Interaktiv - Das Kundenmagazin des Fraunhofer IPA 1.2020 | Page 21
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Forscher legen detailliertes
Konzept vor
Ohne Abfall, Abwasser und Abluft: Das Konzept für das
weltweit erste stadtnahe, ultraeffiziente Gewerbegebiet
steht. Wissenschaftler der drei Fraunhofer-Institute IPA,
IAO und IGB haben es gemeinsam mit der Stadt Rhein -
felden (Baden) und den ansässigen Unternehmen erarbeitet.
Es sieht vor, alternative Energiequellen anzuzapfen,
vorhandene Synergien besser zu nutzen und Kreisläufe
zu schließen.
Während das Schweizer Rheinfelden schon im Hochmittelalter
das Stadtrecht verliehen bekam, dauerte es auf der deutschen
Rheinseite noch bis zur Wende zum 20. Jahrhundert, ehe über -
haupt die Voraussetzung für eine größere Siedlung erfüllt war.
Erst nachdem 1898 das Laufwasserkraftwerk fertiggestellt war,
ließen sich in dessen Nachbarschaft energieintensive Industrie -
betriebe nieder und erste Arbeiterwohnungen entstanden.
Das deutsche Rheinfelden war geboren.
Das Laufwasserkraftwerk ist bis heute in Betrieb und könnte
die Stadtentwicklung auch in Zukunft beeinflussen. Denn
zusammen mit mehreren Blockheizkraftwerken und einigen
Photovoltaik-Anlagen produziert es bisweilen mehr Strom als
Stadt und Industrie verbrauchen. »Anstatt den Überschuss -
strom wie bisher ins Netz einzuspeisen oder einfach die Tur -
binen abzuschalten, könnte er künftig im gesamten Stadtgebiet
Ladesäulen für Elektrofahrzeuge mit Energie versorgen«, regt
Ivan Bogdanov an. Gemeinsam mit seinen Kollegen von der
Abteilung Effizienzsysteme am Fraunhofer IPA und weiteren
Wissenschaftlern von den beiden Fraunhofer-Instituten IAO
und IGB hat Bogdanov monatelang das Industriegebiet am
östlichen Stadtrand und ein Gewerbegebiet im Stadtteil Herten
unter die Lupe genommen und überlegt, wie sich Abfall, Ab -
wasser und Abluft möglichst ganz vermeiden lassen.
In enger Zusammenarbeit mit der Stadt und den ansässigen
Unternehmen ist so das Konzept für das weltweit erste stadtnahe,
ultraeffiziente Industriegebiet entstanden. Es enthält
viele praxisnahe Ansätze und deckt alle fünf Handlungsfelder
der Ultraeffizienz ab (siehe Kasten).
Viele Maßnahmenempfehlungen zur Steigerung der Gesamt -
effizienz des Standorts zielen darauf ab, alternative Energie -
quellen anzuzapfen, vorhandene Synergien besser zu nutzen
und Kreisläufe zu schließen. Denn der Abfall des einen ist der
Rohstoff des anderen.
Immer wieder knüpft das Konzept der Forscher an Bestehen des
an. So könnte das Leitungsnetz, über das mehrere Industrie -
betriebe im Osten der Stadt Wasserstoff austauschen, künftig
auch Wasserstofftankstellen im Stadtgebiet versorgen. Sie
könnten dann Autos und Lastwagen mit Brennstoffzellen-
Antrieb betanken.
Dachgewächshäuser auf Fabrikgebäuden
Auch für Kunststoffe könnte es bald einen geschlossenen,
lokalen Kreislauf geben: Ein Hersteller von Kunststoff granu -
laten in Rheinfelden könnte künftig den Kunststoffabfall von
benachbarten Unternehmen verwerten, anstatt wie bisher
Primärrohstoffe von weit her zu beziehen. Ein Medizin technik-
Unternehmen im Stadtteil Herten könnte diese Granulate verwenden,
anstatt sie weiterhin überregional zu beschaffen.
Die fünf Handlungsfelder der
Ultraeffizienz
1. Material – Ressourcenschonend wirtschaften, Stoff -
kreisläufe schließen und so viele Reststoffe wie
möglich weiterverwerten
2. Energie – Regenerative Energiequellen erschließen,
Überschussenergie speichern oder andernorts
sinnvoll verwenden
3. Emissionen – Abfall, Abwasser, Abluft und Lärm
möglichst komplett vermeiden
4. Mensch/Personal – Arbeitswege kurz halten, flexible,
kooperative Arbeitszeitmodelle etablieren, soziale
Einrichtungen in Gewerbegebiete integrieren
5. Organisation – Dienstleistungen und Infrastruktur
unternehmensübergreifend gemeinsam nutzen