Sonntagsblatt 1/2020 | Page 23

Nationalhelden. Wir haben eigene ehrwürdige historische Per- sönlichkeiten. SB: Die Frage stellte ich auch deshalb, weil ich weiß, dass Sie und Ihr Verbandsvorsitzender, Bence Szeljak, im Mutter- land studieren. Wie sind Ihre Erfahrungen, wie werden Sie wahrgenommen: als Slowake, Madjare oder Ungar? BP: Ich glaube, ich kann auch im Namen der anderen behaup- ten, dass die Universität in Neutra/Nitra eine sehr gute ist. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre und die Lehrer sind größten- teils sehr anständig. Was mich überrascht hat, ist das hohe Maß an Toleranz und Hilfsbereitschaft, die die Lehrpersonen und die Kommilitonen uns gegenüber zeigen. Die Lehrer wissen, dass es uns gibt - viele von ihnen waren bereits in Čaba und Umgebung - aber die Studenten haben keine Ahnung. Sie sind aber sehr interessiert und fragen, was uns bewegt hat in Neutra/Nitra zu studieren und wie die Situation bei uns zu Hause ist. Gegenbei- spiele gibt es natürlich auch immer. Ich persönlich benutze das Attribut „Slowake“ hierzulande lieber als dort - vor allem, wenn ich mit Slowakeimadjaren spreche; bei ihnen habe ich generell schlechtere Erfahrungen gesammelt, aber man kann natürlich nie verallgemeinern. Wir kämpfen gemeinsam gegen das Ge- fühl der Minderwertigkeit - das heißt Angehörige einer Minderheit zu sein. Unser Ziel ist es, auch ihnen die ungarländisch-slowa- kische Kultur näherzubringen. Einmal haben wir Bryndzové ha- lušky, also Brimsennocken und Čabianska klobása, also Wurst aus Čaba mitgebracht. Ich muss nicht sagen, wie sehr es allen geschmeckt hat. SB: Herr Püski, vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Richard Guth. Sonntagsblatt und Wirtschaft s „Hinter jedem Produkt steckt eine Philosophie” Von Richard Guth Das Restaurant Schieszl in Kalasch/Budakalász Schieszl – für viele in und rund um Budapest ein Inbegriff für „Gastronomie und Wein”. Das steht in Anführungsstrichen, denn diese Aussage stammt vom Juniorchef des Familienbetriebs, dem gelernten Koch Konrad Schieszl jun., der seit 2001 in fünfter Generation die Gastwirtschaft in der Hauptstraße von Kalasch/ Budakalász führt. Dafür, dass diese Aussage keine bloße Eigen- werbung ist, bürgt meine Frau, eine wahre Gastroliebhaberin mit (manchmal unverständlich) hohen Ansprüchen, die auf mei- ne Anfrage hin wohl etwas mit dem Namen Schieszl anfangen konnte. SoNNTAGSBLATT An diesem Dreikönigswochenende sind Restaurant und Wein- stube gut besucht – nicht nur die Kellner haben aber alle Hän- de voll zu tun, sondern auch Konrad Schieszl junior. Er taucht plötzlich auf, begrüßt mich und läuft zu seinen Mitarbeitern, die er ebenfalls mit Händedruck begrüßt – willkommen im Familien- betrieb Schieszl. In die Geschichte des Betriebs gewährt der Seniorchef, Konrad Schieszl sen., einen ausführlichen Einblick. Die Geschichte der Familie Schieszl (ursprünglich Schiessl) reicht nach seinen Erin- nerungen in das Jahr 1896 zurück, als der Urgroßvater von Kon- rad Schieszl sen., Johann Schieszl, beschlossen hatte, seinen selbst angebauten Wein in einer eigenen Weinschenke, die im Eingangsbereich des Weinkellers eingerichtet wurde, zum Kauf anzubieten. Die Familie gehört zu