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2015.02.12.
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Franzstadt (Ferencváros) zu überrennen, was dann am nächsten
Tage auch geschah.
Mutter und ich hatten die entscheidende Phase der Eroberung
unseres Stadtbezirks mit unseren Mitbewohnern, wohl an die 50
Personen, im Keller unseres Hauses verbracht. Verblieben sind
diese Erinnerungen bis heute!, und einzelne Szenen erscheinen
wie auf einem Bildschirm, wenn ich daran denke.
Im Keller war kein Licht. Kinder, aber auch einige Frauen wein-
ten. Von oben, von der Straße her hörte man Maschinengewehr -
feuer, Schreie, Anweisungen, laute Kommandos und immer wie-
der die Salven aus Maschinengewehren.
Dann wurde es plötzlich ganz still. Im Schutzraum begann ein
Aufatmen. Doch niemand wagte es zunächst nach oben zu gehen,
hatte man doch gehört, was die Russen so alles mit der Zivil -
bevölkerung machen.
Der Rat der Kellerinsassen hatte noch nicht beschlossen, dass
wir nach oben gehen sollen, als schwere Schläge gegen die Kel -
lertüre pochten, unterbrochen von russischen Lauten. Das Klop -
fen wuchs proportional zur Unruhe und Angst im Kellerraum.
Endlich gab die Kellertüre nach, und im Lichte des Hofes sah man
einige Sowjetsoldaten. Mit ihren MPi’s im Anschlag näherten sie
sich vorsichtig dem Kellereingang, riefen einige Kommandos, und
dann wagte es der erste Soldat, die Treppe hinabzusteigen. Die ande-
ren folgten zögern und sichernd. Als sie unten angekommen waren,
kam der Befehl an die Kellerleute, die Hände hochzuhalten.
Zunächst wurde nach versteckten Waffen und gegenerischen
Soldaten gesucht. Doch schon bald war den Soldaten klar, dass
hier wohl für sie keine Gefahr drohte. Also untersucht man die
Menschen nach anderen Gegenständen und nahm sie ihnen ein-
fach weg. Nachdem diese „Enteignungen” abgeschlossen waren,
ergriff ein Rotarmist den Krückstock eines älteren Mannes, ging
in die hinterste Ecke des Keller und legte den gebogenen Teil des
Stockes um den Hals eines jungen, vielleicht vierzehnjährigen
Mädchens. Das Kind fing schrecklich an zu weinen, und auch
seine Mutter, die daneben saß, schrie und schluchzte in einem.
Der Soldat zerrte das Mädchen zur Mitte des Kellerraumes. Die
Mutter hatte sich an das Kleid ihres Kindes geklammert und ver-
suchte es zurückzuhalten.
Einige ältere Männer begannen verbal gegen diese Aktion zu
protestieren, was einen weiteren Rotarmisten dazu bewog, seine
MPi auf die Protestanten zu richten. Dies war eine deutliche
Geste und die Männer verstummten. Die Mutter des Kindes hatte
aber noch nicht aufgeben, die Kleine zu „retten”. In ihrer
Verzweiflung bot sie den Soldaten durch Gesten an, dass sie selbst
mitgehen wolle. Dieses Anerbieten wurde nicht angenommen.
Schließlich schleppten die Männer das Mädchen die Treppe hoch
und verschwanden durch die Kellertüre ins Freie. Die Mutter
folgte ihnen laut weinend.
Über das weitere Schicksal der beiden habe ich nichts mehr
erfahren. Auch meine Mutter, die ich viel später über diesen von
mir nicht ganz verstandenen Vorfall befragte, konnte mir auch
keine Auskunft darüber geben. Meine Mutter, die ja auch Zeuge
dieses Vorfalls war, wunderte sich damals, als ich ihr zum ersten
Mal darüber berichtete, ob meiner exakten Erinnerung.
