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04 Projekt Profi von Marius Kollbacher Marius Kollbacher ist 20 Jahre alt und studiert seit zwei Semestern Public Relations/ Crossmedia-Redaktion an der HdM. Ein Schwabe ist er allerdings nicht. Ursprünglich kommt er aus dem wunderschönen Darmstadt in Hessen. Die Spieler jung, der Druck enorm, die Zeit begrenzt. Hoffnungsvolle Talente in den Nachwuchsleistungszentren Deutschlands stehen oftmals unter Strom. Vor allem die Spieler zwischen 17 und 22 Jahren befinden sich in der wichtigsten Phase ihrer Karriere, denn in diesen Jahren entscheidet es sich, ob der Sprung in den Profifußball gelingt. Es ist vormittags. Linus verschließt die Tür seiner Wohnung, geht auf die Straße und überlegt: „Wo steht nochmal mein Auto?“ In Karlsruhe Mitte sind Parkplätze selten. Er fährt zu einer Arztpraxis, wartet dort auf seinen Mitbewohner Tim. Die Autotür geht auf und noch bevor Tim sie schließen kann, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht: „Nur 11 Tage, dann darf ich wieder spielen.” Von Beruf FuSSballer Es klingt paradox: Linus Radau (20) und Tim Fahrenholz (21) sind von Beruf Fußballer – doch noch sind sie keine Profis. Gemeinsam kamen Sie über Darmstadt 98 und Mainz 05 in die U23 des Karlsruher SC. Hier leben sie in einer 2-Zimmer WG, die sie sich von ihrem Gehalt als Fußballer leisten können. Inzwischen haben sie sich eingelebt. Doch anfangs war alles neu. Neue Stadt, neues Zuhause, neuer Lebensabschnitt. Manches sei zu Beginn ziemlich ungewohnt gewesen. Doch das Ziel der beiden war schon immer klar: Fußballprofi werden. Eigentlich leben sie schon wie richtige Profis, nur kicken sie eben derzeit in der Oberliga Baden-Württemberg und nicht in der zweiten Bundesliga. Fünf bis sechs Mal in der Woche ist hier Training angesagt, inklusive Krafttraining und Physiotherapie. Die meisten absolvieren dazu noch eine Ausbildung, um notfalls ein zweites S 28 04 Standbein zu haben. So auch Linus. Noch vor dem Frühstück lernt er morgens für seine Ausbildung zum Fitnesstrainer auf Fernstudiumbasis. Eine ganz normale Jugend? Für Linus begann das “Projekt Profi” schon im Kindesalter. Während in seiner Teenagerzeit Gleichaltrige die erste Freundin hatten, das erste Mal Alkohol tranken oder auf Partys gingen, hatte Linus nur eines im Sinn: Fußball. Vier bis fünf Mal in der Woche auf dem Platz, dazu der weite Weg von seiner Heimatstadt Darmstadt nach Mainz. Aber auch die Schule durfte er nicht ver­nachlässigen. Jedes zweite Wochenende saß er im Mannschaftsbus und fuhr durch die ganze Republik, um sich mit den besten Teams seines Jahrgangs zu messen. Eine ganz normale Jugend – wie andere zu seiner Zeit – hatte er nicht. „Ich musste verzichten“, erinnert er sich zurück, „und mich voll und ganz auf den Fußball einstellen.“ Lange wegbleiben, Nächte durchmachen – das alles sei nicht möglich gewesen, da er am nächsten Morgen wieder beim Training sein musste. Doch als negativen Aspekt seiner Laufbahn sieht Linus das nicht: „Ich bin zufrieden und bereue es nicht.“ S Talente werden heute früh erkannt Inzwischen ist Linus 20 Jahre alt, Tim noch ein Jahr älter. Beide wissen, sie befinden sich in der wichtigsten Phase ihrer Karriere. Wer in Deutschland Profi werden will, muss sich in den Jahren zwischen 17 und 22 beweisen. Mario Götze, Marco Reus, Mesut Özil; drei Weltmeister und drei Spieler, die vor oder mit Anfang 20 ihren Durchbruch in der Bundesliga feierten. Karrieren, wie die des heutigen U21-Nationaltrainers Horst Hrubesch sind inzwischen undenkbar. Der 64-Jährige, der zu seiner Zeit erst mit 24 Jahren entdeckt wurde, ist der Meinung, dass schon im frühen Alter kaum ein Talent mehr übersehen werden könne. „Die berühmte Ausnahme wird es immer geben. Aber zu 99,9 Prozent sage ich: Aufgrund unseres Programms und der Qualität unserer Trainerausbildung gibt es keinen talentierten Spieler, den wir nicht kennen.” Tim und Linus gehören zu den 99,9 Prozent, die erkannt wurden. Dennoch ist der Druck hoch. Nicht selten können Unsicherheit und Ängste das Leben vieler Talente bestimmen. Auch Linus macht sich manchmal darüber Gedanken, was wäre, wenn es mit dem Fußball nicht klappen sollte. Aber er weiß, dass Höhen und Tiefen zum Sport dazu gehören. 29