den ersten deutschen Ansied- lern von Kalasch, die sich wenige Jahre nach der Vertreibung der Osmanen aus Ofen und Umgebung 1686 in der Gemeinde niederließen. Oberhalb des Kellers gab es damals noch Wein- gärten, Haus und Hof, die sich immer noch im Familienbesitz befinden, gehörten zu den ältesten Siedlerhäusern. Nicht lange währte jedoch das Glück von Johann Schieszl, denn die Reblaus zerstörte die Weinplantagen - nicht nur in Kalasch, sondern in der ganzen Umgebung – davon könnten die Braunhaxler von Alt- ofen ein Lied singen. Der Großvater war nach Konrad Schieszls Erinnerungen gezwungen sich neu aufzustellen. Er kaufte in Kecskemét und Gyöngyös Trauben an, verarbeitete sie zum Wein und bot diesen im Weinhandel an. 1914 wurde von seinem Sohn Konrad (der erste von den drei Konrads) ein Restaurant eröffnet, das 1940 von seinem Sohn Sebastian übernommen wurde. Konrad widmete sich fortan dem Weinhandel – immerhin gingen 2000 Hektoliter Wein pro Jahr über die Tresen. Die Jahre 1945 (Einmarsch der Sowjets) und 1946 (die Vertrei- bung) waren schicksalsträchtig für die Familie: Sebastian konnte sich und seine Angehörigen befreien lassen, nicht so Großvater Konrad, der in die Nähe von Schorndorf vertrieben wurde und acht Jahre später dort starb. 1949 folgte die Verstaatlichung des Familienbetriebs. Der Staat versuchte den 25 Joch großen Grundbesitz des Vaters zu kollektivieren und Sebastian musste aus gesundheitlichen Gründen diesem Druck der ständigen Re- quirierungsmaßnahmen 1952 nachgeben: Er arbeitete zunächst im Steinbruch, dann als Kellner an der Technischen Universität in Budapest. Die Familie von Sebastian musste darüber hinaus 1949 binnen 24 Stunden das Haus verlassen und wurde in ein nahegelegenes Gehöft zwangsumgesiedelt – die Verbannung dauerte ein ganzes Jahr. Die Familie, so auch mein Gesprächs- partner Konrad Schieszl sen., der damals neun Jahre alt war, durfte aber dank einem Parteifunktionär, der früher Sebastians Schulkamerad war, als Mieter wieder in das Haus einziehen, das sie neun Jahre später zurückkaufen „durfte” - für 60.000 Forint - was damals dem Preis dreier Einfamilienhäuser entsprach. Sebastian Schieszl betrat 1959 wieder teilweise den Pfad der Selbstständigkeit: Er übernahm ein Áfész (Genossenschafts-) Restaurant in Kalasch, das früher einer anderen deutschen Fa- milie gehörte und das er bis 1970 leitete. 1969 fing Sebastian mit seinem Sohn Konrad sen. zusammen an (der damals bei der LPG von Bogdan/Dunabogdány arbeitete - „unter Schwaben” - wie er sagt), die alte Weinschenke wieder in Betrieb zu neh- men, damals im Verbund mit der örtlichen LPG, die die Bänke anfertigte und für den Transport des Weins aus Gyöngyös sorg- te. Nach Erinnerungen des Seniorchefs zahlte die LPG damals 2,5 Forint pro Liter, aus denen man alle Ausgaben finanzieren musste. 1989 wurde das Weingut der LPG in Brand gesteckt, die politische Wende hat das alte Geschäftsmodell, was Konrad sen. als erträglich beschrieb, ohnehin in Frage gestellt. Neben dem Verkauf von Wein zuletzt aus Willand entschied sich Konrad sen. eigenen Wein anzubauen – 1979 erwarb er das erste Grund- stück im Plattenseeoberland und setzte Weinstöcke. Mittlerweile (Fortsetzung auf Seite 24) 23