PhotoWeekly 19/2018 | Page 27

Finale AUSSTIEG 27 Der „falsche“ Ameisenbär Text: Wolfgang Heinen, Foto: Marcio Cabral Es war einmal ein Ameisenbär, der stand in ei- nem Besucherzentrum eines Naturparks in Bra- silien – und kaum ein Mensch kannte ihn. Da kam eines Tages ein Fotograf des Weges und sagte sich: Was für ein schöner Ameisenbär, den könnte ich doch toll in ein anderes Bild mit einem nächtlich von Sternen beleuchteten Termitenhügel einmon- tieren. Gesagt, getan. Das Bild sah wirklich su- per aus und so sandte es der Fotograf Marcio Cab- ral zum Wettbewerb „Wildlife Photographer of the Year“, den das Natural History Museum in London jährlich vergibt. Und siehe da, das Bild gewann den ersten Preis, der Fotograf ist damit Wildlife-Fotograf des Jahres. Gewesen. Denn die Jury hat dem Fotografen den Preis aberkannt, weil das Bild gestellt sei, der Amei- senbär ausgestopft. Und das verstößt, na klar, ge- gen die Regeln des Wettbewerbs. Die Jury wurde im Nachhinein auf den möglichen Regelverstoß aufmerksam gemacht, da einigen Betrachtern des Fotos aufgefallen war, dass es im besagten Be- sucherzentrum in Brasilien einen ausgestopften Ameisenbär gibt, der mit exakt der gleichen Pose an einem Baum steht. Fünf Expertenuntersuchun- gen später kamen alle Spezialisten zu demselben Schluss: Das Rüssel-Tier auf dem Foto ist eindeutig das ausgestopfte Exemplar. Die Moral von der Ge- schichte: Preis futsch, Ruhm futsch, Ehre futsch. Diesen ausge- stopften Amei- senbären hatte sich der Foto- graf für sein Vorhaben „aus- geliehen“.