O STG A L I Z I E N
tigen Boulevards und die kreative Atmosphäre
nur unechte Kulisse wären. Trotzdem lebt man
gerne für den Mythos. Und für HeldInnen stellt
man Denkmäler auf. Eine zeitlang hat man in
Lemberg sogar ernsthaft über ein Franz-Joseph-
Denkmal nachgedacht. Man hat es aber dann
doch beim Masoch-Café belassen.
In Czernowitz, der Hauptstadt des ehemali-
gen Kronlandes Bukowina, war man entschlos-
sener. Dort steht in einer kleinen Parkanlage
unweit des Stadtzentrums ein Denkmal für den
österreichischen Kaiser, in dessen fast siebzig-
jähriger Regierungszeit Lemberg und Czernowitz
einen Aufschwung erlebt haben. Von demselben
Bildhauer entworfen, weist er sogar eine starke
stilistische Ähnlichkeit mit dem Lemberger Sa-
cher-Masoch-Denkmal auf.
umzustylen. Chmelnyzkyj, der sich Mitte des
17. Jahrhunderts in einem Standes- und Religi-
onskrieg gegen Polen auf ein Bündnis mit dem
russischen Zaren eingelassen hat, wurde in der
sowjetischen Geschichtsschreibung das Ver-
dienst zugeschrieben, das ukrainische Volk mit
dem russischen »wiedervereinigt« zu haben.
Aus unbekannten Gründen ist das Projekt nicht
zustande gekommen. Die Sobieski-Statue war
trotzdem schnell weggeräumt und nach Polen
verschickt worden – noch bevor Lenin den Platz
direkt vor der Oper einnahm.
Neue Heldenzeit
Nach dem Zerfall der Sowjetunion verschwan-
den die Lenins und sonstigen KommunistInnen
von der Bühne. Parallel zur k. u. k. Nostalgie ent-
stand ein neues ukrainisches Heldenpantheon:
Unabhängigkeitskämpfer, Nationalistenanfüh-
rer, alte galizische Fürsten, Opfer der Euromaj-
dan-Proteste. Auch der andauernde ukrainisch-
russische Krieg im Donbas wird seine HeldInnen
hervorbringen.
Leopold von Sacher-Masoch hat mit der ak-
tuellen politischen Entwicklung nichts zu tun.
Mit Lemberg im Allgemeinen auch nicht wirk-
lich viel. Er kam zwar 1836 in Lemberg zur Welt,
wo sein Vater Polizeidirektor war. Doch bereits
1848 zog die Familie, die ein Haus in der Serbska
Straße gegenüber dem heutigen Masoch-Café
bewohnte, nach Prag um. 1870, als Sacher-Ma-
sochs bekannteste Novelle »Venus im Pelz« ver-
öffentlicht wurde, war für ihn das Kapitel Lem-
berg längst abgeschlossen.
Jede Zeit produziert eigene Helden, kann sich
aber auch auf Helden aus der Vergangenheit
zurückbesinnen oder andere von ihrem Podest
stürzen. In Ostgalizien, das im 20. Jahrhundert
nicht weniger als sechs Machtwechsel erlebt
hat, war dies öfter der Fall. Das k. u. k. Pantheon
ist in der Zwischenkriegszeit, als Ostgalizien ein
Teil Polens wurde, verschwunden und durch die
polnische Variante der Heldenverehrung ersetzt
worden. Auch wenn die kurzlebige Westukraini-
sche Volksrepublik nach dem Ende des Ersten
Weltkrieges und drei Jahre deutscher Besatzung
im Zweiten Weltkrieg denkmaltechnisch kaum
Spuren hinterlassen hatten, fing die Sowjetuni-
on nach dem Kriegsende sofort an, ihr eigenes
Weltbild in Stein zu meißeln. Unzählige Lenins
für jede Kleinstadt sowie Statuen von kommu-
nistischen Funktionären und Schriftstellern
wurden produziert, ideologisch »fremde« Hel-
den verschwanden dagegen aus dem Stadtbild.
Dieses Schicksal ereilte auch das Reiter-
denkmal von Jan III. Sobieski, der in der Nähe
von Lemberg geboren wurde und dessen Fami-
lie ein Haus auf dem Marktplatz besaß. Es stand
seit Ende des 19. Jahrhunderts auf der Lember-
ger Flaniermeile, an deren nördlichem Ende ein
paar Jahre später die prächtige Oper entstand.
Der polnische König, der im September 1683
die Türken vor den Toren des belagerten Wiens
vernichtend geschlagen hatte, stand auch in
Österreich als »Türkenbefreier« hoch im Kurs.
Die Sowjets konnten jedoch einen Vertreter des
Königshauses nicht auf ihren Straßen dulden.
Zunächst gab es die Idee, Sobieski zum ukrai-
nischen Kosakenhetman Bohdan Chmelnyzkyj
Die HeldInnen der Anderen
InfoEuropa
Juri Durkot, geb. 1965 in Lemberg
(Lwiw), studierte Germanistik an den
Universitäten Lemberg und Wien. Anfang
der 90er-Jahre arbeitete er als freier
Journalist mit österreichischen Zeitungen
zusammen (Die Presse, Wiener Journal).
Von 1995 bis 2000 war er Pressesprecher
der ukrainischen Botschaft in Deutsch-
land. Seit Ende 2000 ist Durkot als freier
Journalist, Publizist, Übersetzer und
Produzent tätig. Für die Übersetzung des
Romans Internat von Serhij Zhadan (Suhrkamp) wurden die
ÜbersetzerInnen Juri Durkot und Sabine Stöhr 2018 mit dem
Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.
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