GEDENKPRAKTIKEN
Einer von vielen umstrittenen Erinnerungsorten in Kyjiw: Das sowjetische »Denkmal der Völkerfreundschaft« wurde
einst zum Gedenken an die Freundschaft zwischen den »Brudervölkern« der Ukrainer und Russen eröffnet. Nicht weit
davon entfernt, in der Instytuts'ka Straße, hängt heute ein großes Banner mit der Aufschrift »Russland hat hier den Krieg
begonnen«. Es wurde zum sechsten Jahrestag der Majdan-Ereignisse angebracht.
Gedenken und Gegengedenken
In der gesamten Ukraine finden auf Grundlage
eines Präsidentenerlasses jedes Jahr zwischen
dem 18. und 20. Februar Gedenktage statt: To-
tenmessen, Informationsveranstaltungen, Blü-
tenumzüge, das Leuchten der 107 »Strahlen der
Würde« sowie das Anhängen von Papierengeln
sind übliche Gedenkpraktiken, welche auch
außerhalb der Ukraine ausgeübt werden. Seit
Ende 2019 versuchen einige AkteurInnen, die
Himmlische Hundertschaft zu deheroisieren.
In vorderster Linie steht Olena Lukasch, die bis
InfoEuropa
Februar 2014 Justizministerin der Ukraine war.
Sie verortet Fehlerhaftigkeit in der HeldInnen-
liste und kritisiert die künstliche Erschaffung
des Mythos. So will sie die Namen jener, deren
Tod sich nicht direkt mit den Schüssen am Maj-
dan in Verbindung bringen lassen, aus den Rei-
hen der Himmlischen Hundertschaft streichen.
Die Forderung nach einer Einteilung in unter-
schiedliche Opfergruppen hängt für Lukasch
auch mit der Frage zusammen, inwiefern An-
gehörige finanzielle Entschädigung und soziale
Privilegien erhalten sollen. Mit dem Wechsel der
politischen Elite könnte schließlich auch der
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