Großeltern und Mutter waren an diesem Tage in der Umgebung
unseres Wohnbezirkes auf der Suche nach meinem verschwunde-
nen Vater. Passanten wurden befragt und Bekannte wurden be -
auf tragt, nach dem Vermissten zu forschen. Ich war natürlich auch
in Begleitung meiner Mutter bei dieser Suchaktion beteiligt. Noch
heute erinnere ich mich an einige unauslöschbare Bilder aus die-
sen Tagen: So konnte ich sehen, dass am Straßenrand und in den
Hauseingängen immer wieder Leichen von Soldaten – Deutsche,
Ungarn und Russen – wie mir Mutter erklärte, herumlagen, die
bei den Straßenkämpfen gefallen waren. Mutter schaute sich die
Toten an in der bangen Hoffnung, einer würde doch hoffentlich
nicht ihr Mann sein.
Als wir noch erfolgloser Suche wieder ins Haus zurückkehrten
und auf die bereits ebenfalls erfolglosen Großeltern trafen, kam
eine Hausbewohnerin auf uns zu und erzählte, dass eine Person im
Auftrage meines Vaters im Haus gewesen sei und sie über den
Aufenthaltsort meines Vaters unterrichtet habe. Sie erzählte auch
kurz, dass Vater schwer verwundet sei und im Notlazarett liege.
Meine Mutter war jetzt natürlich durch nichts mehr zurückzu-
halten. Sie nahm mich an der Hand – ich war noch warm angezo-
gen- und wir machten uns mit Großmutter auf den Weg in das
besagte Notlazarett in der Üllôi út.
Unterwegs zogen wir uns immer wieder in Hauseingänge zu -
rück, wenn russische Soldaten in Sicht kamen. Es war schon dun-
kel, als wir im Lazarett ankamen. Über eine unbeleuchtete Treppe
gelangten wir in einen langen Gewölbekeller, welcher notdürftig
mit einigen Kerzen beleuchtet war.
Hier unten herrschte ein unglaubliches Chaos. Dutzend von
Schwerverwundeten lagen hier auf dem aufgeschütteten Stroh
und stöhnten oder schrien vor Schmerzen. Sie waren schon den
ganzen Tag nicht versorgt worden, denn die Ärzte und Schwestern
sowie das meist freiwillige Pflegepersonal hatten sich aus Furcht
vor den Rotarmisten abgesetzt.
Endlich fanden wir meinen Vater. Ich kann mich noch genau
erinnern, dass er auf seinem schwarzen mit dunkelbraunem Schaf -
fell gefüttertem Ledermantel – er trug bei seinem Dienst damals
keine Uniform – lag. Der Mantel, auf den er immer so stolz war,
war mit Blut getränkt. Vater lag auf der Seite als wir ihn fanden,
und die beiden Frauen konnten noch nicht sehen, welche Ver -
wundungen er hatte. Als sich Mutter zu ihm beugte und ihn vor-
sichtig umdrehte, wurde die schlimme, nicht versorgte Ver letzung
im Bereich des Gesichtes erkennbar. Mutter schrie auf und Groß -
mutter fing an, herzzerreißend zu weinen. So hatte ich die beiden
noch nie erlebt. Auch ich fing leise an zu schluchzen. Vater war bei
Bewusstsein und informierte die Frauen mit schwacher Stimme
über seine Situation.
Ein Arzt, der es gewagt hatte, zurückzukehren, schaute sich die
Verwundung an und eröffnete den Frauen, dass Vater unbedingt
einen behandelnden Mediziner brauche: Die Infektionsgefahr sei
sehr groß und ohne Behandlung sehe er wenig Hoffnung für den
Verwundeten. Mutter eröffnete Vater, der sehr schwach reagierte,
dass wir ihn auf schnellstem Wege in unsere Wohnung bringen
würden. Großmutter war schon weg, um den Transport nach
Hause zu organisieren.
Meine beiden Großväter und zwei weitere Bekannte brachten
meinen Vater in Begleitung meiner Mutter auf einem Bettlaken in
unsere Wohnung. Großmutter hatte sich ihrer Beziehungen zu
einem in der Nähe wohnenden Zahnarzt, welcher bei ihr Eis kun -
de war, erinnert und diesen gebeten, meinen Vater zu versorgen
und weiter zu behandeln. Dieser war zunächst nicht bereit, aus
seinem Haus zu gehen, denn es wimmelte in der Stadt von herum-
ziehenden Sowjet-Soldaten. Die Lage sei ihm zu gefährlich, zumal
sich in der Nähe unserer Wohnung die „Zwack-Unicum” Brannt -
wein- und Likörfabrik befand!
Fortsetzung folgt
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