Sonntagsblatt 1/2015 | Page 19

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dass sich die Volksgruppe mit der doppelsprachigen Volksschule , die man ihr in Aussicht gestellt hatte zufriedengebe und die seelische Harmonie mit dem Madjarentum unter allen Umständen gewahrt werden müsse . Dabei hatte er 1932 selber zugegeben die - se Harmonie sei durch den unbedingten Assimilationswillen des Staatsvolkes gestört worden sowie dadurch , dass die ungarische Regierung , die Behörden und die Gesellschaft nicht bereit seien , die gesetzlich verbrieften Rechte der deutschen Minderheit zu wahren .
Die deutschen Volksgruppen wurden in ihren kulturellen Bestrebungen vom Deutschen Schulverein – später VDA , – und dessen Leiter Dr . Steinacher moralisch und finanziell unterstützt . Auch die von Gratz aus dem Volksbildungsverein ausgestoßenen Vorkämpfer des ungarländischen Deutschtums erhielten die Un - terstützung des VDA . Um diese bedeutende Hilfeleistung zu un - terbinden , Dr . Steinacher kaltzustellen und den VDA gleichzuschalten , verhandelte Gustav Gratz im Sommer 1937 in Berlin mit Hitler und dem Auswärtigen Amt der NSDAP mit vollem Erfolg , wie er in seinem Buch „ Deutschungarische Probleme ” ( 1938 ) selbst mit Genugtuung mitteilte Es wäre sicherlich auch um das ungarländische Deutschtum geschehen gewesen , hätte sich nicht die außenpolitische Lage Ungarns im Herbst 1938 grundsätzlich geändert . Es geschah dies zur Zeit der tschechoslowakischen Kri - se , als man in der Slowakei gegen jegliche Gebietsansprüche Un - garns die Tatsache ins Treffen führte , die Nationalitäten in Ungarn hätten keinerlei Möglichkeit zur freien kulturellen Betätigung , zumal der Volksbildungsverein Gratzscher Prägung die Haupt - aufgabe habe , die Männer der deutschen Bewegung zu bekämpfen . Tatsächlich arbeitete Gratz weitgehend mit den ärgsten Feinden Jakob Bleyers zusammen , wie zum Beispiel mit Endre Bajcsy-Zsilinszky , der Ungarns Zugehörigkeit zum Abendland bestritt und dessen politische Einstellung , wie das Blatt „ Új Magyarság ” sich einmal ausdrückte , seine Deutschfeindlichkeit und sein Blatt „ Szabadság ” das Fachblatt für Deutschenhass war . Gratz war Liberaler , aber wenn es galt , das ungarländische Deutsch tum zu bekämpfen , arbeitete auch er wie die andern Liberalen Ungarns seit etwa 1920 mit den ärgsten Nationalisten ( Gömbös , Bajcsy-Zsilinszky usw .) freundschaftlich zusammen .
Unter dem Eindruck der gegebenen außenpolitischen Notwen - digkeit genehmigte der ungarische Ministerpräsident Béla v . Imrédy die Gründung des „ Volksbundes der Deutschen in Un - garn ”, dessen Vorsitzenden und die anderen führenden Persön - lichkeiten nicht mehr die Regierung bestimmte , sondern die Mit - glieder selbst wählen durften . Gratz war mit seiner Minderheiten - po litik gescheitert und verließ bald darauf den Volksbildungsve - rein , der als Regierungsverein auch auf anderen Gebieten in den Dienst der Regierungspolitik gestellt worden war . Der neue Mi - nisterpräsident , Graf Paul Teleki , der spiritus rector des ungarländischen Antisemitismus , schmuggelte antisemitische Züge in diesen Verein , an dessen Spitze Gratz als Abgeordneter des Buda - pester V . Bezirkes , der überwiegend jüdischen Leopoldstadt , somit nicht mehr bleiben konnte . Er wurde Chefredakteur des jüdisch – liberalen „ Pesti Napló ”, aber auch dieses Blatt wurde im Zuge der verschärften Maßnahmen gegen das Judentum im Jahre 1940 eingestellt .
