Sonntagsblatt 1/2015 | Page 11

• Zeitgeschehen – Zeitgeschichte – Geschichte •
sb15-1 : sb14-2 . qxd 2015.02.12 . 8:44 Oldal 11

• Zeitgeschehen – Zeitgeschichte – Geschichte •

Offen und ehrlich über die Vertreibung der Schwaben

( Ein in Schaumar / Solymár gehaltener Vortrag )
Am 19 . Januar 1946 rollten die ersten Züge , vollgestopft mit Schwa ben , die geplündert wurden , aus Wudersch gen Deutsch - land . Um diesem Ereignis zu gedenken und zur Ehre der Opfer erklärte das ungarische Parlament den 19 . Januar zum „ Ge denk - tag der ( Verschleppung und , R . G .) Vertreibung der Ungarndeut - schen ”. Die zentrale Gedenkveranstaltung findet ( fand , R . G .) heuer am 18 . Januar 2015 in Bogdan statt .
Jahrzehntelang haben wir gehört , dass die ungarländischen Schwaben deshalb vertrieben wurden , weil die Siegermächte des Weltkriegs auf der Potsdamer Konferenz , die vom 17 . Juli bis zum 2 . August dauerte , Ungarn dazu verpflichteten . Aus inoffiziellen Quellen , ausländischen Publikationen sollten einige , möglicherweise vom Regime nicht präferierten Historiker Kenntnis von der Rolle des ungarischen Staates bei der Vertreibung gehabt haben , aber diese Informationen gelangten in der Regel nicht in die Öffentlichkeit . Heute wissen wir bereits , dass das Schicksal der ungarländischen Schwaben bereits zwei Monate vor der Pots - damer Konferenz besiegelt wurde . Die Entscheidung trafen nicht die Großmächte , sondern Ungarns damalige Regierung . De ment - sprechend wurden Maßnahmen durchgeführt , die den Ausschluss der Schwaben und ihre Entfernung aus dem Land zur Folge hatten . Die Verordnung Nr . 600 / 1945 über die Bodenreform und die drei dazugehörigen Durchführungsbestimmungen , die Tätigkeit des Amtes für Volksfürsorge ( die die Vertreibung vorbereiten sollte ), das auf Grundlage des Regierungsbeschlusses Nr . 3820 / 1945 aufgestellt wurde , der Gesetzesentwurf der Nationalen Bauern - par tei , der mit seinen acht Punkten April 1945 fertiggestellt wurde und der alle Personen deutscher Volkszugehörigkeit in Ungarn mit einer vollständigen Enteignung und Vertreibung belegen wollte , die Schaffung von Internierungs- und Arbeitslager zielten ausdrücklich darauf , die Ungarndeutschen als Schicht deutscher Volks zugehörigkeit zu liquidieren , indem man die existenzielle Grundlage und Dorfgemeinschaften einer zu 80 % bäuerlichen Bevölkerungsgruppe auflöst . Dies alles geschah bereits vor der Bekanntgabe des Potsdamer Beschlusses . Die Entfernung der Schwaben aus Ungarn wurde von der Provisorischen Ungarischen Nationalen Regierung am 16 . Mai 1945 initiiert , als diese sich mit der Bitte an den Alliierten Kontrollrat wandte , die Vertreibung der anfangs auf 300 000 , später 200 000 – 250 000 geschätzten Volksbund-Mitglieder nach Deutschland zu ermöglichen , obgleich die Zahl ehemaliger Volksbund-Mitglieder – Familienmitglieder eingeschlossen – die Zahl von 130 000 nicht übertraf .
Die sieben Monate lange Vorgeschichte macht es deutlich , dass bis zum Zeitpunkt des Potsdamer Beschlusses die Vorbereitungen abgeschlossen wurden , die Vertreibung selbst hat lediglich auf den „ Startschuss ” gewartet . Der Beschluss der Großmächte ( im Inter - net verfügbar ) hat den Beginn der Deportation eher gestoppt oder verzögert , da man in Potsdam eine Kodifizierung diesbezüglicher Rechtsvorschriften ( Vollzug der Maßnahme ) vorschrieb , und solange dies nicht geschah , verbot man ausdrücklich jegliche weitere Vertreibungsmaßnahme ! Sie waren dazu gezwungen , weil die Besatzungsbehörden in Deutschland Probleme mit der Unter - bringung von Millionen Flüchtlingen aus Polen und Tschechien hatten , die vor dem Beschluss ohne jegliche Regelung in Deutsch - land eintrafen . Man wollte sicherstellen , dass die Ansiedlung in Deutschland durch die Sieger- bzw . Besatzungsmächte geregelt , die Flüchtlingsmasse gleichmäßig verteilt und die Maßnahme dementsprechend „ human ” abgewickelt wird . Die ungarische Regierung konnte deshalb die Deportationen nicht so schnell beginnen , wie sie eigentlich wollte , denn zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Potsdamer Beschlusses waren die Vorbereitungen zu den Wahlen in Ungarn im September – Oktober in vollem Gange . So blieben die in Potsdam vorgeschriebene Ko - di fizierung einer Vertreibungsverordnung und die Vorbereitung der Vertreibung Aufgabe der neuen Regierung . Am 22 . De - zember 1945 fand die berüchtigte Regierungssitzung statt ( das Protokoll mit den Wortmeldungen der Regierungsmitglieder sind im Internet zu finden ), in der ohne jegliche Bezugnahme auf Druck von außen die schandvolle Vertreibungsverordnung ( Nr . 12.330 / 1945 ) verabschiedet wurde . Die Verordnung basierte auf dem Acht-Punkte-Entwurf der Nationalen Bauernpartei , dessen Ziel die Umsetzung der Bodenreformverordnung und die Einweisung von madjarischen Flüchtlingen in schwäbische Häuser war , indem der Grundbesitz und die Häuser der ungarländischen Schwaben enteignet wurden . Die Verordnungen , die eine Entrechtung bedeuteten , waren rechtswidrig , so dass sie Jahrzehnte später vom ungarischen Ver - fassungsgericht für nichtig erklärt wurden . So sprach Staats - präsident László Sólyom am 18 . Juni 2006 bei der Einweihung des zentralen Denkmals in Wudersch , das den Rechtsverletzungen , die das Schicksal der ungarländischen Schwaben nach dem Zwei ten Weltkrieg bestimmten , ein Denkmal setzt : „ Als Staats ober haupt bitte ich all die geplünderten und vertriebenen Schwaben und ihre Familienangehörigen wegen den Ungerechtigkeiten und Rechts - verletzungen , die gegen sie begangen wurden um Verzei hung . Ich verneige mich tief vor dem Denkmal , in der Hoffnung , dass die verfolgten Schwaben den Ereignissen zum Trotz Ungarn wieder als ihre Heimat betrachten . Die Vertreibung der ungarländischen Schwaben war lange tabuisiert . Nach der Wende im Jahre 1989 haben wir ohne Verzögerung anerkannt , dass die Ver schlep pung der Schwaben , die 1944 be gann , ihre Internierung , Aus plünderung und Vertreibung danach eine Konsequenz rechtswidriger und ungerechter Maßnahmen waren , die die Schwaben als Un - schuldige erleiden mussten . Unser Verfassungsgericht hat deshalb all die Maßnahmen annulliert , die auf dem Prinzip der Kollek - tivschuld beruhten . Wir sind bemüht , die historischen Fak ten zu erschließen und infolge dessen die damaligen Umstände für die Öffentlichkeit darzustellen . Der Teil der Maßnahmen im Jahre 1945 , aufgrund dessen ungarische Staatsbürger unter Be zugnahme auf eine Volksbund-Mitglied schaft und die Rücknahme deutsch klingender Familiennamen , die zuvor zwangsmadjarisiert wurden , für Vaterlandsverräter und Volksfeinde erklärt wurden , diente zu nichts anderem als das Vermögen und die Güter der Betroffenen zu konfiszieren . Das beweist auch , dass die Ausplünderung und Vertreibung der ungarländischen Schwaben nationalpolitische und wirtschaftliche Grün de hatten , die von der damaligen ungarischen Regierung als solche gemeint waren .”
Es gab damals Historiker und prominente Persönlichkeiten , die sich mit dem Unrecht gegen die Schwaben nicht abfinden wollten . István Bibó , der damalige Leiter der Abteilung für Gesetzesvor - bereitung des Innenministeriums , setzte durch seinen Rücktritt ein Zeichen des Protests , er fügte hinzu : „ Im Gegensatz dazu , dass die ungarische Regierung um die Zustimmung der Großmächte , die in Potsdam berieten , » zu der Entfernung des faschistischen Teils des ungarländischen Deutschtums « bat , verbirgt sich jetzt unter dem Deckmantel der Ausweisung der faschistischen Schwa -
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