Interaktiv - Das Kundenmagazin des Fraunhofer IPA 1.2020 | Page 11
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Der Griff-in-die-Kiste
Ein konkretes Beispiel für eine taktgebende Technologie ist der Griff-in-die-Kiste. Das Exponat wurde regelmäßig auf der Messe Automatica präsentiert. Die IPA-Technologie zeigt exemplarisch den Weg vom Forschungsergebnis zum kaufbaren Produkt bei Liebherr-Verzahntechnik GmbH. Wie der Griff-in-die-Kiste weiterentwickelt wird, zeigt das Fraunhofer IPA auf der Automatica 2020 unter dem Motto »Automatisierung der Automatisierung«.
Ein Roboter fährt seinen Arm über eine Gitterbox mit Schüttgut, verharrt kaum einen Moment, greift hinein, hebt ein Teil heraus, legt es ab, um gleich wieder in dem Haufen chaotisch gelagerter Werkstücke zu verschwinden, Guss-, Stanz- oder Schmiedeteile aus der Kiste zu vereinzeln und in korrekter Lage und Orientierung zur Weiterbearbeitung in einen Werkstückträger einzulegen – bis die Gitterbox leer ist. Hinter dieser so leicht und mühelos erscheinenden Anwendung steckt jahrzehntelange Forschungsarbeit: der Griff-in-die-Kiste.
Das Fraunhofer IPA erarbeitet hierfür bereits seit vielen Jahren Technologien. So meldete das Institut bereits 2007 seine Objekterkennungsverfahren zum Patent an und zeigte eine damit umgesetzte Anwendung ein Jahr später auf der Automatica. Während Griff-in-die-Kiste-Zellen heute verbreitete Exponate sind und auch in Produktionen Einzug halten, war die Roboterzelle des IPA zu dem Zeitpunkt noch eine Seltenheit. Zur gleichen Zeit hatte das Forscherteam um den Griffin-die-Kiste erstmals Kontakt mit der Firma Liebherr-Verzahntechnik.
Als Werner Kraus, heutiger Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme, 2009 mit dem Griff-in-die-Kiste in Berührung kam, sah es wirtschaftlich in Deutschland und der Welt düster aus. Die Finanzkrise hatte deutliche Spuren hinterlassen und der ifo-Geschäftsklimaindex einen Tiefpunkt erreicht. Damals steckten die Technologien für den Griff-in-die-Kiste, vornehmlich effiziente Objekterkennungsverfahren, noch in den Kinderschuhen. Existierende Lösungen wie Vibrationswendelförderer waren nicht ausreichend flexibel.
Oft übernahm deshalb ein Mitarbeiter das Vereinzeln. Dies geschah unmittelbar an der Produktionslinie, war monoton, dreckig und körperlich belastend wegen der hohen Gewichte der Werkstücke und der nicht ergonomischen Haltung beim Greifen aus der Kiste. Eine typische »3D-Aufgabe«: dull, dirty, dangerous. Diese Belastung für die Mitarbeiter und eine übliche Amortisation von weniger als zwei Jahren im Dreischicht betrieb motiviert sowohl die Beschäftigten als auch das Mana gement, einen roboterbasierten Griff-in-die-Kiste einzusetzen.
»Die jahrelange Zusammenarbeit zwischen Liebherr und IPA hat sich ausgezahlt, und das begeistert mich« Werner Kraus, Leiter der Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme
Intensive Zusammenarbeit führt zur ersten industriellen Umsetzung »Weil es eine wirtschaftlich schwierige Zeit war, plante Liebherr, sich strategisch neu auszurichten«, erklärt Kraus. »Sie wünschten, nicht mehr ›nur‹ Maschinenhersteller zu sein, sondern wollten sich zum Gesamtlösungsanbieter wandeln, nicht mehr ›nur‹ Verzahnmaschinen verkaufen, sondern eine gesamte Fertigungszelle.« Darin sollte ein Roboter die Bauteile der Maschine anreichen und sie nach der Bearbeitung dem nächsten Schritt im Prozess zuführen. »Die jahrelange Zusammenarbeit zwischen Liebherr und IPA hat sich ausgezahlt, und das begeistert mich«, blickt Kraus zurück. Gemeinsam gingen das IPA und Liebherr durch schwierigere und erfolgreichere Zeiten und erarbeiteten Meilensteine: 2010 gab es den ersten »Proof of Concept« einer Roboterzelle, die die Bauteile handhaben konnte. Ein Jahr später folgte die erste Realisierung für semichaotisch, 2013 für vollständig chaotisch gelagerte Bauteile.