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14 4 / 2021 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„ Korea ist stark in neuen Technologien “

Informatiker Alexander Waibel ML bei Diskussion von Koreanischer Akademie und Leopoldina
Ende November haben die Koreanische Akademie der Wissenschaften und Technologie KAST und die Leopoldina gemeinsam eine virtuelle Diskussion organisiert . Thema war die Erforschung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz ( KI ) sowie ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft . Im Interview äußert sich dazu Alexander Waibel ML , der die Leopoldina in der Diskussion vertrat .
Wie ist das Verhältnis der Menschen in Südkorea zur Technologie ? Alexander Waibel : Wie die Menschen in anderen asiatischen Ländern auch ist man sehr technikaffin und diskutiert weniger über die negativen Folgen . Korea ist besonders stark in der Umsetzung neuer Techniken . Zum Beispiel hat das Land eine eigene Suchmaschine , die dort Marktführer ist – das gibt es in der gesamten Europäischen Union ( EU ) nicht , bei uns wird alles von Google dominiert .
Auf welchem Gebiet der Künstlichen Intelligenz arbeiten Sie persönlich ? Waibel : Ich entwickle Systeme zur automatischen Simultanübersetzung . In dieser Forschung ist die EU führend , weil es bei uns 24 offizielle Sprachen gibt . Bisher war die Sprache Europas immer ein gebrochenes Englisch . Mit unserer Technik kann jede und jeder in seiner eigenen Sprache reden , und alles wird automatisch übersetzt .
Nun haben Sie diese Technik an die USamerikanische Firma Zoom verkauft ? Waibel : Dabei ging es um eine unserer Ausgründungen , die Firma Kites . Durch den Zusammenschluss können wir unsere Technik weltweit skalieren , um so den Traum einer Welt ohne Sprachbarrieren Realität werden zu lassen .
Warum werden solche Entwicklungen nicht auch in Deutschland marktfähig gemacht ? Waibel : In Europa stellen wir uns häufig selbst ein Bein und schaffen den Trans- fer nicht . Es mangelt in Deutschland immer noch an Risikobereitschaft . Ich gebe Ihnen ein Beispiel : In Leipzig ist die Bundesagentur für Sprunginnovationen gegründet worden . Woher kommt dieser Begriff ? Er soll eine deutsche Übersetzung für „ disruptive research “ sein . Aber es fehlt der Aspekt der Zerstörung . Disruption bedeutet ja , dass man auch irgendetwas kaputt macht . Wenn wir innovative Sachen machen , dann muss es den alten Industrien helfen . In Amerika und auch in Asien sagt man dagegen : Ist doch egal , ob eine alte Industrie draufgeht , solange eine neue , bessere entsteht .
Leopoldina-Mitglied Alexander Waibel ist Professor für Computer Science an der Carnegie Mellon University / USA und am Karlsruher Institut für Technologie . Sein Forschungsinteresse gilt der Spracherkennung und dem maschinellen Lernen .
Foto : Markus Scholz | Leopoldina
Andere KI-Techniken sind problematischer als Ihre . Wie sehen Sie die Diskussion diesseits und jenseits des Atlantiks ? Waibel : Das ist natürlich immer wieder die alte Geschichte : dass man in Deutschland eher zur Bedenkenträgerei neigt . In den USA wird grundsätzlich pragmatischer diskutiert , auch wenn es um negative Folgen der Technik geht . Also nicht : Werden die Maschinen die Kontrolle über uns übernehmen ? Sondern : Welche Folgen hat die Technik für Arbeitsplätze , was ist mit militärischen Anwendungen , Cyberattacken und der Manipulation von
Menschen durch soziale Netzwerke wie Facebook ?
Aber hat nicht auch die europäische Datenschutz-Diskussion die kritische Debatte in den USA befeuert ? Waibel : Teilweise glaubt man in den USA schon , dass die Europäer mehr Mut haben gegenüber den großen Konzernen und dann auch regulativ eingreifen . Aber viele denken auch , dass man in Europa immer nur kritisiert , aber nie etwas Eigenes auf die Beine bringt . Man kann ja nicht immer nur die Sachen der anderen kaufen und sie dann kritisieren .
Welcher Aspekt der Künstlichen Intelligenz macht Ihnen persönlich Sorgen ? Waibel : Das , was ich die Illusion des Menschlichen nenne : Die KI-Systeme geben sich uns gegenüber als fast menschliche Wesen aus , sie erzeugen Illusionswelten , die wir gar nicht mehr durchschauen oder von der Realität trennen können . Das fängt bei Kindern mit Videospielen an und geht weiter mit Facebook , Instagram und TikTok . Das führt zu Einsamkeit , aber auch zu Uneinigkeit in der Gesellschaft , weil sich Drama und extreme Inhalte besser verkaufen lassen .
An welchem Zukunftstrend arbeiten Sie ? Waibel : Wir versuchen , maschinelles Lernen kreativer zu machen . Heute muss eine Maschine noch riesige Datenmengen verarbeiten , um überhaupt intelligent handeln zu können . Das muss ein Mensch nicht . Wir lernen zudem inkrementell : In fast allen Sprachen der Welt gibt es den Ausdruck „ wir schlafen mal darüber “. Denn während des Schlafs verarbeitet unser Gehirn neue Eindrücke und integriert sie mit dem bereits vorhandenen Wissen , und am nächsten Morgen können wir das Problem besser lösen . Und so etwas versuchen wir mit unserem System tatsächlich zu bauen .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH DRÖSSER