Sonntagsblatt 1/2022 | Page 15

GESCHICHTE

Von der Kollektivstrafe zur gesellschaftlichen Integration

Rubicon-Historikerrunde über die Geschichte der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg
Von Richard Guth
Am 28 . Oktober 2021 veranstaltete das Budapester Rubicon-Institut unter Beteiligung renommierter Historikerinnen und Historiker eine Gesprächsrunde zur Geschichte der deutschen Minderheit nach 1945 . Der Bogen reichte von dem Beginn des Leidensweges unserer Volksgruppe über die Zeit der Konsolidierung in den Sechziger und Siebziger Jahren bis zur Wendezeit , so dass die Runde zum Schluss auch einen Blick über 1990 hinaus wagte .
Wie dachten die Großmächte 1944 über die „ deutsche Frage ”?, lautete die Eingangsfrage der Historikerin und Leiterin der Runde , Dr . Réka Marchut . Dr . Beate Márkus sprach von einem Scheitern des Minderheitenschutzsystems der Vorkriegszeit , daher habe man mit Umsiedlungen und Vertreibungen gerechnet und somit entsprechende britische Pläne und Überlegungen übernommen . Radikale Ansichten wie die Errichtung von Internierungslagern brachen dabei auch Bahn .
Der Vergeltungsgedanke und die Wiedergutmachung dominierten nach Dr . Márkus ‘ Ansicht die Überlegungen der sowjetischen Besatzungsmacht in Form von Verschleppungs- bzw . Zwangsarbeitsaktionen , der die anderen Großmächte anfangs nicht widersprachen , so die Quellenlage . Auch in sowjetischen Dokumenten findet man deutliche Hinweise darauf , dass die deutsche Nationalität einen Ausschlag bei der Verschleppung aus den ost- und mitteleuropäischen Ländern ins Sowjet-Reich gab , dennoch betraf dies auch die nichtdeutsche Bevölkerung . Ende 1944 / Anfang 1945 wurden in Folge der Aktion ( geheimer Befehl ) gegen die Deutschen aus Ungarn Schätzungen zufolge 30-32.000 Menschen , aus Rumänien 70.000 Bürger in die Sowjetunion verschleppt . Hinsichtlich der Zahl aller aus Ungarn Verschleppter seien die Quellen viel ungenauer , so Dr . Márkus . Die Reaktion der lokalen Verwaltungen sei dabei unterschiedlich gewesen , so die Historikerin Dr . Ágnes Tóth , eine weitere Teilnehmerin der Runde :
SoNNTAGSBLATT
15