verlassen, viele Familien wurden dabei getrennt.
Kirne gehörte zu den schwäbischen Dörfern, in den die Depor-
tation der Deutschen angeordnet wurde. Die Mehrheit der Be-
völkerung in der im Komitat Komorn-Gran gelegenen Gemeinde
war schwäbisch. Ihre Vorfahren wurden nach dem Ende der Os-
manenherrschaft ins Land gerufen. Die meisten Dorfbewohner
waren deutscher Muttersprache, viele der Alten konnten nicht
oder kaum Ungarisch.
Die Vertreibung traf die Gemeinde unerwartet. Am 27. August
1947 wurde das gesamte Gemeindegebiet abgesperrt, am
Dorfrand standen überall Gendarmen. Die Soldaten klopften
mit Listen in der Hand einzeln an den Haustüren und riefen die
Bewohner auf, binnen zwei Stunden zu packen. Am Vorabend
ahnte noch keiner, was ihn am nächsten Tag erwartet. Die Er-
wachsenen durften 20 kg pro Kopf mitnehmen, sie packten meist
Lebensmittel in ihr Bündel. Von der Kleidung zogen sie so viel
wie möglich an, damit dies nicht zum Gewicht des Bündels dazu-
gezählt wurde. Binnen eines Tages wurden 101 Familien nach
Deutschland umgesiedelt.
All dies hat die Familie meines Großvaters durchlebt. Meine zwei
Urgroßeltern mit den fünf Kindern standen auf der Liste der Ver-
triebenen, lediglich weil die Züge voll waren, blieben sie hier. Zu-
erst erfuhr ich aus den Erzählungen meines Großvaters über die
Vertreibung der Schwaben, danach habe ich angefangen mehre-
re Dorfbewohner, die davon betroffen waren, aufzusuchen.
Anna Haffner
„Mein Vater war Mitglied beim Volksbund, so haben wir damit
gerechnet, dass man uns 1945 unseres Hauses verweisen wird.
Eines Tages kamen dann die Polizisten, mit der Nachricht, dass
wir gehen müssen. Zuvor haben wir einige unserer Möbelstücke
in ein anderes Haus gebracht, von dem wir annahmen, dass es
von der Vertreibung nicht betroffen wird, aber die dortigen Be-
wohner wurden 1947 nach Deutschland gebracht, so ging all
unser Vermögen, das wir zu retten versuchten, für immer ver-
loren. Ich habe mich beim Schleppen sogar geschlagen. Es kam
ein Mann, der den Sparherd mitnehmen wollte, aber ich zog ihn
zurück, damit dieser im Haus bleibt. In unser Haus zog eine Neu-
siedlerin mit drei Kindern. Sie erlaubte uns, eine Weile zu blei-
ben, aber dennoch mussten wir rasch gehen. Zuerst vertrieben
sie uns, danach wir sie. Unsere Freunde halfen dabei, sie haben
die Flügel von einigen Hühnern gebrochen, dann die Füße von
Hasen, danach machte sich die Frau derartige Sorgen um ihr
verbliebenes Schwein, dass sie es in das hintere Zimmer ver-
frachtete, damit diesem nichts zustößt.
Wir mussten fünfmal umziehen. Zuerst zogen wir zum zweiten,
dann zum dritten Nachbarn, in die Mitte des Dorfes zu einer Fa-
milie, danach zogen wir in den Kindergarten, dessen Fenster mit
Papier verdeckt waren. Damals lebten wir in großer Armut. Mein
Vater war interniert, meine Mutter ging auf Märkte, damit wir uns
von etwas ernähren konnten, mein Bruder in Tarian, ich fast allei-
ne im Kindergarten bei den Ráczs.
Am Ende nahm uns die Familie meiner Patentante auf, dort
wohnten wir, als man 1947 an unserer Tür klopfte, damit wir pa-
cken, weil man uns zum Bahnhof bringen wollte. Mein Vater war
unten im Bergwerk, er wurde benachrichtigt, dass er sich nach
Hause begeben soll, da die Vertreibung begann. Wir haben alles
in einem Bündel verstaut, ich habe dabei sogar fünf Röcke an-
gezogen, damit deren Gewicht nicht zum Bündel dazugerechnet
wird. Als wir unten ankamen, waren die Wagen bereits voll, wir
konnten nicht mehr zusteigen. Wir wurden an die Seite gestellt
und nach einer gewissen Zeit entlassen. Auf dem Nachhause-
weg hat mein Buhler, der später mein Mann wurde, einen Neu-
siedlerburschen angehalten. Er hat diesen verjagt und das Pferd
mit unserem Bündel bepackt und zu uns nach Hause gebracht.
