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Zur Person

GESELLSCHAFT & WIRTSCHAFT

nen mit dem grössten Anteil an konfessionslosen Menschen . Aber ich hoffe sehr , dass die Kirche vielen Solothurnerinnen und Solothurnern eine stärkende Begleiterin ist . Glauben ist Vertrauenssache .
Wem vertraut die Gesellschaft heute ? Das ist sehr individuell . Aber vermutlich lernen derzeit viele Menschen , dass sich auch das Leben in der Schweiz nicht mehr nur linear entwickelt . Das schafft Unsicherheit . Das wirft uns auf den Moment zurück . Wir erfahren , dass das Leben im Jetzt stattfindet . Das ist aber auch ein Gewinn , weil wir den Moment auf sicher haben .
Die Kirche ist Teil der Volkswirtschaft . Darf oder muss sie sich in der säkularisierten , pluralistischen Gesellschaft am politischen Diskurs beteiligen und ethische Überlegungen einbringen ? Vor allem wenn es um Fragen der Ge-

Zur Person

Bischof Felix Gmür studierte Philosophie , Theologie und Kunstgeschichte in Freiburg ( Schweiz ), München , Paris und Rom . Die Studien schloss er 1994 mit einem Lizenziat in Theologie , 1997 mit einem Doktorat in Philosophie und 2011 mit einem Doktorat in Theologie ab . 2004 ernannte ihn der Bischof von Basel zum Subregens im Priesterseminar St . Beat , Luzern . 2006 wählte ihn die Schweizer Bischofskonferenz zu ihrem Generalsekretär . Am 8 . September 2010 wählte ihn das Domkapitel der Diözese Basel zum Bischof , am 23 . November 2010 bestätigte Papst Benedikt XVI . die Wahl . Am 16 . Januar 2011 wurde er von Kardinal Dr . Kurt Koch in der Kirche St . Martin in Olten zum Bischof geweiht .
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« Von einem Land wie der Schweiz kann man auch Solidarität erwarten .»

BISCHOF FELIX GMÜR

rechtigkeit in der Wirtschaft , im Gesundheits- , Umwelt- und Sozialwesen geht ?
Die Kirche ist Teil der Gesellschaft und als solche muss sie sich einbringen , wenn es um Fragen der Gerechtigkeit geht , sonst kann sie ihre christliche Mission nicht erfüllen .
Oft sind bei Debatten die gemeinsamen Nenner politische Parolen oder ökonomische Konzepte . Und in der Kirche ? Wie gut finden Sie Gehör mit dem Gebot der Liebe ? In politischen Diskursen wäre « Verstehen-Wollen » auch eine Art Ausdruck von Liebe . Leider führt die Dynamik der Polarisierung zu Spannungsfeldern , die nicht damit überwunden werden wollen , sondern mit « schlagkräftigen Argumenten ». Es geht darum , zu gewinnen – insbesondere auf Kosten der anderen .
Sie reden von Ökonomismus als Trend , der Industrieländer wie die Schweiz prägt und fast alle Lebensbereiche und -phasen durchdringt .
Denken Sie , das Wirtschaftssystem ist heute belastender für Arbeitnehmende als noch vor 20 Jahren ? Der Broterwerb ist für alle belastender , weil der Markt härter geworden ist . Ge- trieben von globaler Konkurrenz und Digitalisierung verkürzen sich die Innovationszyklen und die Gewinnmargen werden in vielen Produktsparten enger .
Was könnte die Wirtschaft in Ihren Augen besser machen ? Man kann nicht verallgemeinern . Die Schweizer Wirtschaft ist grundsätzlich gut aufgestellt , muss aber schauen , dass sie bei der Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz den Anschluss nicht verpasst und bei allem das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt stellt .
Sind es die jüngeren Generationen , die den Paradigmenwechsel vorantreiben und mehr auf Work-Life- Balance setzen ? Work-Life-Balance ist ein veraltetes Konzept . Es steht für eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit . Wichtiger ist jedoch , insgesamt balanciert zu sein . Wenn ich bewusst einen Weg der Mitte gehe , findet das Leben immer statt – egal , ob im Geschäft oder in der Freizeit . Dann hat man mehr vom Leben .
Neben all den brennenden Themen ist noch der Krieg in der Ukraine dazuge- kommen . Sie haben als Bischof zum gemeinsamen Gebet und zur Solidarität aufgerufen . Die Politik hat Sanktionen verhängt , die Mitbürgerinnen und Mitbürger nehmen Flüchtlinge auf – die Schweiz zeigt sich solidarisch und hilfsbereit . Sind Sie stolz auf die Gesellschaft ? Es ist schön , dass die Schweiz auf eine sehr lange humanitäre Tradition zurückschauen kann und dies auch in der Gegenwart lebt . Aber von einem Land wie die Schweiz kann man auch Solidarität erwarten .