SchollZ SchollZ 3/2012 (Ausgabe 3) | Page 13

SchollZ In alter Tradition Zur Situation auf stillen Örtchen an unserer Schule V ON M ARNIE K EHLER Mein Vater lachte, meine Geschwister sahen mich mit großen Augen sprachlos an und meine Mutter zog mit skeptischem Blick die Gräten aus ihrem Fisch. „Die wollen in unserer Schule jetzt, dass wir uns das Klopapier ausm Sekre abholn. Weil irgendwelche dummen Kinder sich nicht den Arsch abwischen können, ohne die halbe Rolle im Klo zu versenken und den Rest aufm Flur zu verteiln!“ Ich war wenig amüsiert. „Das wollten die schon einführen, als ich noch auf die Schule gegangen bin. Da hat sich dann unsere Schülerzeitung einen Gag draus gemacht und eine Ausgabe mit „Extrablatt“ herausgegeben.“ Allgemeines Gelächter am Abendbrottisch unserer sechsköpfigen Familie. Nur die Jüngste - vier Jahre alt – rupfte dem Hund grinsend das Fell aus dem Nacken. Mein Vater war im ersten Abiturjahrgang unserer Schule. Das ist gut 30 Jahre her. Und wenn unsere Schule schon seit 30 Jahren mit der an sämtlichen anderen Schulen absolut unüblichen Klopapierdekoration in den Toilettenkabinen zu kämpfen hat und schon seit 30 Jahren damit droht, unseren Sekretärinnen einen um eine kleine Zusatzaufgabe erweiterten Arbeitsplan zukommen zu lassen, dann würden sie doch nicht ausgerechnet jetzt zur Tat schreiten, ausgerechnet dann, wenn sogar drei der sechs derzeitig Dinierenden das GSG Berenbostel besuchen. Dachte ich. Dachte ich wirklich. Falsch gedacht. Es war ein wunderschöner Donnerstag gewesen. Mit Ausnahme des Wetters. Und der Tatsache natürlich, dass wir ihn zum Großteil in der Schule verbringen mussten. Ich habe meine Schulzeit vermutlich mehr genossen, als es viele, viele andere Schüler von sich behaupten können, aber wenn man dem Abiturjahrgang angehört und nach den Osterferien praktisch keine Schule mehr hat, dann zählt man jeden einzelnen Tag. An besagtem Vormittag waren es noch 22. Minus einer Projektwoche, in der wir nicht wirklich Schule haben würden, und einer Mottowoche, in der wir zwar unterrichtet werden würden, aber kostümiert. Also hatten wir quasi schon Ferien. In jedem Fall hatte ich gerade eine dreistündige Englischklausur geschrieben und lauschte nun in meinem Biologieleistungskurs einem abitur- vorbereitenden Vortrag über Prädisposition. Nicht unwichtig…Nur konnte ich mich unglücklicher Weise kein bisschen darauf konzentrieren. Wie denn auch? Schon vor dem Frühstück hatte ich bestimmt einen halben Liter Wasser getrunken, einen Kaffee zum Wachwerden, ein Schnäpschen zur Beruhigung… Letzteres ist natürlich ein Scherz! Zumindest musste ich äußerst dringlich eines der wichtigsten menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Schnellen Schrittes begab ich mich zu der nur wenige Meter entfernten Mädchentoilette und hoffte darauf, möglichst wenig Unterricht zu verpassen. Doch dieser alltägliche Weg endete mit einem schockierenden Anblick: Statt der so vertrauten Klopapiergirlanden und den biologisch abbaubaren Waschbeckeninnenseitenverkleidungen aus Einweghandtüchern sah ich mich nun mit laminierten Papierschilden konfrontiert, die mir höhnisch „Klopapier? Bitte im Sekretariat abholen“ entgegen riefen. Unser allzu vertrautes Mädchenklo sah aus wie die Kleinanzeigenseite unserer kommunalen Wochenzeitung, in jeder Kabine fühlte ich mich bei meiner erfolglosen Suche nach einer zurückgelassenen Rolle von den fies grinsenden Plakaten verfolgt. Sogar die Spiegel waren beklebt und statt meines eigenen Gesichtes beobachteten mich diese gut einen halben Quadratmeter großen Schilder. Doch ich bin schließlich nicht umsonst Gymnasiastin! Ich verließ strammen Schrittes die Toilette, betrat meinen Biologieraum und verlangte mit lauter Stimme nach einem Taschentuch! Seit über 7 Jahren benutze ich das Toilettenpapier ohne sie jemals auch nur ansatzweise für vandalistische Zwecke zu missbrauchen. Mein Vater konnte seiner Zeit selbiges von sich behaupten. Meine Mutter ebenso. Niemals würde ich mich dazu herablassen, in den wenigen Wochen, die mir noch auf dieser Schule bleiben auch nur ein einziges Mal das Sekretariat aufzusuchen und nach Toilettenpapier zu fragen! 13