Es stellte sich heraus, dass die Menschheit
die am weitesten entwickelte Primatenart
ist und quasi vom Affen abstammt. Aus
der „Krone der Schöpfung“ wurde eine
ganz profane, evolutionär erklärbare Le-
bensform auf der Erde.
Für Philosophie, Religion und Geschichte
als Kerndisziplinen der Geisteswissen-
schaften war das ein Schock. Der vergeis-
tigten, gottähnlichen Selbstüberhöhung
und dem Gottesgnadentum der herr-
schenden Klassen wurde endgültig ihr
Fundament entzogen.
Bauch statt Ratio
An der Krone der Schöpfung blieb nur
noch ein großer Zacken übrig, der aller-
dings Ende des 19. und Anfang des 20.
Jahrhunderts abbrach und von der Krone
nur einen einfachen Stirnreif ohne König
übrig ließ.
Nicht nur, dass die Welt sich mit naturwis-
senschaftlicher Forschung erklären lässt.
Nicht nur, dass sich die edlen, gottähnli-
chen, vergeistigten Geschöpfe als Prima-
ten entpuppten.
Nun entdeckten der österreichische Arzt
Sigmund Freud und die Psychoanalytiker
zu allem Unglück auch noch, dass es mit
der Ratio, der Vernunft und der Logik der
Menschen nicht weit her ist. Menschen
entscheiden aus dem Bauch heraus.
Ein steuerndes Unterbewusstsein und ver-
schiedene „Ichs“ bestimmen die Handlun-
gen der Menschen. Die große, geistige
Freiheit des Menschen reduzierte sich als
nachträglich vorgeschoben und in die
wirklichen Abläufe hineinrationalisiert.
Geisteswissenschaften ohne Geist
Von dem höheren Geistwesen, das den
4
Menschen – meist zu Pfingsten in Form
von Tauben – den göttlichen Funken und
Geist herabschickt, blieb nichts zum „Ver-
stehen“ übrig.
Das „Verstehen“ der Geisteswissenschaft
ist im Kern nichts weiter als das Fest-
klammern an überholter Hybris.
Das Verstehen, das Einfühlen, das Nach-
empfinden von menschlichen und gesell-
schaftlichen Regungen in den Geisteswis-
senschaften war immer nur ein Versuch,
sich die Welt nach den eigenen, gehobe-
nen Ansprüchen zurechtzulegen und pas-
send zu machen.
Jede Zeit und jede Elite verstand ihre Exis-
tenz so, dass sie gut abschnitt, während
die Naturwissenschaften die Welt immer
umfassender und tiefer „erklärten“ und
Geisteswissenschaften ohne „Geist“ zu-
rückließen.
Natürlich gibt es Bereiche und Lebensäu-
ßerungen, die man – zumindest im Rah-
men der heutigen Grenzen naturwissen-
schaftlicher Parameter – nicht erklären
kann. Das wird angesichts der sich uns
heute etwas mehr offenbarenden Welt
des Subatomaren (Quantenmechanik) und
des Größten, der Galaxis (Relativitätstheo-
rie), auch so bleiben – auch für die noch
oft mit bildungsbürgerlichem Dünkel
durchsetzte „Geisteswissenschaft“.
Eine notwendige Symbiose
Naturwissenschaftliches „Erklären“ und
geisteswissenschaftliches „Verstehen“ ge-
hören untrennbar zusammen.
Erklärende Naturwissenschaftler müssen
immer verstehen, was sie eigentlich trei-
ben und welche Implikationen und gesell-
schaftlichen Auswirkungen ihre Arbeit hat.
Sie müssen ihre Verantwortung begreifen,