Sonntagsblatt 1/2018 | Page 19

rungsmaßnahmen mit Schiffen und den Weg über das Eis der Ostsee . Viele Tausende haben den Marsch nicht überstanden , sind erfroren und verhungert .
Mit dem Eintreffen der Roten Armee wurden die Familien getrennt , noch anwesende Männer mit unbekanntem Ziel in Lager verschleppt . Frauen und die Mädchen wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet und massenweise Opfer von Übergriffen seitens der russischen Soldaten . Dazu herrschte unbeschreibliche Hungersnot , und es herrschten Minusgrade von 20 Grad und mehr .
Von den Wolfskindern versuchten viele nach Litauen zu fliehen . Die dortige Bevölkerung hat trotz des strengen Verbotes der sowjetischen Führung den deutschen Kindern zu helfen , ihnen Essen zukommen lassen oder sie gar bei sich aufgenommen , später auch adoptiert . Doch oft waren die Kinder für sie nur billige Arbeitskräfte .
Später kamen einige Kinder in russische Kinderheime und ab 1947 erfolgten einige Kindertransporte in die Sowjetische Besatzungszone , wo die Kleinst- und Kleinkinder in staatliche Heime kamen . Mit Hilfe des Roten Kreuzes haben sich später einige getrennte Familien wiedergefunden .
Die in Königsberg ( dem heutigen Kaliningrad ) und Litauen verbliebenen Kinder sind dort aufgewachsen , bekamen neue Namen , ihre eigene deutsche Identität haben sie verloren . Erst nach 1990 wurde das Thema „ Wolfskinder ” in Deutschland thematisiert , zahlreiche Berichte erschienen , in Filmen wurde das unsagbare Leid der Kinder dargestellt . Eine offizielle Anerkennung und Entschädigung als Opfer gab es nicht . Erst jetzt war eine Antragsstellung an das Bundesverwaltungsamt auf eine einmalige Entschädigung als Zwangsarbeiter bis zum 31.12 . 2017 möglich .
Das „ Wolfskind ” Frau Elli H . ist hochbetagt , lebt nahe Königsberg unter ärmsten Verhältnissen . Sie hat einen russischen Namen , eine neue Identität und fragt sich , wer sie eigentlich ist . Deutsch spricht sie selten , liest aber oft in ihrer deutschen Kinderbibel . Dabei wäre sie froh , wieder Elli H . zu sein , es in einem deutschen Pass bestätigt zu sehen . Auch sie hat von der Möglichkeit einer Entschädigung seitens des deutschen Staates erfahren , die deutsche Konsulin hilft bei der korrekten Ausfüllung des Antragformulars , das Angaben nach der Art der Zwangsarbeit , nach Zeugen verlangt . Eine schwere Aufgabe , diesen Nachweis zu erbringen .
Als ich von Frau Elli H . las , wusste ich , man muss helfen . Besonders vor Weihnachten wird für Bedürftige gesammelt , und diese armen und unschuldigen Deutschen , die alle schon im hohen Alter sind , müssen jetzt um die einmalige Entschädigung betteln . Zuerst kontaktierte ich die Autorin des Spiegel-Artikels . Über sie bekam ich Kontakt zu Martin K ., auch ein gebürtiger Ostpreuße , er lebt heute in Norddeutschland . Er kümmert sich um Hilfe für Frau Elli H . und garantiert persönlich , dass Geldspenden ohne Abzüge an sie weitergeleitet werden . Wir haben E-Mails getauscht , uns per Skype unterhalten , und er konnte mir mit Begeisterung von den zahlreichen hilfsbereiten Landsleuten berichten , und eben sogar auch aus Ungarn . Die Nachricht von der spontanen Hilfsbereitschaft ist in Königsberg mit rührender Freude aufgenommen worden , auch der Vikar hat davon während der Messe in der Königsberger Kirche berichtet .
Für mich selbst war es eine große Weihnachtsfreude , innerhalb weniger Tage neue Freunde kennen zu lernen und Bedürftigen helfen zu können .
Über mein persönliches Erlebnis hinaus halte ich es für wichtig , dass das Leiden der „ Wolfskinder ” nicht in Vergessenheit gerät .