Gratz setzte seine ausgedehnte wissenschaftliche Tätigkeit nach 1920 mit großem Erfolg fort . Seine wichtigsten Werke sind : „ Mitteleuropäische Wirtschaftspläne ”, 1925 ; „ Das Zeitalter des Dualismus ”, 1934 ( ungarisch ); „ Das Zeitalter der Revolutionen ”, 1938 ( ungarisch ). Nach Einmarsch der deutschen Truppen in Un - garn am 19 . März 1944 wurde Gratz verhaftet und in ein Kon - zentrationslager Mauthausen verschleppt , wurde jedoch schon im Juli 1944 von dort entlassen . Bis April 1945 lebte er in der Nähe von Wien bei seiner Tochter . Dann kehrte er nach Budapest ( zu seiner Frau Ilona Nagy ) zurück und war einer der Hauptbelas - tungszeugen in den volksgerichtlichen Prozessen gegen Béla Im - rédy und den ehemaligen Volksgruppenführer Franz Basch . Auf Wunsch der neuen ungarischen Provisorischen Nationalen Regie - rung verfasste er zur Vorbereitung der bevorstehenden Frie - denskonferenz eine Studie über Probleme einer Zusammenarbeit der Donauvölker . Gustav Gratz Starb am 21 . November 1946 in Budapest an
Herzversagen . Aus : „ Verlorene Söhne ” von Dr . J . Weidlein
( ergänzt von G . Krix )
ALLER ANFANG IST SCHWER
Rückblick auf die Entstehung einer Gemeinschaft – Mit Jakob Bleyer in den Volkstumskampf
Dr . Stefan Steyer
Treue Bewahrung , Tapfere Bewährung
Erinnerungen
Ich bin Juli 1899 in Großbetschkerek , Banat , geboren . Die Stadt gehörte nach dem Trianoner Vertrag zu Jugoslawien . Dort be - suchte ich den Kindergarten , die Volksschule und das Gymna - sium . Unsere Familie ist seit Generationen hier ansässig und im deutschen Viertel der Stadt wohlbekannt . Im Januar 1917 wurde ich gemustert und im Februar zum Militärdienst eingezogen .
Darum legte ich im Januar 1917 vorzeitig die Matura ab . Im Zug nach Komorn lernte ich Nikolaus Haßlinger aus Stefansfeld kennen , der sich mit mir in der abgesonderten privilegierten Grup pe der Einjährig-Freiwilligen lebhaft und interessiert unterhielt , natürlich in ungarischer Sprache , dem aber der Schwabe im Nacken saß . In Komorn war Haßlinger nur zwei Tage bei unserer Gruppe , dann wurde er in die Rechnungsführer-Kanzlei beim Ersatzbataillon eingeteilt . Ich begegnete ihm nicht wieder . Als ich im Januar 1919 abrüstete , las ich in der Deutschen Zeitung in Großbetschkerek , welch außerordentliche volkspolitische Akti - vität er in der deutschen Volksgruppe in Jugoslawien entfaltete , aber auch darüber , welche Konflikte er mit seiner Hastigkeit in - nerhalb der Volksgruppe heraufbeschwor . Er zog es vor , einen Ortswechsel vorzunehmen und immatrikulierte sich in Budapest an der medizinischen Fakultät , wo er den Weg zu Bleyer fand und wo auch Franz Rothen aus Pardány , ebenfalls im Banat , studierte . Rothen hat nicht bei der Infanterie gedient , sondern bei einer privilegierten Einheit der „ Reitenden Artillerie ”, wohin er mit einem Pferd eingerückt war .
Die Rivalität war vorprogrammiert . Auch Rothen fand schon Ende 1919 oder Anfang 1920 den Weg zu Bleyer . Beide waren repräsentative , ehrgeizige Männer , beide reiche Bauernsöhne . Wer macht das Rennen , auf wen wird Bleyer setzen ? In diese Zeit fällt die Gründung der „ Vereinigung deutscher Hochschüler in Budapest Gothia !” Diese bekannte sich zum Minderheitenprog - ramm Bleyers und identifizierte sich mit ihm . Sie kam bei den Drei Spatzen in Ofen zusammen . Mitglieder waren außer Haß - linger und Rothen , Martin Steer , die zwi Batisweiler , Einwachter aus Vértesacsa , Ludwig Leber aus Großturwall , Georg Stumpf und Franz Ruck aus Elek , auch Dr . Hans Schnitzer . Unter andern , die ich nicht kennenlernte , war Dr . Schön . Außerdem bestand noch eine zweite „ Vereinigung deutscher Hochschüler in Budapest ”, die sich im Matthiaskeller traf . Ihr schlossen sich fast ausschließlich Kriegsteilnehmer aus allen Gebieten des Vor- Trianon-Ungarn zusammen , die in Budapest die Universität be -
( Fortsetzung auf Seite 20 )
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