PhotoWeekly 10.11.2021 | Page 31

Alle Fotos : Jamal Ageli

Praxis

ASTRO-FOTOGRAFIE presented by

Kosmische Kunst

Alle Fotos : Jamal Ageli

Der Astrofotograf Jamal Ageli erkundet die physischen wie metaphysischen Dimensionen des Weltraums mit einem Teleskop und der Leica SL2-S .

Text : Peter Schuffelen , Fotos : Jamal Ageli

Wer in einem müßigen Moment in den klaren Sternenhimmel schaut und sich bewusst macht , dass diese unzähligen weißen Punkte Sonnen sind , deren Licht uns erst Jahrmillionen später erreicht . Wer sich dann vergegenwärtigt , dass die allerwenigsten Planeten , die um diese Sonnen kreisen , Leben ermöglichen . Und schließlich seine Gedanken zurück auf sich selbst lenkt , begreift ein wenig das eigentlich Unbegreifliche : die unfassbare Dimension des Universums und des Zeithorizonts , unsere eigene Winzigkeit und zugleich die Größe unserer Existenz .

Der Fotograf Jamal Ageli kennt

Zur Person :

Jamal Ageli (* 1997 ) ist ein deutscher Fotograf und Videokünstler . Seine Werke sind geprägt von einer Liebe zu Optik und Licht , dem Aufwachsen in der Natur und dem Drang , den außergewöhnlichsten Aspekt unseres Daseins nachzuspüren .

Leica SL2-S . Die ist meist bestückt mit einem APO-SUMMICRON-S L 1:2 / 50 ASPH ., angeschlossen per Adapter , ein Objektiv , das sich laut Jamal „ in puncto Abbildungsqualität , chromatische Aberration und Vignettierung als hervorra gend erwiesen hat “.

Die technische und die ästhetische Qualität seiner Bilder faszinieren den Betrachter . Wir sehen die Sonne als plastischen Ball , gut zu erkennen sind die Protuberanzen , die aus dem Fixstern ausbrechende Materie , sowie ein winziger Sonnenfleck , der in Wirklichkeit viermal so groß ist wie die Erde . Die Wega , den „ nur “ 25 Lichtjahre entfernten zweithellsten Stern am Nordhimmel . Den kreisförmigen Nebel der Andromedagalaxie , 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt und 200.000 Lichtjahre durchmessend . Oder die North-America-Nebula , der man , mit etwas Fantasie , die Konturen des nordamerikanischen Kontinents andichten kann .

Leica SL2-S mit einem 2-Zoll-Adapter am Teleskop montiert , Brennweite 1200mm .

Okularansicht des Teleskops bei der Beobachtung des Monds am Morgen .

Jamal , der derzeit Fotografie und Film in Den Haag studiert und daneben als Fotograf für die Europäische Weltraumorganisation ESA tätig ist , führt die hohe Bildqualität nicht zuletzt auf den 24 Megapixel auflösenden Vollformatsensor der Leica SL2-S zurück , der dank seiner rückwärtigen Belichtung einen enormen Dynamikbereich und rauscharme Aufnahmen ermöglicht . Jamal : „ Zum Fokussieren und

Herausragende Lowlight-Qualitäten : Die Leica SL2-S für das Framing benutze ich gewöhnlich ISO 12.800 , manchmal und nur zum Einstellen auch den ‚ Enhanced Live-View ‘, der die Empfindlichkeit virtuell in wahnwitzige Höhen schraubt und die Betrachtung sehr lichtschwacher Objekte ermöglicht . Bei den eigentlichen Reihenaufnahmen , bei denen 200 bis 300 Bilder pro Nacht übereinandergelegt werden und das Rauschen am Ende digital subtrahiert werden kann , hat sich ISO 1.600 bewährt , – ein sehr gutes Mittelmaß zwischen Detailreichtum und Rauschverhalten , das bei der SL2-S konstant niedrig ist .“

Auch von den Bewegtbildeigenschaften der spiegellosen Vollformatkamera zeigt sich der Fotograf und Videokünstler angetan , verweist auf die vielfältigen Steuerungsmöglichkeiten in Kombination mit einem Gimbal , die zahlreichen Anzeigeoptionen im Live-View-Modus , die gute Lowlight-Qualität , die In-Body-Bildstabilisierung , die alternativen Aufnahmeformate mit 10 bit und bis zu 120 fps . Und ganz besonders : auf die Möglichkeit , nahtlos und intuitiv zwischen Foto und Video wechseln zu können .

Andromedagalaxie , Entfernung 2,5 Mio . Lichtjahre , Belichtungszeit ca . 3 1 / 2 h .

Darstellung eines Sternenclusters bestehend aus sehr heißen Sternen .

Wie fotografiert man die Sonne , ohne zu erblinden ? Antwort : mit einem extrem starken ND-Filter , der das Sonnenlicht um den Faktor 100.000 reduziert . Wie lange muss ich einen Sternenhaufen belichten , damit er hinreichend hell abgebildet wird ? Antwort : Je nach Entfernung und Strahlkraft zwischen einer halben Minute und fünf Stunden . Wie kalibriere ich die motorische Nachführung des Stativs , die die Erdrotation ausgleicht und unerwünschte Startrails , also Sternenwischer , vermeidet , die ansonsten unvermeidlich einstehen und sich bei Einsatz einer 50mm- Brennweite bereits nach acht Sekunden zeigen ? Und mit welchem Programm stacke ich die vielen Einzelbelichtungen am Ende zusammen , die erst in der Summe genug Licht einfangen , um Himmelskörper ausreichend hell abzubilden ? Fragen , mit denen sich Jamal intensiv auseinandergesetzt und dennoch immer wieder mal Misserfolge verbucht hat .

„ Die Lernkurve ist ziemlich steil und es gab genug Nächte , an deren Ende ich überhaupt kein brauchbares Bild im Kasten hatte . Auf der anderen Seite hatte ich auch immer wieder diese Eureka- Momente “, sagt Jamal , der stets wach bleibt , um zwischendurch , nach etwa 50 Aufnahmen , zu kontrollieren , ob noch alles richtig funktioniert .

Für seine „ Abstract Astronomy “ - Bildschöpfungen nutzt Jamal bewusst optische Abbildungs- und Anwendungsfehler und verfremdet diese am Rechner weiter .

Oben : die Sonne , unten ein Sternencluster .

So sehr Jamal Ageli hohe Qualität und ausgereifte Kameratechnik schätzt , zuweilen trickst er diese auch absichtlich aus . Was dabei entsteht , nennt er „ Abstract Astronomy “, jenen Teilbereich seines Portfolios , für das er optische Abbildungs- und Anwendungsfehler als Steilvorlage für kreative Bildschöpfungen begreift . Da wird die Sonne schon mal zu einer schillernden Seifenblase kurz vor dem Zerplatzen und ein Sternenhaufen zu den geometrischen Farbsprenkeln auf der Leinwand eines Action-Painters . Wie genau er diese Bilder erzeugt , will er nicht verraten . Dann fügt er aber einen letzten Satz hinzu , der ungewöhnlich ist für einen Astrofotografen , zumal für einen , der sich für Kamera- und für Raumfahrttechnik begeistert und sich selbst als Technik-Nerd bezeichnet . „ Die Frage lautet doch : Wie entsteht Ästhetik , wie Schönheit ? Das hat für mich schon eine philosophische , eine geradezu spirituelle Qualität .“ Es ist vielleicht das , was er meint , wenn er sagt : „ In meinem Bildern kommen keine Menschen vor . Dabei liebe ich die Menschen .“