Sonntagsblatt 1/2019 | Page 15

Was kommt nach der „Bühnenkultur”? Zeitgeschehen-Geschichte s Eine Ankündigung, die viele Fragen aufwirft Von Richard Guth Vor einiger Zeit tauchte im Internet eine Ankündigung auf. An sich nichts Besonderes, denn gerade im IT-Zeitalter lassen sich Infor- mationen schnell mitteilen und werden wieder modifiziert oder revidiert. Eine Musikgruppe teilte mit, dass sie sich musikalisch verändern werde, was ihr gutes Recht ist. Als Begründung führte sie die immer geringere Nachfrage seitens ungarndeutscher Ju- gendlicher nach authentischer schwäbischer Musik an. Dies wür- de nach Ansicht der Bandmitglieder damit zusammenhängen, dass immer weniger Menschen die Texte und die Botschaft der Musikstücke bzw. Lieder verstehen würden. Sie meinen, dass sie nicht imstande wären, das Unaufhaltsame aufzuhalten. Als Konsequenz will die Musikgruppe sich einen neuen, volkstüm- lichen Namen zulegen und die deutschen bzw. schwäbischen Texte ins Ungarische übertragen und diese auch in der Sprache vortragen, die auch jeder verstehe. Das würde im Falle, so die Kommentatoren, eine Zäsur im Leben dieser Gruppe bedeuten, denn diese habe sich bislang um die Pflege und Verbreitung au- thentischer ungarndeutscher Musik bemüht, was die verfügba- ren CD-Aufnahmen aus den vergangenen Jahren nur zum Teil bestätigen. Die Ankündigung löste unterschiedliche Reaktionen aus, darunter auch etliche kritische, die sich – neben persön- licher Kritik – auch gegen die Aussage richteten, wonach die authentische, schwäbische Volksmusik zum Tode verurteilt sei. Eigentlich erfreuliche Reaktionen, die zeigen, dass man sich in dieser Sache unter den Ungarndeutschen durchaus unterschied- licher Meinung ist. Dennoch ist gerade die Analyse der sprachlichen Situation be- merkenswert ehrlich. Dass die jungen Generationen, bis auf einen kleinen Kreis, die Sprache der Ahnen nicht mehr beherr- schen, ist ein Fakt, daran haben die letzten 30 Jahre seit der Wende wenig geändert, trotz größeren Deutschangebots an Flaggschiffschulen und bei geringerem Angebot an den übrigen Schulen. Deutsch (oder die jeweilige Mundart) ist seit Jahrzehn- ten (hier gibt es durchaus Unterschiede, sogar von Ort zu Ort) keine Familiensprache mehr, selbst passive Sprachkenntnisse - wie in den 60er und 70er Jahren noch verbreitet - werden nicht mehr erworben. Punktuell gibt es immer noch Familien, die Wert auf die Weitergabe (bzw. Wiederbelebung) der Sprache legen – oft belächelt oder bestaunt von der Mehrheit, die nicht in der Lage ist, den Stellenwert der Sprache für die eigene Identität zu erkennen. Als Argument hört man ganz abenteuerliche Dinge, je- denfalls betonen diese ungarischsprachigen Ungarndeutschen, dass man sich redlich bemühen würde, die Traditionen zu pfle- gen. Dass diese Traditionspflege, so die Erfahrungen, die man oft macht, wenn man Veranstaltungen beiwohnt, in den meisten Fäl- len auf Ungarisch betrieben wird (Konferieren, Anweisungen und Pausengespräche durchweg auf Ungarisch, Infomaterial und An- kündigungen ebenso einsprachig ungarisch), überrascht keinen mehr. Aber dass man nun anfangen würde, bewusst deutsche Texte ins Ungarische zu übertragen, um diese zu ersetzen, wäre ein Novum (es gibt bereits jetzt zuhauf Präzedenzfälle dafür, dass man zusätzlich Strophen auf Ungarisch dazudichtet). So würde ein Restdeutsch aus dem bühnenartigen Kulturleben der Ungarndeutschen verschwinden, was dieses noch von dem ma- djarischen unterscheidet. Selbstaufgabe war noch nie etwas, was einen vorangebracht hat. So gilt es in diesen schwierigen Zeiten, unsere authenti- schen Werte trotz Zeitgeist und dem Gebot der Bequemlichkeit zu verteidigen. SoNNTAGSBLATT V or 100 Jahren: Die Gründung der ’Republik Heinzenland’ in Westungarn Von Stefan Pleyer Das Chaos nach den Waffenstillständen an den Fronten des Ers- ten Weltkriegs löste einen weltgeschichtlichen Kataklysmos aus: Der Übergang von der „alten Ordnung” zur neuen, modernen ra- dierte die Österreichisch-Ungarische Monarchie auf der Landes- karte aus, im Ergebnis erschienen neue Staatsgebilde wie die im Dezember 1918 proklamierte ungarndeutsche „Eintagsrepublik” Heinzenland, die wegen der Länge oder besser gesagt Kürze der Zeit ihres Bestehens - 22 Stunden - als einer der die kürzeste Zeit bestehenden Staaten in der Geschichte bekannt wurde. Westungarn-Deutsch-Westungarn-Heinzenland-Burgenland Zuerst müssen wir die im Artikel verwendeten Begriffe klären – wir fangen mit „Westungarn” an: Die treffendste Benennung soll- te da „Deutsch-Westungarn” sein, wie es die damaligen Zeitge- nossen bezeichneten. Unter „Deutsch-Westungarn” versteht der Historiker die früheren Gebiete des heutigen Burgenlandes, die auch bis heute von Ungarndeutschen bewohnten ehemaligen westlichen Landesteile Ungarns in den Komitaten Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg. Mit einem Blick auf die ungarische Landkarte von 1910 wird sichtbar, dass die dortige deutsche Be- völkerung einen wesentlichen Anteil des historischen Ungarn- deutschtums ausmachte, der sich trotz der Stürme des 20. Jahr- hunderts (hinsichtlich Bevölkerungszahl und Sprache, dank der Nähe zum deutschen Sprachraum) gut erhalten konnte. In die- ser Region werden zwei verschiedene deutsche Volksgruppen unterschieden, nämlich die Heanzen und die Heidebauern: Hin- sichtlich der Herkunft des Heanzenvolkes entstanden in der Ver- gangenheit mehrere kontroverse Legenden - von den „alten Got- hen über die Franken Karls des Großen bis zu den „Söhnen des Schwabenzugs”. In Wirklichkeit ist das Heanzentum ein Resultat der ständigen, aus den süddeutschen (bayerischen, steirisch-ös- terreichischen, schwäbischen) Gebieten seit dem Mittelalter über Jahrhunderte erfolgten Einwanderungswellen, wodurch dieses deutsche Element sein Siedlungsland Heanzenland oder Hean- zerei vom Wieselburger Seewinkel bis Güssing erweiterte. Die Geschichte der Heidebauern gestaltete sich ähnlich mit dem Unterschied, dass ihre Ethnogenese von den frühneuzeitlichen protestantischen Glaubensflüchtlingen und dem Schwabenzug stärker betroffen war. Ihr traditionelles Wohngebiet deckte den heutigen österreichisch-ungarischen Heideboden (ung. Mosoni síkság) ab. Unter diese westungarndeutsche Kategorie fällt auch das Preßburger Land, das einer eigenen Vorstellung bedürfte. (Fortsetzung auf Seite 16) 15