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2 / 2021 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 7
Jochen Taupitz ML
Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches , Europäisches und Internationales Medizinrecht , Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim . Er befasst sich insbesondere mit dem Medizin- und Gesundheitsrecht . Foto : privat
lang nur verworfen werden oder – allerdings ohne genaue rechtliche Vorgaben – für andere Kinderwunsch-Paare gespendet werden . Eine dritte , in vielen Ländern mögliche Option , solche Embryonen für hochrangige Forschungsziele zur Verfügung zu stellen , besteht derzeit nicht . Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind infolgedessen weithin auch von der Erarbeitung internationaler Standards ausgeschlossen . Selbst in Fällen , in denen das geltende deutsche Recht einer Kooperation nicht entgegenstünde , führen Ängste in- und ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Strafbarkeit nicht selten dazu , Kooperationen von vornherein nicht ins Auge zu fassen . Dem Forschungsstandort Deutschland fügt dies erheblichen Schaden zu .
Im Ringen um einen angemessenen Umgang mit menschlichen Embryonen außerhalb des menschlichen Körpers treffen nach wie vor sehr unterschiedliche Positionen aufeinander . Allerdings ist ein zentrales Merkmal liberaler Gesellschaften die Toleranz gegenüber unterschiedlichen ethischen Auffassungen und die Suche nach politischen Kompro-
Claudia Wiesemann
Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen . Sie forscht unter anderem zu Elternschaft und Familie in der Fortpflanzungsmedizin sowie zu Autonomie und Vertrauen in der modernen Medizin .
Foto : Philip Bartz | Leopoldina
missen . Vor diesem Hintergrund sollte Forschung an frühen Embryonen in vitro , also außerhalb des menschlichen Körpers , die für Fortpflanzungszwecke erzeugt wurden , aber dafür keine Verwendung mehr finden , im Einklang mit internationalen Standards und innerhalb bestimmter Grenzen erlaubt werden . Die Erlaubnis zur Forschung sollte dabei ausschließlich für hochrangige Forschungsziele gelten , die dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung und der Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer , präventiver oder therapeutischer Verfahren dienen . Ebenfalls sollte die Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen zur Verwendung für hochrangige Forschungsziele ermöglicht werden . Die Hochrangigkeit des jeweiligen Forschungsprojekts sollte durch ein eigens dafür geschaffenes Gremium überprüft werden .
Die Entscheidungshoheit darüber , ob überzählige Embryonen für die Forschung zur Verfügung gestellt werden , sollte bei dem Paar liegen , von dem sie stammen . Im Vorfeld sollte eine unab-
hängige Beratung stattfinden , damit die Betroffenen eine informierte Entscheidung treffen können .
Zudem sollte für die Verwendung überzähliger Embryonen für Forschungsprojekte ein gesetzliches Regelwerk entwickelt werden , welches die Rahmenbedingungen für deren Verwendung festsetzt . Dabei könnte eine Bundesbehörde im Zusammenwirken mit einer Ethikkommission im Einzelfall über die Zulässigkeit des Vorhabens entscheiden – vergleichbar mit der Befugnis des Robert Koch-Instituts und der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung ( ZES ), wie sie im Stammzellgesetz geregelt ist . Ziel muss es dabei sein , die Hochrangigkeit der Forschungsvorhaben sicherzustellen und ein Monitoring der Forschung mit Embryonen zu ermöglichen , wie es etwa die britische Human Fertilisation and Embryology Authority ( HFEA ) auf beispielhafte Weise umsetzt . Zugleich würde Transparenz – auch im Interesse eines informierten gesellschaftlichen Diskurses – hergestellt . Eine entsprechende Neuregelung würde deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch die Möglichkeit geben , sich an entsprechenden internationalen Forschungsprojekten zu beteiligen .
Der neue Regelungsrahmen sollte auch die aktuellen und sich wissenschaftlich bereits abzeichnenden Entwicklungen berücksichtigen , wie beispielsweise die Herstellung embryoähnlicher Strukturen („ Embryoide “) oder von Embryonen , die aus in vitro hergestellten Keimzellen erzeugt werden . Darüber hinaus sollten gesetzliche Überprüfungs- und Berichtsfristen vorgesehen werden , um auf neue Entwicklungen reagieren zu können .
* Jochen Taupitz ist einer der beiden Sprecherinnen und Sprecher der Akademien- Arbeitsgruppe „ Gestaltung eines zeitgemäßen Embryonenschutzes in Deutschland “, Claudia Wiesemann eines ihrer Mitglieder .
Gemeinsame Stellungnahme „ Neubewertung des Schutzes von In-vitro- Embryonen in Deutschland “