Neue Debatte - Beiheft #006 - 04/2017 Über die Korruption in Frankreich | Page 13
Es wird uns dabei der Fatalismus einge-
trichtert, man stopft uns voll mit „pensée
unique“ [10] und bezahlt gleichzeitig die
Spaßmacher, die uns zerstreuen sollen,
damit wir vergessen, dass wir Sklaven sind.
Panem et circenses, Brot und Spiele (wie
im alten Rom), nichts Neues unter der
Sonne also, die „servitude volontaire“, die
freiwillige Knechtschaft [11] . Ablen kungs-
manöver und Nebelwand: François Hol-
lande gibt einerseits vor gegen die Steuer-
flucht vorzugehen, andererseits bewilligt
er 48 Milliarden Euro Steuererleichterun-
François Hollande
gen für Unternehmen …
Hollande ist kein Präsident, der seine Ver-
sprechen gebrochen hat, sondern ein Zau-
berkünstler, der seine Nummer verpatzt
hat. Alls läuft gut, solange er den Eindruck
erwecken kann, dass er gegen die Korrup-
tion kämpft: Er braucht es nicht wirklich zu
machen. Er muss nur dabei gesehen wer-
den, wie er so tut als ob.
Seien wir scharfsichtiger, ohne in die
Komplott-Falle zu laufen, eine weitere
Maske der Herrschaft. Stellen wir uns die
Frage, wie die Politiker an der Macht blei-
ben trotz ihrer offensichtlichen Korruption;
wie sie es schaffen (bei regionalen und
nationalen Wahlen) trotz der Lügen! Wie
schaffen sie es, die Situation akzeptabel zu
machen? Wie kommt es, dass der Sieg ei-
ner Klasse hingenommen wird? Wie schaf-
fen sie es aus uns nicht nur Sklaven, son-
dern auch Hüter des Systems zu machen?
Zunächst durch eine weitere Lüge, wonach
eine andere Welt nicht möglich ist, wie
Pangloss zu Candide [12] sagt. Aus Optimis-
mus und Wahn wird behauptet, dass alles
gut ist, wenn alles schief läuft. Aber die
Lüge allein wäre nicht genug, es fehlt der
Schrecken. Der Kapitalismus herrscht als
Herrschaftssystem durch Schrecken und
Inszenierung. Er zeigt uns, was passiert,
wenn man ihm nicht gehorcht: wir sehen
es jeden Tag, den Tod auf der Straße. Wir
könnten, wenn wir wollten und es einen
politischen Willen gäbe, heute alle Ob-
dachlosen unterbringen.
Dazu bräuchte man nicht einmal die Steu-
erfluchtgelder oder die vom Steuerbetrug.
Wir können alle Obdachlosen Frankreichs
unterbringen, schon morgen. Aber wir tun
es nicht. Die Macht verweigert sich. Wa-
rum?
Weil der soziale Abstieg, die sichtbare Ar-
mut, das Elend der Arbeitslosigkeit und
Wir können alle Obdachlosen Frankreichs unterbringen, schon
morgen. Aber wir tun es nicht. Die Macht verweigert sich. Warum?
Weil der soziale Abstieg, die sichtbare Armut, das Elend der Ar-
beitslosigkeit und der Exklusion, die daraus folgt, als Warnung und
als Drohung dient …
Mathieu Brichard
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