Sonntagsblatt 1/2017 | Page 17

ihrer Hilfe das Madjarentum dieser westlichen Grenzstadt vervoll- ständigen”, schrieb März 1945 ein Ödenburger Blatt. Und dieser Tonfall entsprach der Regel. Es ist äußerst pikant, dass die zum Vaterlandsverräter erklärte Ödenburger Bürgerschaft (und min- destens die Hälfte der Deutschen) 24 Jahre zuvor anstelle von Österreich für den Verbleib in Ungarn stimmte – der Titel „die treueste Stadt” zählte 1945 kaum etwas, so versuchte man es in Ödenburg vergeblich, sie vor der Vertreibung zu retten. Bereits der Titel der Verordnung („Die Umsiedlung der ungar- ländischen deutschen Bevölkerung nach Deutschland”) machte es klar, dass es hier um eine Kollektivstrafe geht, jeder sollte anstelle der Unschuldsvermutung unter Beweis stellen, dass man nichts getan hat – aber wenn er Grundbesitz, Weingut, was man ihm wegnehmen konnte, hatte oder ein Haus, das jemand beanspruch- te, konnte er damit kaum Erfolg haben. Laut Gesetz wurde jeder vertrieben („umgesiedelt”), der sich in der Volkszählung von 1941 zum Deutschtum oder zur deutschen Muttersprache bekannte, seinen Namen wieder germanisieren ließ oder Mitglied des Volksbundes oder der SS war. Letzteres klingt vielleicht etwas hart, so müssen wir festhalten: Die Mehrzahl der Ungarndeutschen diente im Weltkrieg nicht in der ungarischen Armee, sondern in der Waffen-SS – entgegen lang läufiger Meinungen aber meldeten sich Zweidrittel der Rekruten nicht freiwillig, sondern wurden 1944 zwangseingezo- gen. Dafür konnten sie genauso wenig wie die kleinen Soldaten anderswo. Die Volksbund-Mitgliedschaft (der Volksbund war eine Nationalitätenorganisation nationalsozialistischer Orientierung, die 1938 gegründet wurde) bedeutete an sich auch nicht viel: Obwohl Hitler bis 1943, der Wende im Krieg, vielen Volksdeut - schen zu imponieren vermochte, aber die Mehrheit der Schwaben trat nicht deswegen dem Volksbund bei, weil sie so große Nazis gewesen wären, sondern weil dieser ihre staatlich anerkannte Organisation war und weil sie so nebenbei den Dorfball organi- sierte – das reichte 1946 aus, um vertrieben zu werden. Verschiebpuzzle deluxe Die Deutschen wollte man vor allem unter dem Hinweis darauf loswerden, dass sie im Krieg die „Fünfte Kolonne” Hitlers gewesen seien. Deutschland instrumentalisierte in seiner Außenpolitik die deutschen Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa in der Tat auf eine unwürdige Art und Weise, die es gar in die Lebensraum ideo - logie einbezog. Es ist eine andere Frage, dass Hitler widersprüchli- che Strategien verfolgte vom Baltikum bis zur Batschka, von den siebenbürgisch-sächsischen Städten bis hin zu der Diaspora an der Wolga: Er unterstützte auch deren „Heimholung” – Zeuge der massenhaften Umsiedlung der Bessarabiendeutschen auf der Donau war 1940 beispielsweise auch Budapest (vergleiche hierzu den Beitrag „Die bepackten Völkerschaften schwimmen dahin” von Ádám Kolozsi, SB 05–2015, S. 7ff., R. G.). Der Meister der willkürlichen Umsiedlung von ethnischen Grup pen war zweifelsohne Stalin, der ab den 1930er Jahren ganze Völker hin- und herschieben ließ – aber vor allem in den kasachi - schen Hungertod schickte –, als wären sie entsorgbare oder aus- tauschbare Lego-Steine. Es gehört zur Wahrheit, dass selbst die angelsächsischen Großmächte nicht so wirklich gegen Massenum - siedlungen waren. Sie haben aus der Revisionspolitik, die zum Zweiten Weltkrieg führte, die Lehre gezogen, indem sie den grie- chisch–türkischen Bevölkerungstransfer vor Augen hielten, dass die Gebiete mit gemischter Bevölkerung bzw. umstrittenen Status’ eine tickende Zeitbombe darstellten, die man früh genug entschär- fen sollte. Von daher rührt der lebensgefährliche politische Mythos, dass die massenhafte Zwangsmigration das kleinere Übel sei – ohne Zweifel, aber