Rarität grüner Wasserstoff | Page 4

DEKARBONISIERUNG – WASSERSTOFF
Wasserstoff zwar wirksam , seine langfristigen Folgen sind aber noch nicht vollständig erforscht .
Türkiser Wasserstoff kann durch unterschiedliche Pyrolyse-Prozesse aus Erdgas gewonnen werden . Das besonders erfolgversprechende Verfahren der Plasma-Pyrolyse stützt sich auf Strom als Hilfsenergie , benötigt allerdings deutlich weniger als die elektrolytische Herstellung . Beim pyrolytisch gewonnenen Wasserstoff entsteht kein CO2 , sondern fester Kohlenstoff in Reinstform . Dieser Wertstoff ist in gewissen Mengen vermarktbar . Kommt es zu nicht vermarktbaren Überschüssen , könnten diese unterirdisch so gelagert werden , dass eine unerwünschte hohe CO2- Freisetzung ausgeschlossen ist – die Erde hat den Nachweis dafür mit den natürlich entstandenen Kohlevorräten über Millionen von Jahren erbracht . Natürlich stützt sich auch die Pyrolyse auf fossiles Erdgas , in Abwägung zu Alternativen erscheint dieser Makel jedoch hinnehmbar .
Fazit
Grüner Wasserstoff wird dringend benötigt und das in sehr großen Mengen . Vorrangige Anwendung grünen Wasserstoffs ist die Zwischenspeicherung von temporären Überschüssen aus der Erzeugung von Grünstrom .
Als Ersatz von Erdgas in industriellen Prozessen ist Wasserstoff zur Dekarbonisierung sehr gut geeignet . Auch klimaneutral erzeugter , nicht grüner Wasserstoff erfüllt diesen Zweck .
Bei anderen hier betrachteten Anwendungen hilft grüner Wasserstoff nicht , im Gegenteil , durch seine Verwendung würde das Ziel , bis 2045 Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen , erheblich erschwert .
Modelle , bei denen ein Zwischenprodukt nach Europa transportiert , das Endprodukt dann teilweise wieder exportiert werden muss , werden auf Dauer nicht tragen ; spätestens bei Reinvestitionsbedarf in europäischen Produktionsanlagen würden Produktions-Vollkosten den Weltmarktpreis für Endprodukte wohl übersteigen . Und der industrielle Kapitalbestand , der aktuell zur Re-Investition ansteht , ist erheblich . Der Versuch , jeglichen Bedarf an Wasserstoff durch grünen Wasserstoff zu decken , hat deshalb eine sehr reale , gefährliche Folgewirkung : die Deindustrialisierung durch Verlust von Wettbewerbsfähigkeit – ein nicht akzeptables Risiko !
Quellen
[ 1 ] Fraunhofer ISE , Presseinformation 03.01.2023 .
[ 2 ] Prognos , Öko-Institut , Wuppertal-Institut ( 2021 ): Klimaneutrales Deutschland 2045 . Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann . Langfassung im Auftrag von
Nachfrage höher als das Angebot
StiftungKlimaneutralität , Agora Energiewende und
Agora Verkehrswende . [ 3 ] Bundesnetzagentur , SMARD Strommarktdaten . [ 4 ] IRENA ( 2020 ), Green Hydrogen Cost Reduction : Scaling up Electrolysers to Meet the 1.5⁰C Climate Goal , International Renewable Energy Agency , Abu Dhabi . [ 5 ] Statista Research Department .
Dr . T . Glimpel , Unabhängiger Managementberater , Essen ; Dr . K . Grellmann , Managing Director bei goetzpartners Management Consulting , Düsseldorf thomas . glimpel @ t-online . de
Die Nachfrage nach klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff ist bereits heute deutlich höher als das künftig realistisch zu erwartende Angebot . Neben industriellen Anwendungen , der Verwendung im Wärmemarkt und in der Mobilität darf vor allem die Rolle von Wasserstoff als Energiespeicher für Zeiträume von mehreren Tagen oder Wochen nicht übersehen werden . Stromspeicherung über grünen Wasserstoff ist zwar durch hohe Umwandlungsverluste belastet . Gleichwohl ist diese Option energiewirtschaftlich belastbar und vor allem für mehrtägige Speicherdauer deutlich kostengünstiger als die Alternative der Stromspeicherung in Akkumulatoren . Bei einem zukünftig nahezu vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Stromsystem wird die Speicheraufgabe zu einem erheblichen und vorrangigen Konkurrenten für die anderen Bedarfsträger .
Auch höhere Importe von grünem Wasserstoff sind auf absehbare Zeit keine belastbare Alternative , um diesen Engpass zu beheben . Zugleich stellt für den Fortbestand der europäischen Industrie die erfolgte frühzeitige Fokussierung auf grünen Wasserstoff als Rohstoff oder Prozessmedium eine nicht zu unterschätzende Bedrohung dar . Spätestens bei Reinvestitionsbedarf in Produktionsanlagen könnten Verarbeitungsprozesse in die Regionen abwandern , wo grüner Wasserstoff gewonnen wird .
Ein Ausweg aus der – politisch selbst herbeigeführten – Mangelsituation könnte in einer höheren Akzeptanz für andere klimafreundliche Herstellungsverfahren für Wasserstoff bestehen . Hierbei sticht vor allem die Erdgas-Pyrolyse mit Abscheidung von festem Kohlenstoff ( türkiser Wasserstoff ) ins Auge , weil sie eine kostengünstige Möglichkeit zur sicheren Verwahrung des anfallenden festen Kohlenstoffs bietet . Hierdurch könnte in erster Linie der industrielle Wasserstoffbedarf schneller und kostengünstiger gedeckt werden als ausschließlich mit grünem Wasserstoff . Außerdem wären mit klimafreundlich aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff auch der Wärme- und Mobilitätsmarkt bedienbar , wo die Verwendung von grünem Wasserstoff aus Erwägungen der Nutzungseffizienz nach den vorliegenden Szenarien fragwürdig ist .
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 73 . Jg . 2023 Heft 5 35