Interaktiv - Das Kundenmagazin des Fraunhofer IPA 3.2016 | Page 30

16 Interview interaktiv 3 | 2016
Der Be wegungsapparat ist bei denen , die noch berufstätig sind , vermehrt in Gefahr oder bereits geschädigt . Gleiches gilt für Menschen im Ruhestand . Das wirkt sich in unserem Institut auf die Medizintechnikentwicklung und -forschung im Bereich der Pflege und Assistenz aus , und zwar sowohl auf die Person , die gepflegt wird , als auch auf die Person , die pflegt . Unser Beitrag bezieht sich hier auf die Erforschung und Entwicklung technischer Lösungen zur Unte rstützung selbstständigen Lebens , sprich Autonomie älterer Menschen , und zur Über nahme schwerer Arbeiten , die beim Pflegepersonal wegfallen würden .
Ein weiterer Fokus liegt auf beschleunigter Diagnostik und neuen OP-Techniken .
» Die Revolution besteht darin , an der Quelle Daten erheben zu können .« Andreas Traube
Verlagert sich durch die neuen Einblicke und das Verständnis in die Zusammenhänge der Medizin die Therapie immer mehr von der reinen Bekämpfung der Symptome hin zu einer zielgerichteten Bekämpfung ?
Andreas Traube : Exakt . Das ist ganz klar das Ziel . Gerade bei komplexen Erkrankungen , deren Behandlungen sehr teuer sind und die Krankenkassen belasten , soll dieser Mechanis mus Anwendung finden . Um zwei Beispiele zu nennen : rheumatoide Arthritis und Antikörpertherapien . Letztere sind nur in wenigen Fällen wirksam , kosten jedoch extrem viel . Und genau das belastet heutzutage das Gesundheitssystem .
Dr . Urs Schneider : Ein wichtiger Aspekt ist , dass man spezifischer diagnostizieren und damit auch spezifischer behandeln kann , vor allem in der frühen Phase einer Erkrankung .
Fünf Schwerpunkte haben Sie am Fraunhofer IPA im Ge schäfts - feld Medizin- und Biotechnik definiert : personalisierte Medizin , beschleunigte Diagnostik , neue OP-Techniken , Lebensqualität bis ins hohe Alter sowie Entlastung von Pflegepersonal . Warum sehen Sie genau darin Potenzial ?
Dr . Urs Schneider : Nehmen wir die beiden letzten Punkte . Fakt ist : Mit unserer alternden Gesellschaft nimmt die Rate an chronischen Erkrankungen zu . Allein 50 Prozent der chronischen Erkrankungen sind muskuloskelettaler Natur .
Dr . Urs Schneider : Zu den Themen kann ich sagen , dass wir in Mannheim und Stuttgart neue Ansätze testen , um Abläufe in Krankenhäusern und Kliniken sicherer , schneller und qualitätsdokumentierter zu machen . Denn je schneller ein definierter Arbeitsprozess läuft , umso geringer sind die Infrastruktur - kosten . Stichwort OP-Minute . Auch hier gibt es Beispiele , die zeigen , dass unsere Forschungsarbeit lange Tradition hat . So haben wir bereits vor über zehn Jahren in Pionierarbeit ein OP-Robotersystem , den sogenannten Schädelbohrer , gebaut und in realer Klinikumgebung getestet . Zweites Beispiel : Zu - sammen mit der Firma S . u . A . Martin mit Sitz in Rietheim- Weilheim entwickelten wir eine sichere und schnellere Wirbel - säulenzange für Bandscheibenoperationen , die aktuell in den USA auf den Markt kommt .
Zu den Highlights zählt zweifelsohne auch der Forschungs - campus Mannheim Molecular Inter vention Environment ( M 2 OLIE ). Unsere Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB arbeitet dort zusammen mit anderen Forschungspartnern daran , Tumorerkrankungen in einem Kreislaufprozess an einem Vor mittag diagnostizieren und therapieren zu können .
Andreas Traube : Es geht immer um die Frage der Wirtschaft - lichkeit . Aktuell wird darüber diskutiert , ob das Konstrukt Krankenhaus / Klinik , wie es heute existiert , in Zukunft überhaupt noch lebensfähig ist . Die Überlegungen gehen hier von effizient und dezentral bis hin zu spezialisiert und zentral . Diagnostik-Labors , die als Externe ihre Dienste leisten , könnten demnach wieder ins Krankenhaus zurückkehren . Oder wenn wir immer spezifischer behandeln , wird es mit der Zeit immer differenziertere Therapien geben . Die Ansprüche der Patienten steigen und die Kliniken müssen sich immer mehr spezialisieren . Das ist dann Chance und Chaos in einem .