Leopoldina aktuell 4_2021 | Page 7

4 / 2021 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 7
Ralf Bartenschlager ML
Leiter der Abteilung Molekulare Virologie an der Universität Heidelberg und Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg . Der Virologe erforscht die Interaktion zwischen Viren und ihren Wirtszellen .
Foto : Universitätsklinikum Heidelberg
Bartenschlager : Die nächste Pandemie kommt bestimmt , doch wir wissen nicht , was sie auslöst . Es gibt aber Virusgruppen wie beispielsweise Influenzaviren , die ein besonders hohes Potenzial haben , eine Pandemie auszulösen . Anstatt mit der Suche nach Wirkstoffen immer wieder von vorne anzufangen , sollte man etwas entwickeln , das möglichst breit zum Beispiel über eine Virusgruppe hinaus funktioniert . Bisher war die Strategie immer so : Man entwickelt einen Wirkstoff , der hochspezifisch gegen einen Erreger wirkt . Der hat die besten Chancen auf geringe Nebenwirkungen , aber keine Breitbandwirkung . Mit einem Breitbandwirkstoff könnten wir aber bei der nächsten Pandemie , die eventuell durch Influenzaviren verursacht wird , sofort reagieren und zumindest die kritischen Fälle rasch therapeutisch behandeln . Rübsamen-Schaeff : Ziel müsste sein , mehrere solche Breitband-Virostatika zu entwickeln , um sie möglichst schnell auf das spezifische Virus , das dann auftritt , testen und später optimieren zu können . Das ist eine Gesundheitsvorsorge , für die es staatliche Unterstützung braucht . Die Politik muss sich bewusst machen , dass die Bekämpfung einer Pandemie auch eine Frage der inneren Sicherheit ist .
Hat sich dieser Ansatz , verstärkt auf breit wirksame antivirale Wirkstoffe zu setzen , durchgesetzt ? Bartenschlager : In der Wissenschaft gibt es diese Idee schon lange , in der Politik noch nicht . Ein Grund ist : Wenn ich etwas erforsche , von dem ich nicht weiß , ob ich es jemals brauche , ist es schwer , dafür eine Forschungsförderung zu bekommen . Ich sehe das deswegen als eine hoheitliche Aufgabe an : Es braucht einen finanziellen Anreiz des Staates , damit sich Hochschulen und Industrie engagieren . Nur dann kann man einen Wirkstoffkandidaten bis zur ersten Testung im Menschen in einer Phase-I-Studie entwickeln . Rübsamen-Schaeff : Wenn man von der Phase I spricht , meinen manche , dies sei nur eine einzige Studie . Tatsächlich muss man aber mehrere Phase-I-Studien machen , um zu klären , wie der Wirkstoff beispielsweise verstoffwechselt wird , wie er ausgeschieden wird oder ob er Wechselwirkungen hat – alles Fragen , auf die man Antworten geben muss , will man eine Substanz bei einem neuen Virus einsetzen . Damit sich die Pharma- und Biotechfirmen engagieren , muss der Staat Gelder bereitstellen . Die USA haben zum Beispiel für die Erforschung und Entwicklung von Medikamenten gegen SARS-CoV-2 in diesem Sommer 3,2 Milliarden US-Dollar freigegeben .
Verbessert werden muss bei der Wirkstoffentwicklung auch das Zusammenspiel zwischen der akademischen Welt und der Industrie . Wo müsste man als Erstes ansetzen ? Rübsamen-Schaeff : Es wäre hilfreich , wenn erfahrene Leute aus der Industrie an den Universitäten tätig wären , um zu erklären , wie der Entwicklungsprozess eines Medikaments abläuft . Dieses Spezialwissen ist bei vielen akademisch Forschenden nur in Ansätzen vorhanden . Notwendig wäre auch ein Entscheidungsgremium unter Beteiligung der Industrie , das festlegt , welche Projekte der Wirkstoffentwicklung der Staat prioritär fördert und deren Produktion sicherstellt . Die Industrie wäre sicherlich bereit in diesen Prozess einzusteigen , wenn die Hochschulen die Grundlagenarbeit
Helga Rübsamen-Schaeff ML
Gründungsgeschäftsführerin und Mitglied des Aufsichtsrats der AiCuris Anti-infective Cures AG , Wuppertal . Die Chemikerin und Virologin leitete lange Zeit die Antiinfektiva-Forschung der Bayer AG in Leverkusen .
Foto : Markus Scholz | Leopoldina
leisten und anschließend die Testung am Menschen ansteht . Bartenschlager : Was es braucht , ist ein klares Bekenntnis seitens der Politik : Investitionen zum Beispiel in ein virtuelles Netzwerk von Universitäten und Forschungseinrichtungen , da es für Virengruppen mit Pandemiepotenzial unterschiedliche Expertisen und Infrastrukturen braucht . Dieses Netzwerk müsste verbunden werden mit Partnern aus der Industrie , insbesondere für die Medizinalchemie . Liegen Ergebnisse aus Pilot- und Machbarkeitsstudien vor , braucht es Zentren der klinischen Forschung , die entweder an akademischen Instituten oder an Firmen angesiedelt sein können . Spätestens ab dieser Phase , wenn die Substanz am Menschen getestet wird , sind Strukturen für die Durchführung klinischer Studien notwendig . Eine solche Studienlandschaft haben wir in Deutschland nur rudimentär , das hat sich in der Pandemie gezeigt .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE BENJAMIN HAERDLE
Ad-hoc-Stellungnahme „ Antivirale Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 “