Die zitternden Genossen ließen es nicht zu , dass der Goldener-Ball-Besitzer Florian Albert seinen Sieg feiert
( ung . Originaltitel : A reszkető elvtársak nem engedték ünnepelni az aranylabdás Albert Flóriánt )
Ein Artikel von Gábor Lantos ( über den berühmt-beliebten ungarndeutschen Fußballspieler Florian Albert , als zeitgenössisches Zeugnis ), erschienen auf dem ungarischen Internetportal Origo am 28 . 12 . 2017 . Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors . Deutsche Übersetzung : Richard Guth
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Es ist ohne Zweifel sensationsjagend , dass vor fünfzig Jahren , Weihnachten 1967 , Florian Albert den Goldenen Ball , der von France Football verliehen wurde , unter den Weihnachtsbaum stellen konnte , es entspricht aber nicht der Wahrheit . Umso mehr nicht , da der Spieler vom Club Ferencváros ( Franzstadt ) den Runden ( der Sonderedition ) Ostern 1968 auch noch nicht in den Händen halten konnte , denn dessen Anblick wurde ihm erst am 4 . Mai 1968 im Restaurant Gundel zuteil . Man überreichte diese Fußballauszeichnung , die zu den bedeutendsten ihrer Art in Europa gehört , im Stadtwäldchen fast unbemerkt , obwohl man sie Albert auch vor dem EM-Viertelfinalspiel Ungarn gegen die Sowjetunion , die am selben Tag vor 80.000 Zuschauern gespielt wurde , hätte in die Hand drücken können . Man tat aber nicht so , weil man Angst hatte . Nicht vor Albert , sondern vor den ungarischen Menschen („ magyar emberek ”).
1968 war das ungewöhnlichste Jahr in der Geschichte der ungarischen Fußballauswahl , weil die Nationalmannschaft nur zwei offizielle Spiele in zwölf Monaten hatte . Beide gegen die Sowjetunion . Es ging bei den EM-Spielen um die Qualifizierung für das Viertelfinale der EM von 1968 .
Damals ereigneten sich die Goldener-Ball-Übergaben nicht so wie heute . Der Chefredakteur von France Football überreichte ihn immer vor einem großen Spiel . Vor einem Spiel , dem auch ein Preisträger des vorangegangenen Jahres aktiv beiwohnte . Es ging also keinesfalls um ein feucht-fröhliches Neujahrfest in Paris mit Sekt und Wunderkerzen , dafür konnten mehrere tausend Zuschauer den aktuellen Preisträger feiern . Man hätte kaum einen besseren Anlass dafür finden können als das erste EM-Viertelfinalspiel , das am 4 . Mai 1968 im Volksstadion veranstaltet wurde ( und wo die Ungarn mit zwei zu null über die SU-Mannschaft siegten ). Aber die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei ( MSZMP ) und der Ungarische Fußball-Bund ( MLSZ ) wollten davon nichts wissen .
Die Politiker und die Sportfunktionäre waren sich im Klaren , dass ein ungarisch-sowjetisches Fußballspiel seit der blutigen Niederschlagung der 1956er Revolution gelinde gesagt zu den „ heiklen ” Begegnungen gehörte . Die damalige Führungsriege von MLSZ fürchtete sich regelrecht davor , dass sich die feierlichen Momente in systemfeindliche Proteste umschlagen könnten . Deswegen bemühte man sich redlich , dass man dem seit vier Monaten Preisträger Florian Albert die Auszeichnung unter den möglichst bescheidensten Umständen überreicht . Die Geschichte war schon so oder so recht unangenehm , denn Albert hat bereits am 24 . Dezember 1967 vom diensthabenden Sportredakteur der ungarischen Nachrichtenagentur MTI , Jenő Boskovics , erfahren , dass der Goldene Ball bei der Abstimmung ihm zugesprochen wurde .
Die zeitungskonsumierende Öffentlichkeit erfuhr dann vier Tage später , am 28 . Dezember 1967 , davon . Wegen der Weihnachtsfeiertage erschienen am 25 . und 26 . Dezember keine Zeitungen . Obwohl der 27 . Dezember 1967 auf einen Mittwoch fiel , erschienen auch an diesem Tag keine Zeitungen , da am zweiten Weihnachtstag keine redaktionelle Arbeit stattgefunden hat . So erschien vier Tage später , am 28 . Dezember , die Nachricht . Es lohnt sich , einen Blick auf die Titelseiten dreier zeitgenössischer
( Forsetzung auf Seite 20 )
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