Leopoldina aktuell 3_2021 | Page 10

10 3 / 2021 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„ Die Gesellschaft muss mitbestimmen “

Leopoldina-Mitglied Johannes Buchmann im Gespräch zu „ Digitalisierung und Demokratie “
Digitalisierung und Demokratie ‒ zu diesem Thema hat die Leopoldina gemeinsam mit acatech ‒ Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme veröffentlicht sowie mit den Nationalakademien Israels und der USA das Symposium „ Digitization and Democracy “ durchgeführt . Beide Aktivitäten hat Leopoldina-Mitglied und Informatiker Johannes Buchmann mit vorangetrieben .
Die Kritik an den großen Internet-Plattformen ist nicht neu . Was hat die Wissenschaft da beizutragen ? Johannes Buchmann : Erstens wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihrer Expertise untersuchen , was an der Kritik wirklich dran ist . Und dann geht es nicht nur um Kritik , sondern auch um die Chancen , die die Digitalisierung für die Demokratie bietet . Auf der Basis dieser Analyse haben wir einige Handlungsempfehlungen gegeben .
Sie haben erstmals auch ein trilaterales Symposium organisiert mit den Nationalakademien der USA und Israels – beides sehr technikfreundliche Nationen . Wie war deren Haltung ? Buchmann : Deren Beiträge waren noch deutlich kritischer als unsere . Cynthia Dwork von der Harvard University zum Beispiel hat gesagt : „ Das Boot sinkt , und es kommt darauf an , ein paar Rettungsboote ins Wasser zu lassen .“ Wir nehmen diese Befürchtungen ernst und machen aussichtsreiche Lösungsvorschläge .
Das Internet hat man 25 Jahre praktisch unreguliert laufen lassen . Ist es jetzt Zeit , gesetzgeberisch die Zügel anzulegen ? Buchmann : Wir müssen die Kuratierungsstrategien der Plattformen , also die Auswahlstrategien für die Nachrichten , die Sie zu sehen bekommen , anschauen , weil es einen Widerspruch gibt zwischen dem Ziel , die Menschen
Johannes Buchmann : Co-Sprecher der Arbeitsgruppe „ Digitalisierung und Demokratie “ und Mitglied im Scientific Commitee des Symposiums „ Digitization and Democracy “.
Foto : Katrin Binner
möglichst gut zu informieren , und der aufmerksamkeitsgesteuerten Ökonomie der Plattformen , die vielleicht sensationelle oder sogar falsche Nachrichten bevorzugt . Wir wollen keine Zügel anlegen , sondern demokratisch legitimierte Aufsichtsgremien für die Plattformen schaffen . Ähnlich wie die Rundfunkräte , die es seit langem gibt .
Das ist eine Forderung an den europäischen Gesetzgeber . Aber werden sich international operierende US-amerikanische Unternehmen davon beeindrucken lassen ? Buchmann : Wir sehen an der europäischen Datenschutz-Grundverordnung ( DSGVO ), dass unsere Regelungen international wirken . Das haben die internationalen Gesprächspartnerinnen und -partner bei unserem Symposium bestätigt . Was Europa tut , ist nicht irrelevant .
Und die DSGVO ist nicht ausreichend , um etwa die Transparenz der Algorithmen in den sozialen Medien durchzusetzen ? Buchmann : Die Stellungnahme plädiert für neue Gesetze , insbesondere eben die Einrichtung von Oversight Boards . Diese Gremien können und sol- len dazu beitragen , die Plattformen demokratiefreundlicher zu gestalten .
Eine Forderung ist , dass die öffentlichrechtlichen Sender mehr im Internet aktiv werden dürfen . Verleger von Printmedien werden das nicht gern hören . Buchmann : Die öffentlich-rechtlichen Sender sind eine gigantische Ressource , nicht nur finanziell . Sie sind auch eine Autorität für verlässliche Informationen , die wir digital weiterentwickeln müssen .
Die Nutzerdaten der Plattformen können für die Wissenschaft interessant sein . Sie fordern , dass die sozialen Netzwerke diese Daten zur Verfügung stellen . Facebook hat schon seit einigen Jahren ein Verfahren dafür – wie läuft das ? Buchmann : Die Kolleginnen und Kollegen , die damit Erfahrungen gemacht haben , finden es völlig unbefriedigend . Vor allem weil Facebook und die anderen Plattformen die Regeln selbst machen . Angesichts der Bedeutung solcher Forschung für die Demokratie muss die Gesellschaft mitbestimmen können .
Welche Chancen bietet denn die Digitalisierung für die Demokratie ? Buchmann : Es gibt eine Menge toller Initiativen . Etwa die Open Data Community , die sich für den offenen Zugang zu gesellschaftlich wichtigen Daten einsetzt , oder journalistische Initiativen , die mit diesen Daten aufklärerisch arbeiten . Diese Entwicklungen müssen systematisch unterstützt werden . Digitalisierung ist unverzichtbar für die Demokratie .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH DROESSER
Stellungnahme „ Digitalisierung und Demokratie “
Symposium „ Digitization and Democracy ”