nur wenn wir sie mit dem Genozid ver- gleichen, aber dieses falsche Dilemma haben sich die Großmächte nach 1945 auf tragische Weise zu Eigen gemacht. In der Folge wurden in den Jahren nach dem Weltkrieg 12–14 Millionen Deutsche aus ihrer osteuropäischen Heimat vertrieben. Die meisten, an die sieben Millionen Menschen, aus Polen und dem Baltikum, drei Millionen aus der Tschechoslowakei – die im Vergleich dazu aus Ungarn vertriebenen 200 000 Deutschen könn ten eine kleine Zahl darstellen, und im Vergleich zu Polen und dem Sudetenland blieben bei uns auch Deutsche: Nur die Hälfte der Gemeinschaft wurde deportiert. Das ist der internatio- nale Kontext, ohne den die Vertreibung aus Ungarn auch nicht zu verstehen ist. Auch mit Hilfe dessen ist dies schwierig, denn es handelt sich um eine komplexe Geschichte, in der sich außen- und innenpolitische Faktoren auf komplexe und nicht immer enträt- selbare Weise verzahnen, wobei die Grundfrage bleibt: Wer und warum entschied sich dafür, aus dem deutschen Bürger, dem schwäbischen Bauer einen Sündenbock zu machen? Die Potsdam-Falle in Aktion Es ist eine alte Legende, dass die Großmächte Ungarn zur Ver - treibung zwangen, weil die Potsdamer Konferenz darüber befun- den hätte. Bereits Rákosi und Kohorten haben sich damit vertei- digt, aber in der Realität geht es aus den Dokumenten hervor, dass entgegen der ungarischen Behauptung in Potsdam die Vertrei - bung nicht vorgeschrieben, sondern abgesegnet wurde. Damit wollte der Westen die „wilden Vertreibungsaktionen”, die als unor- ganisiert vorkommen sollten, aber in der Wahrheit staatlich orga- nisiert waren, normalisieren, in deren Folge auf brutale Weise aus Polen, Galizien und der Tschechoslowakei Deutsche in Richtung Westen getrieben wurden. Dabei kamen mehrere tausend Men - schen um. Infolge der Westverschiebung Polens musste man den polnischen Flüchtlingen aus Galizien und Wolhynien unbedingt „Platz machen” – um die in der Folge begangenen Grausamkeiten bat Polen nie um Entschuldigung. Das ist fast genauso ein politisches Tabu wie die Frage der Be - neš-Dekrete bei den Tschechen – das ist ja bereits die Linie, die für die ungarische Geschichte eine unmittelbare Bedeutung hat. Beneš’ Hauptziel war es, dass in seinem Land drei Millionen Sude - tendeutsche weniger leben, und dazu gewann er die Unterstützung der Sowjets: Auch Stalin wollte keine großen deutschen Minder - heiten im Ostblock. Die Tschechoslowakei wollte im Übrigen auch die Madjaren loswerden – was in Potsdam nicht abgesegnet wur - de, wobei sich das Schicksal der Slowakeimadjaren mit dem der Ungarndeutschen verband. Die gravierenden Retorsionen gegen die Deutschen begannen bereits, als die Russen eintrafen. Aus der Karpatoukraine und aus Saboltsch wurden 60 000 Deutsche verschleppt, und viele musste jahrelang „kleine Arbeit” (malenkij robot) leisten – eine andere Fra ge, dass sich in dieser Gruppe viele Madjaren und Menschen mit deutschem Familiennamen wiederfanden, so dass in Moskau auch Rákosi protestierte. Die nächste Entrechtungsaktion ging be - reits von ungarischen Parteien aus. Bei der 1945er Bodenver - teilung ließ man die schwäbischen Landwirte raus, und vielfach wurde ihr Grundbesitz verteilt – das zeigt, dass die deutschfeind- lichen Maßnahmen zum Teil sozial motiviert waren: So wollte man die Kleinbauern und Bodenlosen zum Bodenbesitz verhel- fen, während man gleichzeitig eine eigene Wählerbasis schuf. Eine einmalige Gelegenheit Die deutschfeindliche Hysterie gewann nach dem Potsdamer Be - schluss im August richtig an Schwung, und dies fiel in die gleiche Zeit mit der Wahlkampagne rund um die Parlamentswahlen. Zu dieser Zeit sprach man bereits von der Vertreibung von 400–450 000 Deutschen – ein kleiner Rechenfehler, denn so viele Deutsche gab (Fortsetzung auf Seite 18) 17