48 ORGANISATION_INTERNATIONALE PERSONALARBEIT
Abgeworben im Reich der Mitte
AUSBLICK. Deutsche Fach- und Führungskräfte mit guten Sprachkenntnissen sind in
China gefragt. Viele Expats bleiben dort, denn die Übernahmeangebote sind attraktiv.
Von Winfried Gertz
N
achdem er mitten in der
Nacht von der Abwerbung
des deutschen Werkleiters
erfährt, nimmt Siegfried Baumeister die nächste Maschine Richtung
Fernost. Kaum im chinesischen Werk
angekommen, ruft er die Belegschaft zusammen. „Unsere Kultur und unser Zusammenhalt stehen nicht auf dem Spiel,
wenn Führungskräfte kündigen“, beruhigt er die aufgewühlten Chinesen. Das
zu erfahren, erinnert sich der einstige
Personalchef von Voss Automotive, lag
den Beschäftigten besonders am Herzen.
Inzwischen sind knapp 2.500 deutsche Firmen in China vertreten. Abgesehen von etwa einhundert Konzernen,
so eine neue Statistik der Deutschen Außenhandelskammer in Peking, entfällt
der Löwenanteil auf mittelständische
Betriebe, die einen riesigen Absatzmarkt
erschließen wollen. Mit dem Auftrag, das
Geschäft in Gang zu setzen und möglichst schnell auszubauen, werden Fachund Führungskräfte entsandt, die nach
getaner Arbeit eigentlich wieder nach
Deutschland zurückkehren sollen.
Um sie ist im chinesischen Arbeitsmarkt ein erbitterter Wettstreit entflammt. „Erfolgreiche deutsche Expats
bleiben oft nicht lange für ein Unternehmen tätig“, sagt Isabel Wiedenroth, CEO
von SinoGermanTrade.com. „Sie werden
mit besseren Positionen und attraktiver
Entlohnung abgeworben.“ Zwingende
Voraussetzung: Anders als früher, muss
man neben dem Fachwissen auch interkulturell sattelfest sein und Chinesisch
sprechen. Schließlich scharren auch
chinesische Mitbewerber, die exzellente
Abschlüsse von deutschen Universitäten
vorweisen können, bereits mit den Hufen, so Wiedenroth.
Ingenieure sind besonders begehrt
Wer in China als Fach- und Führungskraft die Marke „Made in Germany“
repräsentiert, ist seit jeher angesehen.
Dieser Nimbus wird durch den aktuellen „Transformationsprozess“ zusätzlich
verstärkt. Der Staat will seine Industrieproduktion nachhaltiger gestalten und
setzt vermehrt auf automatisierte Fertigung. Deshalb kaufen chinesische Unternehmen zunehmend Hightech-Produkte
aus Deutschland ein, beobachtet Oliver
Prüfer, Leiter der HR-Abteilung in der
Deutschen
Auslandshandelskammer.
„Begehrt sind Fach- und Führungskräfte
aus Ingenieurwesen, Maschinen- und Anlagenbau, Informations- und Kommunikationstechnik sowie IT-Sicherheit, nicht
zuletzt wegen einer zunehmenden Digitalisierung der Produktion (Industrie 4.0).“
Dass der Trend, deutsche Experts abzuwerben, sich in China und seinen Anrainern künftig weiter ausprägen wird,
davon ist Christian Sommer, Geschäftsführer des German Centre Shanghai, felsenfest überzeugt. Als Beispiel verweist
er auf einen zuvor für einen deutschen
Chemiekonzern tätigen Experten, der
inzwischen in einer chinesischen IT-Firma für die Beziehungen zum deutschen
Markt verantwortlich sei.
Die Abwanderungswünsche ihrer
Expats trifft die meisten deutschen Betriebe tief ins Mark. Zwar sind noch die
wechselwilligen Fach- und Führungskräfte gegenüber den wie geplant zurückkehrenden weit in der Minderzahl,
wie auch Stefan Geiger, Geschäftsführer
vom Chinaforum Bayern, betont. Vor
allem bei namhaften Konzernen seien
ihnen so gute Konditionen sicher, dass
sie nur selten ihren Arbeitgeber verlassen. „Wer würde so eine komfortable Position freiwillig räumen?“
Doch im Mittelstand sieht das ganz anders aus. „Können chinesische Konzerne
dank ihrer Größe unzufriedenen Führungskräften berufliche Alternativen
in der Region anbieten“, sagt Oliver Liegel, Personalberater bei Ginkgo Search
Partners in Peking, „sind Mittelständler
deutlich stärker vom Verlust ihrer Expats bedroht.“ Wie Liegel beobachtet,
liebäugeln zwei Gruppen mit beruflichen Kurswechseln. Während Expats
in den Dreißigern vor allem Aufgaben
mit Entwicklungs- und Gestaltungspotenzial reizen, übernehmen erfahrene
Führungskräfte in den Fünfzigern bei
organisatorischen Veränderungen, Kostensenkung und Personalabbau das
Kommando. Die in wirtschaftlichen
Krisen typischen Aufgaben seien für
„erfolgsverwöhnte chinesische Führungskräfte neu“, so Liegel.
Unternehmenskultur als Bindeglied
Warum auch immer Expats mit dem Gedanken spielen, sich von ihrem Arbeitgeber zu verabschieden: Unternehmen
sollten alles daran setzen, dass es erst
gar nicht dazu kommt. „Man kann kaum
verhindern, dass gute Leute abgeworben werden“, sagt Baumeister. „Es sei
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