SoNNTAGSBLATT
Von dem Polizisten haben wir bereits am Bahnhof wieder unsere
Schlüssel erhalten, so konnten wir sofort ins Haus.
Besitzlos, aber wir konnten zurückkehren. Meine Eltern hatten
Haus und drei Morgen Besitz, aber diese wurden uns ohne ein
Wort weggenommen. Man hat diejenigen weggebracht, die noch
etwas besaßen. Die Eisenbahnwaggons standen noch einige
Tage bei Weinhield/Bánhida, dorthin brachten wir dem Bruder
meines Vaters und dessen Familie Honig und dies und jenes.
Den Kontakt zu ihnen brach nicht ab, wir haben viel per Brief kor-
respondiert. Wir haben in den Umschlag rote Paprika gesteckt,
nach einer gewissen Zeit war es erlaubt Pakete zu schicken.
Nach 1956 wurde dann alles einfacher.”
Bella Fegyveres
„Ich wurde in Kirne geboren, meine Eltern haben 1942 oder 1944
ein Haus im Ortsteil Patar gekauft. Mich konnten sie nicht dazu
bewegen umzuziehen, deswegen blieb ich in Kirne bei meinen
Großeltern und meiner Urgroßmutter. Ich wohnte gerne dort, weil
alles in der Nähe war, die Schule und die Kirche. Am Tag der
Vertreibung klopfte man bei uns nicht, denn mein Opa war An-
hänger der Kleinlandwirtepartei und erhielt von István Dobi eine
Befreiung.
Allerdings tauchten am Abend zwei Männer auf, die meinen
Großvater baten, den Befreiungsschein zu überreichen. Er woll-
te es natürlich nicht, deswegen riss man ihm das Blatt aus der
Hand, und sie sagten, dass die Papiere ungültig seien und wir
packen müssten, weil man uns mitnehmen werde. Wir hatten Be-
such aus Pest, er hat uns die Flucht ermöglicht, während mein
Großvater und die Seinen an der Tür verhandelten. Der Bekann-
te brachte uns zu einem Verwandten. Ich erinnere mich gut, dass
ich über das Tor klettern musste, damit ich rein konnte. An die-
sem Abend wurden vier Familien auf den Wagen geladen, unter
ihnen meine Großeltern, zusammen mit meiner Urgroßmutter
und der Familie des Bruders/der Schwester meiner Mutter. Sie
alle wurden dem Kirner Zug hinterhergefahren. Meine Mutter
brach nach Szob auf, um den Verwandten, die im Zug saßen,
warme Sachen zu bringen. Ich zog nach Patar zu meinen Eltern
und ging von dort in die Schule. Ich hatte kaum Kleidung, das
meiste blieb im Haus meiner Großeltern.
Nach der Vertreibung hat das Leben meiner Familie ein Partisa-
ne, der 1945 aus dem ehemaligen Oberungarn kam, zur Hölle
gemacht. Er versprach meiner Mutter, dass er die Familie Hoffart
nicht nur materiell, sondern auch seelisch (im ungarischen Origi-
nal: nervlich) kaputtmachen werde. Es kam auch so. Mein Vater
kam nach einem Schauprozess für ein Jahr ins Gefängnis, er
wurde schlussendlich vom Raaber Volksgericht freigesprochen.
Die Anklage lautete, dass er eine Volksbund-Zeitung lese. Wir
wurden bei der Verstaatlichung aus unserem Haus in Patar raus-
geschmissen und nach Kirne zur Kellerreihe geschickt, um dort
eine Wohnstelle zu errichten. Währenddessen versuchten mei-
ne Eltern mehrfach nach Deutschland zu fahren, aber erhielten
nie eine Genehmigung. Ich konnte 1963 dorthin fahren, aber ein
Wiedersehen mit den Großeltern war nicht mehr möglich.”
Paula Steger
„Morgens mussten wir auch packen, die Eltern durften pro Per-
son lediglich zwanzig Kilo mitnehmen. Wir hatten etwas Gold und
US-Dollar, die hat meine Mutter in den Rock eingenäht, deshalb
musste ich mit soldatischer Disziplin sitzen, damit aus meiner
Kleidung nichts runterrutscht. Wir wurden mit einem Laster zum
Bahnhof gebracht. Wir Kinder genossen es ja sehr. Wer konnte
damals auf einem Laster sitzen?! Danach durften wir sogar Zug
fahren, wir dachten, Gott wüsste, wie schön es sein wird.
Wir wurden vom Bahnhof weggeschickt, weil wir nicht auf der
Liste standen. Mein Großvater hatte eine Befreiung für die ganze
(Fortsetzung auf Seite 20)
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