Wörter aus der Sprache der eingeborenen Geto-Daker kommen im heutigen aktiven alltäglichen Sprachgebrauch noch vor , 160 Ausdrücke bestehen noch allgemein wie z . B . balaur ( Drache ) oder brânză ( Käse ), barza ( Stroch ), băiat ( Junge , Knabe , Bube ), brazdă ( Furche ) u . a . Interessant erscheint die Feststellung , dass ungefähr 90 dieser Begriffe auch in der albanischen Sprache beheimatet sind …
Die Autoren weisen auf die um 350 einsetzende Völkerwanderung hin , die zu weiteren Vermischungsvorgängen der bodenständigen Bevölkerung mit durchziehenden Völkern führen , was jedoch den Festigungsprozess der rumänischen Sprache wie des rumänischen Volkes keineswegs aufzuhalten vermochte : Gepiden , Goten , Awaren , Hunnen u . a . waren für die frühe Staatsgründung auf dem Gebiete Siebenbürgens wohl hinderlich .
Die den asiatischen Völkergruppen entstammenden finno-ugrischen Ungaren - in der Schlacht auf dem Lechfeld ( 955 ) von
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