SchollZ
In alter Tradition
Zur Situation auf stillen Örtchen an unserer Schule
V ON M ARNIE K EHLER
Mein Vater lachte, meine Geschwister sahen mich mit
großen Augen sprachlos an und meine Mutter zog mit
skeptischem Blick die Gräten aus ihrem Fisch.
„Die wollen in unserer Schule jetzt, dass wir uns das
Klopapier ausm Sekre abholn. Weil irgendwelche
dummen Kinder sich nicht den Arsch abwischen
können, ohne die halbe Rolle im Klo zu versenken
und den Rest aufm Flur zu verteiln!“
Ich war wenig amüsiert.
„Das wollten die schon einführen, als ich noch auf die
Schule gegangen bin. Da hat sich dann unsere
Schülerzeitung einen Gag draus gemacht und eine
Ausgabe mit „Extrablatt“ herausgegeben.“
Allgemeines Gelächter am Abendbrottisch unserer
sechsköpfigen Familie. Nur die Jüngste - vier Jahre alt
– rupfte dem Hund grinsend das Fell aus dem
Nacken.
Mein Vater war im ersten Abiturjahrgang unserer
Schule. Das ist gut 30 Jahre her. Und wenn unsere
Schule schon seit 30 Jahren mit der an sämtlichen
anderen
Schulen
absolut
unüblichen
Klopapierdekoration in den Toilettenkabinen zu
kämpfen hat und schon seit 30 Jahren damit droht,
unseren Sekretärinnen einen um eine kleine
Zusatzaufgabe erweiterten Arbeitsplan zukommen zu
lassen, dann würden sie doch nicht ausgerechnet jetzt
zur Tat schreiten, ausgerechnet dann, wenn sogar drei
der sechs derzeitig Dinierenden das GSG Berenbostel
besuchen.
Dachte ich.
Dachte ich wirklich.
Falsch gedacht.
Es war ein wunderschöner Donnerstag gewesen. Mit
Ausnahme des Wetters. Und der Tatsache natürlich,
dass wir ihn zum Großteil in der Schule verbringen
mussten. Ich habe meine Schulzeit vermutlich mehr
genossen, als es viele, viele andere Schüler von sich
behaupten können, aber wenn man dem
Abiturjahrgang angehört und nach den Osterferien
praktisch keine Schule mehr hat, dann zählt man
jeden einzelnen Tag. An besagtem Vormittag waren es
noch 22. Minus einer Projektwoche, in der wir nicht
wirklich Schule haben würden, und einer Mottowoche,
in der wir zwar unterrichtet werden würden, aber
kostümiert. Also hatten wir quasi schon Ferien.
In jedem Fall hatte ich gerade eine dreistündige
Englischklausur geschrieben und lauschte nun in
meinem Biologieleistungskurs einem abitur-
vorbereitenden Vortrag über Prädisposition. Nicht
unwichtig…Nur konnte ich mich unglücklicher Weise
kein bisschen darauf konzentrieren. Wie denn auch?
Schon vor dem Frühstück hatte ich bestimmt einen
halben Liter Wasser getrunken, einen Kaffee zum
Wachwerden, ein Schnäpschen zur Beruhigung…
Letzteres ist natürlich ein Scherz! Zumindest musste
ich äußerst dringlich eines der wichtigsten
menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Schnellen
Schrittes begab ich mich zu der nur wenige Meter
entfernten Mädchentoilette und hoffte darauf,
möglichst wenig Unterricht zu verpassen. Doch dieser
alltägliche Weg endete mit einem schockierenden
Anblick: Statt der so vertrauten Klopapiergirlanden
und
den
biologisch
abbaubaren
Waschbeckeninnenseitenverkleidungen
aus
Einweghandtüchern sah ich mich nun mit laminierten
Papierschilden konfrontiert, die mir höhnisch
„Klopapier? Bitte im Sekretariat abholen“ entgegen
riefen. Unser allzu vertrautes Mädchenklo sah aus wie
die Kleinanzeigenseite unserer kommunalen
Wochenzeitung, in jeder Kabine fühlte ich mich bei
meiner
erfolglosen
Suche
nach
einer
zurückgelassenen Rolle von den fies grinsenden
Plakaten verfolgt. Sogar die Spiegel waren beklebt
und statt meines eigenen Gesichtes beobachteten
mich diese gut einen halben Quadratmeter großen
Schilder.
Doch ich bin schließlich nicht umsonst Gymnasiastin!
Ich verließ strammen Schrittes die Toilette, betrat
meinen Biologieraum und verlangte mit lauter Stimme
nach einem Taschentuch! Seit über 7 Jahren benutze
ich das Toilettenpapier ohne sie jemals auch nur
ansatzweise für vandalistische Zwecke zu
missbrauchen. Mein Vater konnte seiner Zeit selbiges
von sich behaupten. Meine Mutter ebenso. Niemals
würde ich mich dazu herablassen, in den wenigen
Wochen, die mir noch auf dieser Schule bleiben auch
nur ein einziges Mal das Sekretariat aufzusuchen und
nach Toilettenpapier zu fragen!
13