Personalbeschaffung in China Oktober 2016

48 ORGANISATION_INTERNATIONALE PERSONALARBEIT Abgeworben im Reich der Mitte AUSBLICK. Deutsche Fach- und Führungskräfte mit guten Sprachkenntnissen sind in China gefragt. Viele Expats bleiben dort, denn die Übernahmeangebote sind attraktiv. Von Winfried Gertz  N achdem er mitten in der Nacht von der Abwerbung des deutschen Werkleiters erfährt, nimmt Siegfried Baumeister die nächste Maschine Richtung Fernost. Kaum im chinesischen Werk angekommen, ruft er die Belegschaft zusammen. „Unsere Kultur und unser Zusammenhalt stehen nicht auf dem Spiel, wenn Führungskräfte kündigen“, beruhigt er die aufgewühlten Chinesen. Das zu erfahren, erinnert sich der einstige Personalchef von Voss Automotive, lag den Beschäftigten besonders am Herzen. Inzwischen sind knapp 2.500 deutsche Firmen in China vertreten. Abgesehen von etwa einhundert Konzernen, so eine neue Statistik der Deutschen Außenhandelskammer in Peking, entfällt der Löwenanteil auf mittelständische Betriebe, die einen riesigen Absatzmarkt erschließen wollen. Mit dem Auftrag, das Geschäft in Gang zu setzen und möglichst schnell auszubauen, werden Fachund Führungskräfte entsandt, die nach getaner Arbeit eigentlich wieder nach Deutschland zurückkehren sollen. Um sie ist im chinesischen Arbeitsmarkt ein erbitterter Wettstreit entflammt. „Erfolgreiche deutsche Expats bleiben oft nicht lange für ein Unternehmen tätig“, sagt Isabel Wiedenroth, CEO von SinoGermanTrade.com. „Sie werden mit besseren Positionen und attraktiver Entlohnung abgeworben.“ Zwingende Voraussetzung: Anders als früher, muss man neben dem Fachwissen auch interkulturell sattelfest sein und Chinesisch sprechen. Schließlich scharren auch chinesische Mitbewerber, die exzellente Abschlüsse von deutschen Universitäten vorweisen können, bereits mit den Hufen, so Wiedenroth. Ingenieure sind besonders begehrt Wer in China als Fach- und Führungskraft die Marke „Made in Germany“ repräsentiert, ist seit jeher angesehen. Dieser Nimbus wird durch den aktuellen „Transformationsprozess“ zusätzlich verstärkt. Der Staat will seine Industrieproduktion nachhaltiger gestalten und setzt vermehrt auf automatisierte Fertigung. Deshalb kaufen chinesische Unternehmen zunehmend Hightech-Produkte aus Deutschland ein, beobachtet Oliver Prüfer, Leiter der HR-Abteilung in der Deutschen Auslandshandelskammer. „Begehrt sind Fach- und Führungskräfte aus Ingenieurwesen, Maschinen- und Anlagenbau, Informations- und Kommunikationstechnik sowie IT-Sicherheit, nicht zuletzt wegen einer zunehmenden Digitalisierung der Produktion (Industrie 4.0).“ Dass der Trend, deutsche Experts abzuwerben, sich in China und seinen Anrainern künftig weiter ausprägen wird, davon ist Christian Sommer, Geschäftsführer des German Centre Shanghai, felsenfest überzeugt. Als Beispiel verweist er auf einen zuvor für einen deutschen Chemiekonzern tätigen Experten, der inzwischen in einer chinesischen IT-Firma für die Beziehungen zum deutschen Markt verantwortlich sei. Die Abwanderungswünsche ihrer Expats trifft die meisten deutschen Betriebe tief ins Mark. Zwar sind noch die wechselwilligen Fach- und Führungskräfte gegenüber den wie geplant zurückkehrenden weit in der Minderzahl, wie auch Stefan Geiger, Geschäftsführer vom Chinaforum Bayern, betont. Vor allem bei namhaften Konzernen seien ihnen so gute Konditionen sicher, dass sie nur selten ihren Arbeitgeber verlassen. „Wer würde so eine komfortable Position freiwillig räumen?“ Doch im Mittelstand sieht das ganz anders aus. „Können chinesische Konzerne dank ihrer Größe unzufriedenen Führungskräften berufliche Alternativen in der Region anbieten“, sagt Oliver Liegel, Personalberater bei Ginkgo Search Partners in Peking, „sind Mittelständler deutlich stärker vom Verlust ihrer Expats bedroht.“ Wie Liegel beobachtet, liebäugeln zwei Gruppen mit beruflichen Kurswechseln. Während Expats in den Dreißigern vor allem Aufgaben mit Entwicklungs- und Gestaltungspotenzial reizen, übernehmen erfahrene Führungskräfte in den Fünfzigern bei organisatorischen Veränderungen, Kostensenkung und Personalabbau das Kommando. Die in wirtschaftlichen Krisen typischen Aufgaben seien für „erfolgsverwöhnte chinesische Führungskräfte neu“, so Liegel. Unternehmenskultur als Bindeglied Warum auch immer Expats mit dem Gedanken spielen, sich von ihrem Arbeitgeber zu verabschieden: Unternehmen sollten alles daran setzen, dass es erst gar nicht dazu kommt. „Man kann kaum verhindern, dass gute Leute abgeworben werden“, sagt Baumeister. „Es sei personalmagazin 11 / 16