Rarität grüner Wasserstoff | Page 2

DEKARBONISIERUNG – WASSERSTOFF
KND 2045 und der Bundesnetzagentur , kommt zu folgenden Ergebnissen :
■ Speicherkapazität zur vollständigen Überschussnutzung in Deutschland : 46 TWh el ;
■ Beladeleistung der Speicher : 200 GW el ;
■ Entladeleistung der Speicher : 100 GW el ;
■ Anzahl der jährlichen Speicherzyklen : > 300 .
Ein Teil dieser Speicheraufgabe kann von elektrochemischen Speichern , Akkus , übernommen werden . Dafür sprechen der hohe nach KND 2045 vorgesehene Anteil der PV mit vergleichsweise kurzen Speicherzyklen sowie die hohen Zyklus-Wirkungsgrade von Akkus . Nachteilig bei Akkus sind deren hohe Investitionskosten , die voraussichtlich trotz weiterer Kostendegression in den nächsten Jahrzehnten nicht unter 150.000 €/ MWh liegen werden .
Ein System aus Elektrolyseuren , H2-Großspeichern und H2-Rückverstromungsanlagen erfordert bei gleicher Speicherkapazität geringere Investitionen als Akkus , hat aber erheblich höhere Umwandlungsverluste beim Durchlaufen der Speicherzyklen . Selbst bei einem technisch-energetisch optimalen Zykluswirkungsgrad von 50 % ( Elektrolyse 83 %, Rückverstromung 60 %) wären gut 80 TWh el Grünstrom erforderlich , um Speicherverluste zu kompensieren .
Das wirtschaftliche Optimum wird bei einem Hybrid-System aus Akkus und Wasserstoffspeicherung erreicht . Nach Abschätzung der Autoren liegen die auszugleichenden Speicherverluste für ein wirtschaftlich optimiertes System bei einem elektrischen Äquivalent von 40 bis 50 TWh / a .
Mineralöl-Raffination Der Bedarf deutscher Raffinerien lag 2020 bei rd . 7 Mrd . Norm-m3 . Für eine wirtschaftlich tragfähige Dekarbonisierung dieses Wasserstoffbedarfs muss die Bereitstellung von klimaverträglichem Wasserstoff in ausreichender Menge und zu international wettbewerbsfähigen Preisen gelingen . Maßgeblich sind die Herstellungskosten umweltverträglich produzierter Mineralölprodukte an exportfähigen Produktionsstandorten zuzüglich der Transportkosten nach Europa bzw . Deutschland .
Zur Bereitstellung von 7 Mrd . m3 grünen Wasserstoffs allein für deutsche Raffinerien ist je nach Elektrolyse-Wirkungsgrad Grünstrom zwischen 25 und 30 TWh / a erforderlich , der Ertrag von 20 großen Offshore- Windparks . Nach Statista-Prognosen wird der Wasserstoffbedarf für deutsche Raffinerien bis 2045 zwar auf 30 % des aktuellen Bedarfs zurückgehen ; damit verbliebe ein Grünstrombedarf für Elektrolyseure von knapp 10 TWh / a .
Bestrebungen aus der Mineralöl-Industrie , Quellen und Infrastruktur für grünen Wasserstoff zu erschließen , sind unbedingt zu unterstützen . Hierdurch wird ein wichtiger Impuls für den zügigen Aufbau von Elektrolysekapazität gegeben , der mit Blick auf den späteren Bedarf für Speicherzwecke sehr hilfreich ist . Fluch und Segen liegen hier aber eng beieinander : Die Speicheraufgabe , für deren Elektrolyse-Leistung aktuelle Industrieinitiativen Aufbauhilfe leisten , entwickelt sich bald zu einem erbitterten Nachfrage-Konkurrenten , der angesichts der unverzichtbaren Stabilisierung des Stromnetzes vorrangig bedient werden muss .
Ammoniak-Herstellung als Rohstoff für die Düngemittel-Industrie Die Ammoniak-Herstellung aus Wasserstoff ist mit 30 % der zweitgrößte Bedarfsträger . Ammoniak wird zu einem großen Teil für die Produktion von Düngemitteln benötigt . Auf den ersten Blick besticht der Gedanke , in klimatisch günstigen Regionen Ammoniak direkt vor Ort aus grünem Wasserstoff zu erzeugen , denn Ammoniak ist deutlich einfacher zu transportieren als Wasserstoff . Sinnvoll ist das aber nur , wenn die in Deutschland vorhandenen Produktionsanlagen mit importiertem Ammoniak kostengünstiger produzieren können als neu zu errichtende Produktionsanlagen in den Herkunftsregionen des grünen Ammoniaks .
Verwendung als Reduktionsmittel bei der Stahlproduktion Bisher entfiel auf die Stahlindustrie ein Anteil von 4 % des europäischen Wasserstoffbedarfs . In diesen Zahlen ist der erheblich höhere Bedarf für Wasserstoff zur Direktreduktion allerdings noch nicht enthalten . Erst durch Verwendung von Wasserstoff als Reduktionsmittel entsteht weitgehend klimaneutraler Eisenschwamm , der in Elektro- Lichtbogenöfen zu Rohstahl weiterverarbeitet werden kann .
Schon die Errichtung neuer Produktionsanlagen für Stahl ist herausfordernd . Die Herstellung ausreichender Mengen grünen Wasserstoffs in Deutschland ist ein weiteres Hemmnis . Import von grünem Wasserstoff verbessert die Chancen auf Marktfähigkeit für grünen Stahl aus Europa nicht . Denn Messlatten für dessen Wirtschaftlichkeit werden künftig auch Produktionsanlagen sein , die in den Herkunftsregionen von Importwasserstoff stehen ; den Bau eines klimafreundlichen Stahlwerks fördert Deutschland in Namibia ja bereits . Sicherlich ist das ein anerkennenswerter Schritt Deutschlands für die wirtschaftliche Entwicklung Namibias und die Vertiefung künftiger Handelsbeziehungen . In unserem Interesse liegt aber auch der Erhalt der Stahlindustrie in unserer Region , einer Schlüsselindustrie für vielfältige weitere Produktionen .
Einsatz als Treibstoff für Fahrzeuge Die Diskussion über Technologie-Offenheit bei Fahrzeugantrieben kocht aktuell hoch . Im Flugverkehr und dem marinen Transport wird die Elektrifizierung auf absehbare Zeit schwierig bleiben . Während Wasserstoff für Schiffsantriebe noch am ehesten geeignet erscheint – hohe Drücke und Speichervolumina lassen sich hier am ehesten beherrschen – ist im Flugverkehr flüssiger Treibstoff besser geeignet . Als klimaneutrale Alternative für Wasserstoffbasierte Treibstoffe besteht die Möglichkeit , aus Ernterückständen Treibstoffe zu erzeugen . Das Potenzial dafür wird oft unterschätzt . In Brasilien haben Bio-Treibstoffe bereits einen sehr hohen Marktanteil , das Gesamtpotenzial ist dort längst nicht erschöpft . Die Gewinnung von Bio-Treibstoffen aus Abfall in geeigneten Regionen ist kostengünstig , mindert klimaschädliche Methan-Emissionen und empfiehlt sich vorrangig vor der Verwendung von grünem Wasserstoff .
Schienen- und Straßenverkehr hingegen bieten allerbeste technische Chancen für eine vollständige Elektrifizierung . Aus einem möglichst hohen Anteil von Elektrofahrzeugen erwachsen zusätzliche Chancen durch Nutzung der zeitlichen Ladeflexibilität dieser Fahrzeuge .
ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 73 . Jg . 2023 Heft 5 33