IDM-INTERVIEW
Inwiefern war »der Westen« ein Referenz-
punkt für diese KünstlerInnen? Welche Rolle
spielte Österreich?
AL: Man konnte zwei Tendenzen beob-
achten: Ein Teil der Szene hat sich von Anfang
an sehr stark am Westen orientiert, vor allem
an London oder New York. Manche hatten bei-
spielsweise kein Interesse an einer Kooperati-
on zwischen Budapest und Wien. Da hätte man
eher aus London kommen müssen als aus Graz.
MM: Man muss sich vorstellen, dass da-
mals viele KünstlerInnen überhaupt nicht rei-
sen konnten. Wir arbeiteten mit einer Genera-
tion zusammen, die so gut wie nie die Chance
hatte auf eine Biennale nach Venedig zu fahren.
Wir haben unglaublich viele Visa-Verfahren be-
gleitet, Einladungen ausgestellt, das wurde sehr
geschätzt. Österreichische Institutionen wie die
unsere halfen dabei, dass KünstlerInnen reisen
konnten. Das hat sich natürlich massiv zum Gu-
ten verändert.
Inwiefern hat sich die Rolle österreichischer
Institutionen wie < rotor > gewandelt?
AL: Das Verlangen nach internationalen
Kontakten hat sich mit der Zeit etwas verlagert.
In den letzten Jahren ist das Interesse, regional
zusammenzuarbeiten wieder größer geworden.
Wir selbst glauben, dass die Zusammenarbeit re-
gional auf eine andere Art möglich ist als wenn
man über den Globus verstreut ist. Der Aus-
tausch lässt sich nachhaltiger pflegen. Neben-
bei ist der finanzielle Aufwand geringer und der
ökologische Fußabdruck besser.
MM: Auch das Interesse von internati-
onalen Playern im Südosten Europas hat sich
massiv verändert. Institutionen wie das Soros
Center oder die Schweizer Pro Helvetia haben
früher eine enorme Rolle in der Etablierung von
Kunstzentren gespielt. Im sozialen Bereich sind
sie zwar noch aktiv, aber in der zeitgenössischen
Kunstproduktion haben sie sich vielfach zu-
rückgezogen.
Mit dem EU-Beitritt haben sich auch die För-
dermöglichkeiten verändert. Damit stieg aber
auch der Druck zur Professionalisierung. Wie
hat sich diese Neuorientierung auf die Kunst-
szene ausgewirkt?
AL: Natürlich haben sich erstmal vie-
le Möglichkeiten aufgetan. Seit mehr als zehn
Jahren nehmen wir an Programmen wie ERAS-
MUS+ und Creative Europe teil. Das bringt viele
wertvolle Erfahrungen. Die Anforderungen sind
aber teilweise auch sehr komplex. Gerade klei-
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nere Organisationen stoßen im Prozedere (An-
suchen, Abrechnungen, Aufzeichnungspflicht
etc.) an ihre Grenzen.
MM: Die EU ist aber auch nichts Stati-
sches. Gerade im Bereich der Co-Finanzierung
haben sich die Förderprogramme sehr zum Po-
sitiven verändert.
Oft heißt es: Wer zahlt, schafft an. Gilt das
auch für die EU?
AL: Natürlich sind die KünstlerInnen ver-
leitet, gewissen Logiken der Europäischen Uni-
on zu folgen.
MM: Wir versuchen aber Formate zu ent-
wickeln, die davon unabhängig von künstleri-
schen Überlegungen inspiriert sind.
AL: Wir versuchen vor allem die Projek-
te mit unseren Partnern vor Ort gemeinsam zu
entwickeln. Ein Land wie Österreich exportiert
gerne fertige Kulturprojekte. Unserer Meinung
nach können die Mittel noch besser verwendet
werden, wenn gemeinsam etwas erarbeitet wird.
Das allein hat viel mit der Förderlogik zu tun.
MM: Aus Österreich kommend haben wir
finanzielle Vorteile. Dessen muss man sich be-
wusst sein, um dann auf Augenhöhe zu agieren.
Andererseits können wir gerade aktuell wieder
eine lebenserhaltende Rolle in der Region spie-
len, indem wir versuchen, Menschen, die eine
oppositionelle Haltung haben, bzw. ihre Kunst-
institutionen zu unterstützen.
Das bringt uns zum Thema Erinnerungskul-
tur. Kann und soll die künstlerische Ausein-
andersetzung im Konflikt unterschiedlicher
Geschichtsauffassungen helfen? Kann Kunst
versöhnlich sein?
AL: Kunst hat das Potential, Menschen
auf eine Weise zu treffen, die über die bloße
Wahrnehmungsebene hinausgeht. Ein gutes
Kunstwerk kann in der Lage sein, Leute intellek-
tuell wie auch emotional zu berühren.
MM: Als AusstellungsmacherInnen ist
für uns die Gegenüberstellung von Kunstwerken
spannend. Es gibt ja meistens nicht nur eine Er-
zählung von Geschichte. Kunst muss nicht ver-
söhnen, kann aber zu gegenseitigem Verständ-
nis führen.
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