Sonntagsblatt 1/2016 | Page 27

deut sche Menschen den Urwald gerodet, nach Erz geschürft und Glas geschmolzen. Das gilt besonders für Witikos und damit auch Stifters engere Heimat. Diese erstreckt sich rechts von der Stadt Bergreichenstein über den Zusammenfluss der Kalten und der Warmen Moldau, über Oberpian, wo der Schöpfer des Romans geboren wurde, über die Ruine Wittinghausen, die Moldau ab - wärts bis weit jenseits der schönen alten Stadt Krumau (heute Cesky Krumlov). Die Einsamkeit, das harte Leben in Wald und Berg haben einen besonderen Menschenschlag geprägt. Die eindringlichen Natur - schil de rungen Stifters und der „Zauber der Langsamkeit”, der sein Werk trägt, sind seiner Heimatlandschaft geschuldet. Im Wald waren aber auch viele Käuze und Schelme zu Hause. Der „Dichter des Böhmerwaldes”, Hans Watzlik, hat sie in seinen Geschichten „Die Bärentobler” lebendig beschrieben. Landschaft und Menschen haben dem Böhmerwald im gesamten deutschen Kulturraum einen bis heute lebendigen romantischen Klang gege- ben. „Tief drin im Böhmerwald”, oder „Auf d’Wulda…” sind seit langer Zeit bekannte Heimatlieder. Dieses blühende deutsche Leben fand 1945 durch Mord und Vertreibung sein Ende. Alle Deutschen mussten ihre Heimat ver- lassen. Benes unter dem Schutz seiner alliierten Helfershelfer hatte auch hier sein unmenschliches Werk vollendet. Seitdem le - ben im Böhmerwald viel weniger Menschen als früher. Die Tsche - chen konnten oder wollten die Arbeit der Deutschen nicht fortset- zen. Wer durch’s Land streift, stößt immer wieder auf Wüs - tungen. Wo früher deutsche Siedlungen waren, sind heute längst Wald und Heide darübergewachsen. Anerkannt muss werden, dass die Tschechen hier den beachtlichen Nationalpark „Sumava” geschaffen haben. Das bedeutet auf deutsch „Der Rauschende” und gibt die Stimmung der Landschaft lautmalerisch wieder. Auf der deutschen und österreichischen Seite der Grenze geben viele Gedenktafeln und Mahnmale Zeugnis vom Schmerz der Vertriebenen und ihrem Heimweh nach der verlorenen Heimat. Oft wird auch an Adalbert Stifter, den bedeutendsten Sohn des Waldes erinnert. Auch in der Tschechischen Republik kommt man um die Pflege des Andenkens an einen der bedeutendsten Epiker der deutschen Dichtung nicht herum. Auch jenseits der Grenze mehren sich Stätten des Gedenkens an die deutsche Zeit und die Vertreibung. Kirchen werden mit deutschem Geld erneuert, die traurigen Reste deutscher Fried - höfe wieder instandgesetzt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wüs - tung Flöckelberg. In deutsch–tschechischer Gemeinschaftsarbeit wurde die Kirche vor dem Verfall gerettet. Reste deutscher Grab - steine wurden zum Gedenken wieder aufgestellt. Heute blüht der kleine Grenzverkehr, viele Tschechen suchen in Österreich Arbeit, kaufen gehobene Waren oder verbringen hier ihren Urlaub. Die Tschechen sind den deutschen Besuchern gegenüber freundlich, freilich bleibt immer der Gedanke: Wollen sie nur den Absatz des guten böhmischen Bieres steigern, sind sie ahnungslos oder doch schon nachdenklich über die schrecklichen Ereignisse vor 70 Jahren geworden? Es ist Bewegung in die Bewältigung der Vergangenheit gekommen, immerhin hat der tschechische Vize - premier in München einen Kranz zu Ehren der Vertreibungsopfer niedergelegt. Nur die Wahrheit kann zum Frieden führen. Der Böhmerwald ist eine Reise