Sonntagsblatt 1/2022 | Page 33

Gesten zeigt man , was man nicht aussprechen kann . So denke ich , dass ich solange tanzen werde , bis ich lebe , denn ohne Tanzen gibt es kein Leben für mich !
Alles in allem kann ich feststellen , dass das Ungarndeutschtum für mich so viel bedeutet , was ich in Worten kaum fassen kann . Was mich motiviert , ist eigentlich ein Zitat von Ferenc Sebõ : „ Die Traditionen muss man nicht pflegen , denn sie sind nicht krank . Man muss sie nicht hüten , denn sie sind keine Gefangenen . Unsere Traditionen können nur dann am Leben bleiben , wenn wir sie erleben “. Also ich möchte mein Leben möglichst so weiterführen , wie meine Verwandtschaft es tat und tut .

FEUILLETON

Grenzerfahrungen

Vor hundert Jahren entschied sich das Schicksal ( Deutsch- ) Westungarns - wissenschaftliche Studie * zu Ver- und Entflechtungen in der Region
Von Richard Guth
Ende Oktober fiel mir auf der Frankfurter Buchmesse eine Studie in die Hände , die vom renommierten hessischen Wissenschaftsverlag Harrassowitz , den ich erst dieses Jahr kennen lernen durfte , veröffentlicht wurde . Das Thema fand ich unter vielerlei Hinsicht interessant : zum einen als historisch interessierter Mensch , der der Geschichte des letzten Jahrhunderts stets eine besondere Aufmerksamkeit schenkt , aber auch als Privatier , dessen Ehefrau aus Westungarn stammt , um das es in der Monographie geht . Nicht zu vergessen dabei meine Begegnung mit dem verstorbenen Landsmann Andreas Böhm aus Agendorf , der vor zwanzig Jahren vehement gegen die Errichtung eines „ Treuedenkmals ” kämpfte , in einer Gemeinde , die damals mehrheitlich für Österreich optierte ! Und nicht zuletzt als Deutscher in Ungarn und Pfleger des Bleyerschen Erbes ! In dieser Studie taucht der Gründer unseres Sonntagsblattes nämlich an mehreren Stellen auf .
Die Studie beschäftigt sich mit dem Grenzziehungsprozess in ( Deutsch- ) Westungarn - dem heutigen Burgenland - in den Jahren zwischen 1918 und 1923 . Schwerpunkt ist eine Analyse von Ver- und Entflechtungen in einer multiethnischen Region , die jahrhundertelang eine wirtschaftliche Einheit bildete und spätestens seit dem EU-Beitritt Ungarns 2004 wieder bildet . Aber damals nach 1918 bestand die „ Aufgabe ” darin , das Erbe des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn zu liquidieren – dabei war eine ethnisch-sprachlich gerechte Aufteilung kaum möglich , was aber nicht zuletzt „ dank ” der nationalistisch geprägten Homogenisierungstendenzen im späteren Burgenland wesentlich konfliktarmer verlief als woanders .
SoNNTAGSBLATT
Laut einem der Hauptergebnisse der Studie gab es infolge des Prozesses der Grenzziehung viele Lösungsversuche und Konzepte , die über „ latente und reale politische Gewalt ” ausgetragen wurden - vom souveränen Kleinstaat bis hin zur gefundenen Teilungslösung . Die ansässige Bevölkerung reagierte darauf mit Pragmatismus und griff auf noch bestehende Netzwerke zurück . Dies zeigte sich in wirtschaftlich und versorgungstechnisch schwierigen Zeiten zuallererst insbesondere beim Schmuggel von Waren und bei
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